Wochenend-WalkmanDiesmal mit Haftbefehl, Paloma Records, John Tejada

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Haftbefehl, Paloma Records und John Tejada.

haftbefehl dwa cover walkman

Haftbefehl – Das weiße Album

Benedikt: Ob ich auf das Release gewartet habe? Schuldig. Gewartet und gehofft, dass es an sich nahtlos an „Russisch Roulette“ anschließen möge, mit dem ich mich in den letzten Wochen und erst Recht nach Verzögerung des Release-Termins schonmal wieder aufgewärmt hatte. Die Vorab-Singles wurden, mit Ausnahme von „RADW“, bewusst ausgespart, um Vorab-Enttäuschung und falsche Hoffnung gleichermaßen auszuschließen. Beides wäre wohl nicht eingetreten. Die Wortgewalt, die gehetzte Lingua franca, an der sich bis heute entscheidet, ob Hörer_innen überhaupt einen Zugang zu Haftbefehl finden, die großartigen, brachialen Beats von Produzent Bazzazian – alles ist wieder da. Natürlich inszeniert Aykut Anhan wieder die Kriminalität, sich selbst als dessen König. Alles andere wäre auch komisch gewesen. Aber wieder schafft er es die eigentlich so abgenutzte Gangsterrap-Erzählung in Worte bzw. Bilder zu fassen, die sich unmittelbar einbrennen: „Gib mir eine Tonne weiße Ziegelsteine und ich baue ein Iglu / Ich hab' mehr Weiß gesehen als ein Eskimo. Wovon ich rede? Von Kilos Kokaino / Kolumbianische Ware direkt vom Latino.“ Kein Raum für Interpretation, weil in diesem Business genau dafür eben auch kein Platz ist. Der bedrückend traurige Rückblick des gesplitteten Tracks „1999“ vom letzten Album wird hier mit gleich drei Parts fortgeführt. „1999“ ist die Kammer, in der alles verstaut wird, was anders als die „Roli voll Ice“ nicht zum Gangster-Show-off taugt, aber unausweichlich Teil der Geschichte von Kilos auf Spiegeln ist. Press Play.

Paloma Rec 003 Cover

Paloma Records

Ji-Hun: Die von uns tief geliebte Paloma Bar aus Berlin macht aus der Not eine Tugend und hat nun in Zeiten von Club-Shutdowns ein eigenes Label an den Start gebracht, das natürlich auch dazu dienen soll, in ungewissen Zeiten finanzielle Aussichten zu schaffen. Was für Zeiten ... Wie entschlossen und kreativ die Protagonistinnen und Protagonisten in den vergangenen Wochen und Monaten gewesen sind, auch weil wir alle wissen, dass musikkulturell nicht nur hier viel auf dem Spiel steht. Das neue Label startet mit einem Dreifachpaukenschlag mit dem direkten unverblümten Namen „Paloma vs. Virus 001-003“. Es gibt zwei physische Tonträger: eine 7-Inch von Substance und eine 12-Inch mit Tracks von Lowtec, Marvin Dash und den früheren Whirlpool-Kollegen Eric D. Clark und Hans Nieswandt. Die Laufnummer 003 ist die umfassende digitale Compilation mit unveröffentlichtem Material aus dem großen Paloma-Umfeld. Aubrey, Iron Curtis, Marcel Vogel und Tim Jules, s:vt, Juliano und viele mehr. 23 Tracks versammeln sich hier, die alle den besonderen Vibe der Location am Kotti wieder aufleben lassen. Das Artwork stammt von Alex Solman. Alle Tonträger wie Downloads findet ihr auf Palomas neuem Bandcamp. Kaufen und supporten nicht vergessen.

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John Tejada – Tracks Without A Home

Thaddeus: Fast ein bisschen traurig der Titel von Tejadas neuer EP. Ich will mich auch gar nicht mit der Motivation oder dem Hintergrund auseinandersetzen. Viel wichtiger ist die Schönheit und die Diversität, die der Producer aus Los Angeles hier mal eben auf Bandcamp packt. Tracks, die gar nicht den Dancefloor in den Blick nehmen, sondern zum größten Teil schlicht und einfach vor sich hin fluffen und erneut sein Wissen und vor allem seine Liebe zu britischem Melodieverständnis als übergreifendes Thema in sich tragen. Gut, dass diese Stücke nun eine Heimat gefunden haben. „Circular“ sticht für mich klar heraus – eine Hommage an eine der größten Kraftwerk-Hooks überhaupt, gepaart mit subtiler Harmonie-Arbeit, deepen Flächen und seinen so typischen Melodien. Oder „Under Daylight“ mit seiner wild modulierenden Bassline-Romantik, himmlischen Chören und diesem schweren Breakbeat. „Tracks Without A Home“ ist ein kurzer Blick in eine andere Welt. Funktioniert auch in der Weltraumkapsel.

Heimkino: 24Chillen ist nicht

Leseliste 07. Juni 2020 – andere Medien, andere ThemenDosen, Schwei-nstei-ger, Gabor Steingart und K-Pop-Fans gegen Rassismus