Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Brandneu, wieder entdeckt oder aus der Geschichtskiste ausgebuddelt. Heute mit Emanuele Errante, Songs: Ohia und Mariel Ito.
Emanuele Errante – The Evanescence Of A Thousand Colors
Thaddeus: Mit Rassismus und gesellschaftlichem Hass im eigenen Land kennt man sich als Italiener in diesen Zeiten leider nur zu gut aus. Emanuele Errante widmet sich auf seinem zweiten Album für Karaoke Kalk genau diesem Thema. Nachdem der Komponist erst kürzlich Dakota Suite unter die Arme griff entwickelt er auf „The Evanescence Of A Thousand Colors“ auf insgesamt acht Stücken ein sanftes und somit umso eindrücklicheres Statement für ein gemeinschaftliches und gleichberechtigtes Miteinander. All dies muss man nachlesen – der Musik selbst hört man es nicht an. Und das ist genau die richtige Herangehensweise, um der globalen Kälte angemessen zu begegnen. Die niemals kitschigen Streicher üben sich in Zurückhaltung und kaschieren nie ihren Ursprung als Sample, was sie per se ja schon zu musikalischen Weltbürgern und ausgewiesenen Freunden der hier alles begleitenden Elektronik macht. Errante prozessiert seine Sounds wie ein Kurator einer frühgeschichtlichen Prozessor-Ausstellung: einfach, offensichtlich und verkantet in einem ästhetischen Rahmen, der vor langer Zeit die Welt veränderte. Diese Herangehensweise kulminiert zum ersten Mal bei „Beauty“, dem Dreh- und Angelpunkt des Albums mit Versatzstücken eines Vortrags von Patyusha Pilla zum Thema Rassismus. Ein großes, viel zu kurzes Stück Musik, das in seiner Mischung aus Sprache und Melodie an „Betty’s Lament“ von Isan erinnert, dem bislang unerreichten Allheilmittel bei Hoffnungslosigkeit. Hier nun ändert sich der Spannungsbogen des Album. Es wird „griffiger“, eingepasst in tief federnden Beats, die vor allem die Frage aufwerfen, was Murcof aktuell eigentlich so macht, sucht Errante nach der ultimativen Blende, in der er das Böse in einer sich selbst zerstörenden Endlosrille gleich mit erledigen möchte. Ob ihm das wohl gelingt? „The Evanescence Of A Thousand Colors“ macht Hoffnung.
Songs: Ohia – Love and Work: The Lioness Sessions
Ji-Hun: Manchmal hat man den Eindruck, dass es in einer Woche mehr Re-Issues als Neuerscheinungen gibt. Was nicht alles wieder herausgebracht wird und am Ende die wirklich guten Sachen vergessen lässt. Aber da Musikindustrie ja bekanntlich eine Industrie ist, wird das bis zum Ende der Zeit auch so bleiben. Eine schöne Ausnahme stellt „Love and Work: The Lioness Sessions“ dar. Die erweiterte Fassung des großartigen Albums „The Lioness“ aus dem Jahr 2000. Songs: Ohia, jene Band von Jason Molina, der 2013 im Alter von 39 Jahren wegen eines Organversagens starb. Und Jason Molina hat in der Tat das Potential, vergessen zu werden. Wer kennt ihn heute überhaupt noch? Dabei ist er seit den 90ern einer der intensivsten Songwriter gewesen. Hat Slowcore, Emo mitgeprägt, befand sich stilistisch selber aber immer zwischen den Stühlen, klassischer, weniger lärmig. Das hört man bei „The Lioness“ gut raus. Cleane Fender-Gitarren, das staubtrockene Schlagzeug. Der Kummer wird nicht herausgebrüllt, er steckt im Headroom fest. Wenn Musik eigentlich die größte Therapie ist, aber am Ende gegen den Alkohol und die Dunkelheit doch nicht gewinnen kann.
Mariel Ito – 2000-2005
Benedikt: Auch jene, die heute für den elektronisch durchkalkulierten Sound Ibizas stehen, der seinen Machern einerseits Stage-Time über den fettesten Floors der Welt beschafft, der Massen begeistert und andererseits den Hate der Musikkulturelite auf sich zieht, waren mal jung. Maceo Plex ist so einer. Sein Name bewegt jedes Jahr Tausende zum Kauf überteuerter Festivaltickets. Aber sein (Single-)Output klingt, als käme er direkt aus dem Beatport-Bootcamp. Wobei er dort zu den bestbezahlten Dozenten im Fach Mathe mit Schwerpunkt Funktionalität gehören dürfte. Aber irgendwo zwischen seiner Heimat Miami und der heutigen spanischen Dauerresidenz war auch er mal jung. Und unbedarft – Mariel Ito sein Name. Zehn Tracks aus den Jahren nach der Jahrtausendwende sind nun bei R&S neu erschienen und aus zwei Gründen beachtenswert. Erstens weil der zähnefletschenden Electro-Sound mit poppiger Note im Jahre 2018 wieder in der Lage ist, jedem Dancefloor die Schuhe auszuziehen. Zweitens weil diese Tracks dem heutigen Maceo Plex so unglaublich konträr entgegenstehen. Oft wissen sie zu Beginn selbst noch nicht, wo sie enden werden. Entweder ufern sie aus, wandern ziellos umher und kommen nirgendwo an oder kommen als vollumfängliche Transitions daher, an deren Ende der Blick zurück unmöglich ist, weil der Start des ganzen längst hinterm Horizont verschwunden ist. Ich bin ganz hin und weg – aber noch nicht ganz sicher, ob das tatsächlich dem Sound geschuldet ist, oder der Tatsache, dass damalige Tracks aus gleichem Ärmel geschüttelt wurden wie dieser Schrott von heute.