Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen.
Various Artists – Elsewhere MCMXIII (mixed by DJ SoFa)
Benedikt: DJ SoFa aus Brüssel hat zwölf Tracks des mir bislang unbekannten Labels ICI vom Belgier Débruit aus gleicher Stadt zusammenkuratiert. Unbekannt liest sich auch die Liste der darauf vertretenen Künstler, die beiden Düsseldorfer Detlef Weinrich alias Tolouse Low Trax und Jan Schulte hinter seinem Pseudonym Bufiman, beide bekannte Gesichter im dortigen Salon des Armateurs, mal ausgenommen. Aber die Namen sind eh bloß der Schall und Rauch aus dem sich hier Dark Disco schält, um die Welt in einen morbiden Trip zu tauchen. Krautige und psychedlische Dissonanzen schlagen ungemein verzerrend auf selbst nüchterne Wahrnehmung. Drums geben sich in schleppender aber zweifellos unaufhaltsamer Vorwärtsbewegung, während Synthesizer das discoide Grinsen mithilfe des Pitch Wheels zur düsternen Fratze wandeln und dem Genre damit unfreiwillig zu einer dieser gegenwärtigen Scheißwelt angemessenen Zeitgenössigkeit verhelfen. „Elsewhere MCMXIII“ rauscht durch wie ein DJ-Set, homogen ja, aber kein bisschen flach. Massig Material für den dunkelsten Disco-Floor der Stadt. Und sorry, Scheiß-Glitzer muss leider draußen bleiben.
Caracara – Summer Megalith
Susann: 2017 neigt sich dem Ende und das Internet füllt sich wieder mit Rückblicken und Jahrestoplisten. Doch das Gefühl, in irgendwie verstörenden Zeiten zu leben, lässt sich schwer in Listen beschreiben. „Summer Megalith“ ist das Debütalbum von Caracara und es passt mit seinen rauen, teils schwermütigen, teils grimmigen Klängen zu einem akustischen, ein bisschen unbestimmten Jahresrückblick. Diese Indieplatte in ein bestimmtes Genre zu stopfen, ist gar nicht leicht (und sicher nicht hilfreich) – es gibt schnellere Posthardcore-Anleihen zu hören (wie in „Another Night“), einen typisch düsteren Psychedelic-Folk-Sound (das großartige „Apotheosis“) und darüberhinaus interessante Instrumentierungen mit Posaune, Cello und Saxophon. Und das irgendwie Verstörende zeigt sich dann auch in den Lyrics. Songtitel wie „Burn Me I’m Made of Matches“ gehören eigentlich auf den Merchandise einer Hardcore-Band gedruckt, in „Apotheosis“ wird es jedoch geradezu herzzerbrechend: „When the world turns the rafters into splinters in our feet/You know that I'll stand by you the way that stood by me.“ Und als Berliner lacht man auch mal ein bisschen bitter über „Prenzlauerberg“: „The lights flicker in east Berlin/Amphetamine fingers, mine are shaking”. Caracaras (im Deutschen auch Karakara) bezeichnen übrigens sehr prächtige Raubvögel. So tauchen bei der Suche nach Livevideos der Band auch faszinierende Dokumentationen über diesen intelligenten Geierfalken auf – Weltflucht am zweiten Advent mit Tierfilmen und wütend-melancholischen Klängen.
Lake People – Phase Transition
Thaddeus: Schon im Sommer erschien das zweite Album von Martin Enke. Und erst in der vergangenen Woche stieß ich durch Zufall auf diese Veröffentlichung – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, denn mein Herz schlägt nach wie vor für die Musik von Lake People. Wenn ich so etwas also nicht mehr mitbekomme kann das nur bedeuten: Ich bin raus. Das fühlt sich ausgesprochen gut an. Und so kann ich auch meine ganz eigene Geschichte zu diesem epochal tollen Album ausdenken. Egal ob es die nasal-britischen Samples sind, mit denen die Platte startet und endet, oder Enkes Hommage an den einen von insgesamt zwei guten Momenten von Motorbass, den er in „Catharctic“ sorglos und voller Respekt zitiert: Bei Lake People geht es um das richtige Gefühl für den Moment. Ging es schon immer. Bei seiner ganzen überbordenden Kreativität ist Enke vor allem ein Geschichtenerzähler. Und diese Geschichten lösen bei all denen, die sich seit 30 Jahren Bassdrums reintun, etwas ganz besonderes aus. So entsteht ein Referenzbaukasten, den man nach dem Lego-Prinzip immer wieder neu zusammensetzen und passend machen kann für die jeweils aktuelle Gemütslage. Keine museale Angelegenheit. Denn Enke wäre nicht Enke, wenn er das Vergangene nicht mit dem aktuellen Geschehen kombinieren würde. Flattern bei „Spark Eroded“ die 909-HiHats prototypisch durch das Stereobild, werden sie gleich danach von einem digitalen Filterwolf zerrissen. Und wenn Enke eigentlich House machen will, baut er in „Charlie Carlisle“ genau dieses Gefühl mit dem Break aller Breaks (nicht Amen) nach. Ein Yeah! sagt mehr als 1.000 Presets. Was bin ich froh, dieses Album doch noch entdeckt zu haben.