Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.
Dungen – Häxan
Ji-Hun: Hygge-Alarm. Das dänische Hype-Wort für Gemütlichkeit versetzt die sonst so partizipativ-soziale Millenial-Generation in einen neuen permanenten Heimeligkeitsmodus. Kürzlich schrieb mir ein Freund und wollte Rat, weil er in Erwägung zog, sich eine PS4 zu kaufen. Ich fragte ihn ironisch, ob er wirklich wolle, dass er die nächsten Wochen nur mit der Konsole verbringt. Seine Antwort: „Social life, pfff, it's 2017, no one needs it.“ Das bringt die Attitude zur Zeit ziemlich gut auf den Punkt. Und das sophisticated Abgammeln braucht auch passende Musik. Die sollte ja wohl am besten aus Skandinavien kommen und so bin ich auf die schwedische Band Dungen gestoßen, die aktuell das Album „Häxan“ am Start hat. Ein Soundtrack zu dem 1926 erschienenen Film von Lotte Reiniger „The Adventures of Prince Achmed“. Es ist das erste reine Instrumentalalbum der Band und verortet sich zwischen angenehmem Psychedelic und Prog Rock der 70er, erinnert vom Handwerk an die frühen 00er-Jahre bei Motorpsycho und ist allgemein schöngeistig, analog verortet. Klischees sind, denke ich, dann gut, wenn man sie voll und ganz auslebt. Ohrensessel, Whiskey, ein dicker Krimi und dieses Album. Dazu imaginierte Rentiere und Hexen im Görlitzer Park. Kann man so machen.
Night Moves – Carl Sagan
Susann: Vielleicht sind es die Nachwehen der ganzen Jahresrückblicke und Toplisten oder einfach nur der graue Himmel, aber das Zurückschauen fällt gerade leichter als der Blick in die Zukunft. Ein Rückschau-Sehnsuchtsjahrzehnt sind heute die 80er Jahre: Eine übersichtlichere Welt, Wohlstand, Spielberg-Filme (so populär, dass wir uns heute liebend gern Goonies-ET-Wiederauflage „Stranger Things“ ansehen), Mixtapes, Videospiele und Bowie, Prince und George Michael waren auch noch am Leben. Die Indie-Formation Night Moves aus Minneapolis – eine typische Jungs-haben-sich-in-der-Highschool-beim-Jammen-kennengelernt-Band – bringt nun diese Zeit mit psychedlisch-melancholischen Pop unter dem Namen des damals populärsten Astrophysikers Carl Sagan wieder. Der Wissenschaftler war geistiger Pate der goldenen Datenplatte, einer Botschaft an außerirdische Lebensformen an den Raumsonden Voyager 1 und 2. Mit seiner populärwissenschaftlichen Sendung „Cosmos: A Personal Voyage“ steckte er viele mit seiner Begeisterung für die Suche nach extraterrestrischer Intelligenz an. Der gleichnamige Song war bereits auf dem 2016 erschienenen Album „Pennied Days“ enthalten, die nun digital veröffentlichte EP lässt ihre Zuhörer/innen für einen halben Tagtraum auf Retro-, Synth-, und Orgel-Sounds in entferntere Sphären schweben. Inhaltlich sind Night Moves jedoch eher bei Selbstfindung und traurigen Beziehungen als bei Astrophysik. Ein Genre, das ein Filter-Kollege mal scherzhaft und doch irgendwie treffend als „Loser-Indie“ bezeichnete.
The xx – I See You
Benedikt: Ganz kitschig und doch ehrlich kann ich sagen: Wenn das Debütalbum von The xx erklingt, geht mir das Herz auf, „Islands“ gleich Gänsehaut, auch sieben Jahre später. Die zweite Platte „Coexist“ hingegen fehlt in der Erinnerung. Wird überlagert vom Welterfolg eines Jamie xx, seinem Popsong „I Know There's Gonna Be (Good Times)“ an Seite von Young Thug und Popcaan, noch mehr aber vom genialen Album-Opener „Gosh“ und zugehöriger Bildgewalt von Regisseur Romain Gavras. Jetzt ist das Trio zurück – und klingt gewillt und fähig aus dem Schatten seines Anfangserfolgs zu treten. Auf „I See You“ steht die Elektronik von Jamie xx nicht länger hinter dem Gitarrenspiel von Romy Madley Croft, im gleichberechtigten Zusammenspiel verschmilzt die Band zu einem neuen, vielseitigeren Ganzen. Trotzdem geht das Gefühl melancholischer Intimität nicht verloren, das den Sound von The xx seit Tag eins auszeichnet und „The xx“ damals zur unverwechselbaren, persönlichen Platte gemacht hat. In „I See You“ steckt mehr, als in beiden Vorgängern zusammen. Aber nicht, weil die Londoner ihren Minimalismus abgelegt haben, sondern, weil die Band jedes Element, angefangen beim Gesang, über Gitarre und Bass bis hin zur Drummachine perfekt in Szene setzt, doch in Summe noch immer unbestimmt bleibt. House, Dream-Pop, R’n’B- und Dubstep-Reminiszenzen. 2017 fängt ganz schön groß an.