Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Brandneu, wieder entdeckt oder aus der Geschichtskiste ausgebuddelt. Heute mit Giardini Di Mirò, Toro y Moi und Dendemann.
Giardini Di Mirò – Different Times
Thaddeus: Bereits vor rund zwei Monaten erschien das mittlerweile zwölfte Album der italienischen Indie-Helden GDM. Mitbekommen habe ich das erst vor wenigen Tagen, als mich ein Band-Mitglied dankenswerterweise angepingt hat. Seitdem habe ich Techno-freie Woche. Mit dem Sound von GDM verbindet mich viel, ihre Platten waren immer etwas ganz Besonderes für meine Ohren. Über 20 Jahre sie nun schon gemeinsam Musik. Und haben mit der Zeit ihre Idee eines Song-basierten Gitarrenuniversums immer wieder neu definiert, Remixe zugelassen, selbst mit neuem Instrumentarium experimentiert und doch einfach immer nur grandiose Songs geschrieben, denen es sowieso praktisch egal war, wie sie nun aufgenommen wurden. So auch hier. Mit großem Drive schallen die Gitarren die halligen Hänge hinab, und die Dringlichkeit solch seit Generationen tradierter Entwürfe ist sofort wieder präsent. Hier geht es nicht darum, etwas neu zu erfinden, sondern vielmehr dem eigenen Kosmos immer wieder eine neue Seite hinzuzufügen. Natürlich kann man den Album-Titel auch politisch lesen. Muss man vielleicht sogar – global und lokal. Hinweise gibt es dafür reichlich. In der Distortion ist man mit diesen Interpretationen aber ganz für sich.
Toro y Moi – Outer Peace
Benedikt: In letzter Zeit mal im Hopserlauf durch die von derzeit tiefen Pfützen gesäumten Straßen bewegt? Aufs großstädtische Grau-in-Grau geschissen, weil die Sonne aus dem Hintern eh hell genug scheint? Schätze mal nicht. Sollte man aber immer wieder mal machen, weils gut tut. Diese Platte lädt genau dazu ein und ich konnte nicht umhin, ihr zu folgen. Mein Bezug zu Toro y Moi war bislang eher... Nein, es gab eigentlich keinen. Zu cheesy, zu egal, zu hohe Tonlage, trotz der intelligenten, mit Witz und feinsinniger Ironie gespickten Texte und der sympathischen Erscheinung von Chaz Bundick. All das trifft auch auf „Outer Peace“ zu – nur anders. Ziemlich elektronisch, Beat-orientierter als alles vorherige. Zwar hüpft Toro y Moi weiterhin von Genre zu Genre wie ich von Pfütze zu Pfütze, aber House und Disco legen den Groove der LP vor, der nur hier und da verlangsamt wird, dann aber gleich bis in die Nähe des Stillstands. Alles in allem großer Spaß auf mitunter wirklich großartigen Texten („Ordinary Pleasure“, „Freelance“). Nur ich muss jetzt ganz schnell aus den nassen Socken raus.
Dendemann – da nich für!
Hallo Dendemann,
Glückwünsch zum neuen Album. Wir kennen uns nicht. Aber ich dachte, ich könnte dir trotzdem mal schreiben. Also ein bisschen kenne ich dich natürlich. Deine Musik, Eins Zwo. Mit deinem alten Schulkollegen Peter habe ich in Bochum Ende der 90er angefangen zu studieren und als ich ihm erzählte, dass ich zu der Zeit schon großer Fan deiner Kunst wäre, hat er sich sehr gefreut. Peter war selber Metal-Gitarrist, vielleicht war er auch überrascht, dass jemand aus seinem Bekanntenkreis überhaupt von irgendjemandem gekannt wird. Vielleicht war ihm als Rockmusiker auch gar nicht so klar, wie gut du damals schon warst. Und dann noch aus dem Sauerland. In meiner Stufe in Castrop gab es einen Mitschüler, der irgendwann für eine Boyband gecastet wurde. Dabei galt er so gar nicht als Mädchenschwarm. Bis ihm dann dutzende weibliche Fans auf dem Schulhof mit Blumen und Polaroid-Kameras auflauerten – da waren die „coolen“ Raucher und Skater alle ein bisschen baff. Ich erinnere mich gerade an meine Schulzeiten, weil du die Ära so konzentriert und eindringlich in deinem Track „Wo ich wech bin“ beschreibst. Die HipHop-Jams in Käffern wie Iserlohn mit Too Strong und der Silo Nation, die jährlichen Münster Monster Masterships, das Rumlungern und Tüten drehen am Dietrich-Keuning-Haus. Auch an die großen Maler in Dortmund wie RIO und IZM musste ich denken. Und dann gab es im Ruhrgebiet noch all die Hardcore-Punk-Szenen, in denen auch viel geskatet wurde. Irgendwie war immer ganz schön viel los. Und ich frage mich, ob es nicht schon was Spezielles war damals, so im Sinne von „eine besondere Zeit“. Was geht da heute eigentlich noch? Oder ist dieses retrokuschelige Gefühl, das sich einstellt, einfach unserem Alter geschuldet? War es ohne Handy, Internet und dafür 500 mal das gleiche Beastie-Boys-Album hören und mit Bleistift zurückspulen nicht auch ganz schön boring? Wie ich festgestellt habe, lebst du heute wie viele von uns auch in Kreuzberg. Irgendwie sind wir doch alle auch ein bisschen weggelaufen. Aber das sagst du mit diesem brillanten doppeldeutigen Titel ja bereits.
Die Sache mit deinem Album hat ja nun viele Jahre gedauert. Wie schwierig ist es eigentlich, wenn so eine persönliche Angelegenheit zum Treppenwitz der Branche wird? Wie entscheidet man, Musiker zu bleiben? Baut sich da nicht Druck auf? Bist du überhaupt ein Pressure Guy? Weil ich wäre wahrscheinlich nicht der Einzige, der glaubt, dass an dir der beste Werbetexter der Welt verloren gegangen ist. Wäre ich Boss bei einer großen Agentur, ich würde dir wie Mario Adorf in der ersten Folge Kir Royal die gefüllten Geldkoffer im Wochentakt mit 60-Stunden-Arbeitsvertrag vor die Haustür stellen. Aber so wenig wie ich so ein Leben gewählt habe, so sehr hast du dich für die Musik entschieden. Aber angeblich hast du ja fett im Lotto gewonnen. Kann man auch so machen, ist bestimmt nicht unpraktisch. Wie stehst du eigentlich zum BGE? Aber ich schweife vom Abschweifen ab. So oder so, ich finde es großartig, dass du noch dabei bist. Und natürlich gibt es 2019 von dir keine rumpeligen MPC-Beats von Rabauke aus den 90ern zu hören, sondern triolische Grooves von Kitschkrieg und auch sonst viel Trap. Hat das Universal so diktiert? Was soll denn deine alte Fanbase davon halten? Dende, Autotune, echt jetzt?! Aber ehrlich, ich verstehe das gut und respektiere das total. Denn nur so bleibst du als Künstler (auch kreativ) am Leben und du machst das natürlich geschickt, reflektiert und elegant. Aber wem sag ich das. Du könntest auch auf dem Rascheln einer Chipstüte, einer blubbernden Bong oder einem Laubbläser grandios rappen. Das ist die wahre Universalität und Zeitlosigkeit von Rap und HipHop und das ist eine gute Lektion fürs Leben. Content bleibt King. Danke, Dendemann. Und ja, ich kenne bereits deine Antwort: da nich für!
Liebe Grüße
Ji-Hun