Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.
Depeche Mode – Where’s The Revolution
Thaddeus: Oh, oh, Martin Gore entdeckt seine politische Ader. Es gibt eine neue Single von Depeche Mode, das Album – „Spirit“ – folgt Mitte März. Nach ziemlich genau 33 Jahren Fanboy-Tum hat sich meine Aufregung, sobald die Band etwas Neues macht, zwar auf normales Level runtergekocht, ganz überwinden kann ich sie jedoch immer noch nicht. Denn erstens bin ich dankbar, wenn Gore, Gahan und Fletcher überhaupt nochmal etwas Gemeinsames produzieren, und andererseits ist die erste Single immer auch Indikator dafür, wie das Album denn klingt oder klingen könnte und somit Anzeichen, ob es in meine Vorstellung der Band überhaupt hineinpasst. „Spirit“ könnte was werden – für mich – aber: Abwarten und Tee trinken. Der Song, der über die Revolution, passt textlich natürlich perfekt in die Zeit, eigentlich schon viel zu perfekt. Man hat euch Scheiße erzählt, veräppelt, drangsaliert, wo ist die Revolution, kommt schon Leute, ihr enttäuscht uns, macht mit, springt auf, der Zug wartet schon, der Motor läuft. Ich unterstelle der Band kein Marketing-Treffen in letzter Minute, um die Entscheidung für diesen Song als Single medienwirksam einzutüten, das passt nicht ins Bild und vor allem nicht zur kategorisch a-politischen Haltung von Depeche Mode, die seit Mitte der 80er-Jahre vorherrscht. Das ist auch der Grund, warum mir die Aufforderung, doch nun endlich aktiv zu werden, als ein bisschen frech reinläuft. Die Band hat zwar immer wieder Charities laufen, über sauberes Trinkwasser (nobles Ziel, keine Frage) kam man aber meines Wissens nach nie hinaus. Das ist alles dick und grell aufgetragen, aber so funktioniert Popmusik eben. Es wäre vermessen, beim Blick auf die restlichen Tracktitel (gehört habe ich das Album noch nicht) Rückschlüsse auf ein übergeordnetes Thema zu ziehen: „Going Backwards“, „Scum“, „The Worst Crime“, „Fail“: Das könnte inhaltlich alles bedeuten. Und die Musik so? Ein solider Track, in der Produktion sehr einfach gehalten, reduziert, mit den Gitarren an der richtigen Stelle, schöner Bassline und den Refrain summt man schon ganz gerne mit nach kurzer Zeit. Erstaunlich straight, ohne dabei Techno sein zu wollen, moody an den richtigen Stellen. In der Melodieführung der Strophe covert Gore sich selbst und kopiert „Corrupt“ von 2009, einem der besten Songs der Band aus den letzten zehn Jahren, ist also ok. Bleibt die Frage, warum Gore in den vergangenen 30 Jahren nichts mehr zum Aufregen gefunden hat. 1983 gab es mit „Construction Time Again“ das letzte Album mit Ansage nach Ansage. Die sperrigste Platte der Band überhaupt. Danach wurden sie Superstars und schrieben Superstar-Songs. Wird „Spirit“ nun der Wendepunkt, das reflektierte Alterswerk, das sich sowohl musikalisch als auch textlich der Gegenwart stellt? Wie gesagt: Ganz überwinden kann ich meine Aufregung noch immer nicht.
Minor Victories – Orchestral Variation
Ji-Hun: In der Tat ist bei uns das Projekt Minor Victories im vergangenen Jahr ganz schön untergegangen. Die Super-Band mit Rachel Goswell (Slowdive), Justin Lockey (Editors), seinem Bruder James (Hand Held Cine Club) und Stuart Braithwaite (Mogwai) hat quasi eine Blaupause für den Status Quo von Showgaze und Post-Rock geschaffen. Hat gezeigt, dass mehr möglich ist, als nur stoisch in warmen Retroismen zu baden. Um dem Werk noch mal Nachdruck zu verleihen, ist nun eine Orchesterversion des Albums veröffentlicht worden. Ganz ohne Vocals, dezent und feinfühlig werden die ätherischen Melodien herausgearbeitet und minimalistisch, impressionistisch neu interpretiert. Dabei ist weniger ein Aufguss, als vielmehr ein gelungenes Cover-Album herausgekommen. Die Soundästhetik dürfte Fans von Erased Tapes, Otto A Totland, Max Richter, Hauschka und Co. ohne viel Reibung einfahren. Dabei gelingt es diesem Albumprojekt gut, eine andere Perspektive zu produzieren. Etwas Autonomes, das auch ohne Kenntnis des „Originals“ funktioniert. So scheint aber auch klar, dass Minor Victories mehr werden könnte, als nur ein One-Shot. Einige Konzerte wurden bereits gespielt, auch wenn das erste Album gänzlich ohne Proberaum und gemeinsame Studiosessions entstanden ist. Eine Art Gorillaz für den Indie? Man ist voller Hoffnungen.
Sampha – Process
Benedikt: Na endlich, Samphas Debütalbum. Ein Haufen Features mit anderen Musikern aus dem Young-Turks-Umfeld – SBTRKT, Jessie Ware, FKA Twigs seien genannt – haben den Sänger und Produzenten in den letzten Jahren über die Grenzen des Atlantiks hinweg bekannt und begehrenswert gemacht. Drake, Kanye, Frank Ocean, Beyoncé und ihre Schwester Solange – plötzlich wollten alle die einzigartige Stimme des Briten auf ihrer Platte wissen. Er hat diese Chancen genutzt, gleichwohl die Ansprüche an sein eigenes Debüt dadurch immens gestiegen sein dürften. Man erwartet schließlich, dass ein Künstler mit seinem eigenen Album aus dem Schatten seiner Featureparts tritt. Aber damit ist man im Hause Young Turks ja bestens vertraut, siehe Jamie xx. Und auch für Sampha gilt in dieser Hinsicht: gesagt, getan. Dass der 28-Jährige nicht nur gefühlvolle R'n'B-Stimme, sondern ebenso talentierter Produzent und Songschreiber ist, ließ sich zwar längst erahnen, wird mit „Process“ aber zur unverrückbaren Tatsache. Typisch Britisch, typisch Young Turks nimmt er sich ungerader Beat-Konstruktionen an. Es klirrt, zuckt, kracht und flimmert, klingt aber doch händisch, sanft und ganz und gar nicht nach whateversteppigem Maschinengefrickel. „Process“ klingt ehrlich. Das ist ja, was schon lange seine Stimme und auf dem Album nun auch seine Texte auszeichnet. Ich kenne keinen anderen Künstler, bei dem Souveränität und Verletzlichkeit so eng nebeneinanderstehen, ohne sich auf die Füße zu treten, ohne zu stolpern. Eine wahrlich bezaubernde Platte. Sorry James Blake, you’re out.