Wochenend-WalkmanDiesmal mit Fluxion, IC3PEAK und YEAR0001

Wochenend-Walman-25072020-lede-gif

Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Fluxion, IC3PEAK und YEAR0001.

Fluxion Perspectives

Fluxion – Perspectives

Thaddi: Zugegeben, je älter ich werde, desto mehr vergesse ich, bzw. verliere Dinge vom Radar. Die MP3s datieren zurück auf den Januar 2020, der Waschzettel spricht von einem Release im März. Warum präsentiert dann heute mein Lieblingsplattenladen das Album als Neuheit? Kommt das Vinyl einfach nur deutlich später oder hat Corona dem ganzen Projekt einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht? Eigentlich ist das alles egal, denn Fluxion – Kostas Soublis, der 1998 seine erste 12" auf Chain Reaction veröffentlichte – ist einer meiner stillen Helden. Und wenn er nun – wann auch immer – ein neues Album herausgebracht hat, ist das mindestens eine Erwähnung wert. Seit Jahren ist sein Sound vom Dub geprägt – und doch schon längst vollkommen woanders gelandet. Das prägende Stilmittel fungiert nur noch als Basis, als gewisse sicherer Bank, als Anknüpfungspunkt, die der Grieche nutzt, seine epischen Miniaturen zu entwickeln. Auf „Perspectives“ entspinnt sich Track für Track eine wundervoll-wundersame Welt, befeuert von klar definierten Rhythmen, den typischen Dubs und jeder Menge Pop- und Soul-Verständnis, kongenial vereint zu etwas immer noch Einzigartigem. Tief melancholisch, sehr historisch, dabei vollkommen hängemattig entspannt. Sehr, sehr toll.

IC3PEAK До Свидания / Goodbye Cover

IC3PEAK – До Свидания / Goodbye

Ji-Hun: Das erste Mal habe ich von dem russischen Duo IC3PEAK in einer Arte-Doku über Rap in Russland erfahren. Anfang des Jahres sprach ich mit dem Moskauer DJ Nikita Zabelin und auch er erzählte, dass Nastya Kreslina und Nikolay Kostylev zu den spannendsten Artists des Landes zählen. Rap, Techno und andere musikalische Subkulturen haben in Russland einen schweren Stand. Vladimir Putin gefällt die oft formulierte Systemkritik nicht, was auch im Falle von IC3PEAK schon oft dazu führte, dass Konzerte von der Polizei aufgelöst wurden. Kreslina und Kostylev haben es mit ihren Namen also auf den Tisch des russischen Autokraten geschafft. Das ist wahrscheinlich Problem wie Segen zugleich. Es ist aber allgemein spannend zu sehen, was für eine Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit in der Musik zu spüren ist. Und auch wenn ich die Lyrics von IC3PEAK natürlich nicht verstehe, man spürt diese ganz eigene Energie. Beim ersten Hören denken viele an Die Antwoord. Auch die Band aus Südafrika steht für eine ziemlich direkte Sedimentierung von darkem Rave und Rap. Aber hören wir erstmal mit den Vergleichen auf. IC3PEAKs neues Album „До Свидания“ ist ein interessantes, politisches und sehr modernes Pop-Album. Zwischen den Stilen, Zitaten und Genres wird hyperaktiv geswitcht wie bei pompösen K-Pop-Produktionen. Die düsteren Horrorcore-808s füllen Kathedralen und in den Refrains gibt es plötzlich so viel klirrend kalten Kitsch, dass es schaudern kann. IC3PEAK haben in den vergangenen Jahren schon einiges an internationaler Aufmerksamkeit bekommen. Mit diesem stabilen Album könnte gar ein Hype losgetreten werden, international respektierte Musik muss im 21. Jahrhundert nicht mehr aus den USA kommen. Ob das indes Vladimir Putin so gut gefällt …

year0001 rift one walkman

YEAR0001 – RIFT One

Benedikt: Bislang kannte ich YEAR0001 nur aus einem Grund: Yung Lean. Die grauen Zellen richtig bemüht, ist mir auch Bladee nicht ganz unbekannt, gehört er doch zum Kollektiv Drain Gang, von dem sich ebenfalls zwei Veröffentlichungen im Katalog finden. YEAR0001 fand als Label für mich also ausschließlich im Kontext von Cloud Rap, Trap und vielleicht noch Fashion statt. Das Cover-Motiv dürfte so manchem bekannt sein. Dennoch kommt diese Compilation mehr als überraschend. Denn hier geht's zunächst einmal vorrangig um Dance Music. Aber die lässt mich gedanklich nicht auf den Dancefloor schweifen, sondern vor den Fernseher nach der Schule kurz nach der Jahrtausendwende. Ich muss an Scooters „Nessaja“ und Klingeltöne im Jamba Sparabo denken, während in der VIVA2-Bauchbinde die SMS-Texte durchlaufen, mit denen man für den nächsten Song voten konnte. Trance- und Hardcore-Trash denn ich längst aus der musikalischen Erinnerung getilgt hatte. Aber witzig ist das schon, unerwartete Assoziation als Entertainment. Bladee und Bloodz Boi lassen den Crazy Frog auf seinem Motorrad dann zum Glück erstmal an der 808-Trap-Wand zerschellen. Aber was ist da gerade passiert? Kaum erholt, nehmen die Trance-Synthläufe schon den nächsten Anlauf, kommen aber diesmal mehr als Contemporary-Rave-Sounds daher und überführen den anfänglichen Schock in das mit dieser Compilation wohl endgültig beschlossene Revival. Mehr kann da nicht mehr kommen. Yung Lean selbst tritt hier übrigens ebenfalls auf, allerdings unter seinem Moniker Jonatan Leandoer96. Von dieser Platte muss man sich erst einmal erholen.

Hinter der HorizontalenPontiac Streator, Shinichi Atobe, Lamin Fofana – 3 Platten, 3 Meinungen

Leseliste 26. Juli 2020 – andere Medien, andere ThemenKabelfernsehen, Kubakrise, Poker und ZSK/Drosten