Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit DJ Nate, Josephine Wiggs und Tyler, The Creator.
DJ Nate – Take Off Mode
Ji-Hun: Was würden wohl Popwissenschaftler in 30 Jahren rückblickend über die 2010er-Jahre sagen? Wahrscheinlich, dass es das Jahrzehnt des Trap-Beats gewesen ist. Kein Groove, keine Beat-Ästhetik hat so große Spuren hinterlassen. Neben Dubstep und Rap aus den Südstaaten, haben aber auch Footwork und Juke aus Chicago wichtige Einflüsse für das eindrückliche, heute globale Halftime-Game geliefert. DJ Nate hat 2010 mit seinem Album „Da Trak Genious“ auf Planet Mu Ambitionen gezeigt, eine wichtige Nummer im Footwork zu werden. Verschwand dann aber unter diesem Alias mehr oder weniger von der Bildfläche, um sich als Producer im Rap und HipHop zu verdingen – die Schnittstellen sind evident. Zufall oder nicht, 2019 also am Ende dieses Jahrzehnts, als setzte er eine Klammer, erscheint nun das zweite Album von DJ Nate. Es ist erwartungsgemäß rough und energisch. Nate zeigt sich aber auch als gereifter Meister seiner musikalischen Elemente. Perfekt inszenierte Vocal-Samples, große Harmonieläufe, der sehnsuchtsvolle Soul der immer wieder stattfindet. Für mich eines der besten Platten dieser Art, auch weil sie dieses Genre auf ein höheres Level hievt.
Josephine Wiggs – We Fall
Thaddeus: The Breeders ist eine dieser 4AD-Bands von früher, die ich damals irgendwie immer ignoriert habe – wissentlich oder unwissentlich sei dahingestellt. Ich war eher bei Lush, Throwing Muses und natürlich den ersten Solo-Platten von Tanya Donelly. Nun veröffentlicht die ehemalige Bassistin von The Breeders, Josephine Wiggs, ein neues Album. Auch ihre Karriere habe ich in den vergangenen 25 Jahren nicht verfolgt. Doch glaubt man Discogs, dann gibt es einen Bruch in ihrer Vita bzw. eine ausgedehnte Pause von der Jahrtausendwende bis in die Jetztzeit und dem Breeders-Album aus 2018. Ihre Solo-LP hat mit dem Band-Sound ohnehin wenig zu tun. Auf „We Fall“ widmet sie sich dem Sound nur weniger Instrumente: Piano, Schlagzeug, Streicher und ein wenig Beiwerk, auch elektronisch. Das wirkt trotz aller Wärme angenehm kühl und distanziert, leergeräumt und spartanisch. Große Musik für große Landschaften. Oder eben eine kammermusikalische Zuspitzung der bewusst gewählten eremitischen Einsamkeit. Hier ist nichts kitschig, gekünstelt oder anbiedernd, ganz im Gegenteil. Die Kompositionen fußen auf einer Tradition der Instrumental-Musik, die heuer gerne missbraucht und zu etwas Unerträglichem aufgeplustert werden, um die Herzen zu erreichen. Dabei sehnt sich das Herz doch vor allem nach dem Redux der Klarheit und des Fokus.
Tyler, The Creator – Igor
Benedikt: Gestern Abend lief die Platte zum ersten Mal, an diesem Morgen läuft „Igor“ nun schon zum dritten ... nein vierten Mal durch. Dass Tyler, The Creators fünftes Studioalbum mich so sprachlos staunen lassen würde, war nicht absehbar. Wenn ich an Tyler, The Creator denke, ist die Kakerlaken essende Silhouette aus dem Video zu „Yonkers“ immer noch eine der ersten Assoziationen. Das ist einerseits nicht ganz fair, denn zwischen 2011 und „Igor“ liegen immerhin über acht Jahre und drei volle Studioalben. Da hätte zwischendurch auch noch mehr hängenbleiben können, als das „Goblin“ beiliegende Poster. Und doch: Alleine bin ich damit nicht. Die düstere Aggressivität Tylers erschien mir immer ein stückweit kalkuliert (siehe Kakerlake), doch mit seiner situativen, authentischen Schlagfertigkeit, die er gern in Interviews zum besten gab und gibt, war das schon ok. Nur ein paar Stunden vor diesem Release twitterte Tyler: „This is Igor. Pronounced EEE-Gore. Don't go into this expecting a rap album. Don't go into this expecting any album. Just go, jump into it.“ Und genau das sollte man tun. Die Düsternis, die Aggressivität, die Death-Grips-Distortion ist immer noch da. Aber im musikalischen Zentrum steht, was dem Odd-Future-Gründer bislang nur ein Snippet oder Interlude wert war: (Neo-)Soul, Jazz, Disco & R&B. Das kommt so unerwartet wie gekonnt daher. Diese Platte wird mich noch länger begleiten. Einfach nur: Wow.