Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit Gramm, Khotin und Alex Ketzer.
Gramm – Personal Rock
Thaddeus: 20 Jahre ist dieser Klassiker des verklickten Micro-House mittlerweile alt – und verdient sowieso jeden Tag eine Erwähnung. Ganz besonders aber, wenn das Album nach zwei Dekaden erstmals wieder auf Vinyl erscheint. 1999 veröffentlichte Jan Jelinek sein LP-Debüt – auf Source, dem Label von Move D. Zu diesem Zeitpunkt kannte man ihn praktisch ausschließlich als „Farben“ und seinen fulminant-anderen Umgang mit dem Dancefloor. Dieses Album hier bricht genau diese Metapher auf, lässt sie in tausende kleine Einzelteile zerfallen und vom Sampler unter Aufsicht, aber dennoch automatisch wieder zusammensetzen. „Legends“, der Opener, ist noch heute eine Legende. Ein Art Türenöffner, ein nicht ganz so geheimer Gang von den Farben hin zu etwas Neuem. Konkret zu einem im sanften Wind des Digitalen aufgehängtes Spinnen-Klettergerüst, fein gewoben, stabil durch und durch und doch nicht ganz durchschaubar. Die Sache mit House war nicht vorbei, nur gut versteckt – versteckt gar hinter den Sounds, die Jelinek zuvor so geprägt hatte und nun neu kontextualisierte. Das war damals ein mächtiges Ausrufezeichen in der sich auf sich selbst zurückwerfenden Szene und ein großer Einfluss für viele andere Produzentinnen und Produzenten. Ohne Gramm wäre Shuttle358 nie passiert. Nicht auszudenken. Und heute? Heute ist die Platte ein noch viel ein größeres Ausrufezeichen. Denn die Tracks in ihrer alles umarmenden Kleinteiligkeit erklären uns die Gegenwart besser als jeder Breakbeat. Was für ein Stück Musik.
Khotin – Beautiful You
Matthias Hummelsiep: Ein kleines Leckerli in Sachen Pop Ambient: Khotin veröffentlicht sein drittes Album „Beautiful You“. Die Platte in Kürze zusammengefasst: Nicht zu viel gewollt, aber dennoch aufregend genug, um die zehn Tracks, oder besser gesagt, musikalischen Skizzen mal eben so wegzuhören und still zu genießen. Erstmal ein kleiner Schwenk zurück: Was ist bei Khotin bisher passiert? Sein Debütalbum „Hello World“ klang noch sehr nach einer x-beliebigen Kreuzung aus Lo-Fi House und Pop Ambient, was ja auch nicht weiter schlimm ist. Die Folgeplatte „New Tap“ hatte er anscheinend vor allem für Tagträumer gemacht. Seine Musik war hier noch viel versunkener und elegischer als vorher. Vielleicht ja als Reminiszenz an seine Zeit als Teenager gedacht, als er noch vom Schlafzimmer aus seine Files bearbeitete, in der Hoffnung, dass es irgendjemand hören würde. Und wie klingt das neue Album? Spätestens jetzt wird klar, dass wir es mit einem sattelfesten IDM-Newcomer zu tun haben. Weniger verspielt als noch bei den vorigen Alben, schafft er auf „Beautiful You“ ein klares, mit unkomplizierten Pattern gespicktes, aber dennoch detailverliebtes Klangbild. Schön dabei ist, dass sich seine Musik nicht in ewig geloopten, ambientösen Wolken verirrt. Zum Album selbst fällt dem in Vancouver lebenden Künstler, in aller Bescheidenheit, nur folgendes ein: „No distinct storylines or themes. It’s really just a collection of songs as rudimentary as that sounds.“ Hm, ok. Das kurze Intro „Welcome“ nimmt bereits den fluffig-frischen Ansatz der Platte vorweg: „Beautiful you, thanks for the smile!“ Und dieser Satz ist quasi als Auslöser für die neue Platte zu verstehen: Denn in der High School fand Dylan James Khotin-Foote, so sein bürgerlicher Name, eine handschriftliche Notiz auf der Windschutzscheibe seines Wagens, mit genau diesem Satz drauf. Wer auch immer ihm die Zeile hinterlassen hat, für ihn fühlte sich diese anonyme Botschaft wie ein Geschenk an, dass er nun im Album verarbeitet hat. Kitsch-Faktor 10, aber sei’s drum! Man merkt dem jungen Produzenten an, dass er gerne zwischen verschiedenen Spielarten hin und her tingelt – keine Skizze gleicht der anderen, er lässt jeder für sich genug Zeit zum atmen. Mal tröpfelt es verwunschen vor sich hin, wie beim zweiten Track „Water Soaked In Forever“, der sich gar nicht so triefend anhört, wie der Titel vermuten lässt. Dann wird’s cheesy bei „Alla’s Scans“, Gott sei Dank verzichtet er hier auf Lyrics. „Vacation“ erzeugt eine gefühlige Sogwirkung, elegisch, schwerelos, minimalistisch bleept’s vor sich hin. Und dann ist da noch, wie übrigens bei seinem gesamten Portfolio, sein Hang zu hier und da eingestreuten Voicemail-Samples, so als kleine Erfrischung („I am so happy, how great I am“). Eine besonders nostalgische Nummer ist übrigens „Planet B“, in seiner simplen Art einfach nur schön. Seine neue Lust für eingängige und atmosphärische Melodien hat sich gelohnt: Denn eigentlich hatte er „Beautiful You“ schon längst selbst veröffentlicht, aber dann stieß es bei Ghostly International so sehr auf offene Ohren, dass das US-Label im April seine Platte erneut herausbringt.
Alex Ketzer – OTC
Benedikt: Meinen Schreibtisch teile ich mit dem US-Amerikaner Andrew. Andrew ist nicht nur gewillt, die deutsche Sprache zu lernen, sondern auch fleißig dabei. Sein sich stetig vergrößernder Wortschatz ist von überdurchschnittlicher Nutzung seiner aktuellen Favoriten geprägt. Seit einigen Wochen fällt nun schon bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Wort „Rumpelkammer.“ Und irgendwie kam mir dieses Wort dann auch gleich in den Sinn, als diese Platte des Kölners Alex Ketzers anlief, seinerseits Macher des Tape-Labels Noorden. Da rumpeln Break- und Big Beat („Blickdicht“) nämlich erstmal ganz ordentlich und ordentlich dreckig daher. Nur zaghaft reflektiert ein Synth auf der von grobschlächtigen Beats und Bleeps untersetzten LoFi-Oberfläche. Bis zum Interlude („Rhodonit“). Klassische Album-Dramaturgie my Ass denn ab jetzt wird alles ganz anders. Kleinteilig, frickelig, bisweilen geradezu sanft und zaghaft, wenn auch immer noch tanzbar. Als „Kunstmond“ erklingt lässt der Blick zurück nicht mehr erkennen. Wie ist man von den anfänglichen Prodigy-Anleihen doch gleich hier angekommen? Auch egal. Denn Spaß gemacht hat's allemal.