Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Davido, Craven Faults und Dan Deacon.
Davido – A Good Time
Elisabeth Giesemann: 2016 kauft Davido ein Haus in Atlanta, das zwei Tage nach seinem Einzug von der Polizei durchsucht wird. Grund dafür ist nicht ausschließlich der Rassismus der Polizei. In der guten Gegend, der Nachbarschaft des Rappers Futures, weiß niemand, wer der 23-Jährige ist und wie er sich ein solches Anwesen leisten kann. Davido spielt der Polizei darauf einige seiner YouTube-Videos vor und kann sie so überzeugen, dass er kein Drogendealer ist, sondern in seiner anderen Heimat Nigeria als Megastar gefeiert wird. Seit einigen Jahren wird in Nigeria nämlich nicht nur US-amerikanischer HipHop gehört, es haben sich mit Wizkid, Olamide und eben Davido Stars etabliert, die in ihrer Attitüde ihren US-Vorbildern (?) in nichts nachstehen. Allerdings zitieren ihre Samples klar westafrikanische Popmusik. Der Begriff „Afrobeats“ beschreibt diese zeitgenössische Tanzmusik und hat dabei nur bedingt Überschneidungen mit dem Genre „Afrobeat“, dem Avantgarde-Funk von Fela Kuti. Als solches ist die Bezeichnung leider auch eine beliebige Beschreibung einer ziemlich diversen und lebendigen Musikkultur, welche die Stars mit internationalen Ambitionen jedoch aus strategischen Gründen angenommen haben.
Es ist erst das zweite Album von Davido und als solches eine Ansammlung von Hits, die in der Davido-Fangemeinde in Lagos in jedem Shoppingcenter gespielt werden. Hierzulande ist er aus den „Afrobeats und Soca“-Playlisten bekannt. Dem Albumtiitel treu bleibend, gehen die Gute-Laune-Beats runter wie Öl. Dazu besingt dann Davido auf Englisch – Pidgin – und auch hin und wieder in Yoruba vor allem die Kurven einer Angebeteten. Etwas irritierend sind die Hookline „I’m Michael Jackson ‘Dangerous’“ und das Chris-Brown-Feature. Musikalisch könnte das Album somit fast ein guilty pleasure sein, ein Sommer-Soundtrack passend zum Berliner Winter. Hätte man sich doch nur im letzten Jahrzehnt die falschen Schuldgefühle aufgrund großartiger R’n’B-Alben mit richtig viel Cheese abgewöhnt.
Craven Faults – Erratics & Nonconformities
Benedikt: Was für ein Epos. Das habe ich jedenfalls gedacht, als die sechs Tracks noch gänzlich ungehört in die Wochenend-Playlist wanderten, und mir eine Spielzeit von 72 Minuten erwartungsvoll und vielleicht auch ein kleines bisschen hämisch entgegenleuchtete. Denn Epos meint an dieser Stelle zunächst einmal weder große lyrische Kunst noch musikalisches Meisterwerk, sondern vielmehr schwergängige, und potenziell zähe Überlänge. Ein Wortverständnis, das sich in jungen Jahren eingeschlichen haben muss, wahrscheinlich dank der Ankündigungen von mit eben diesem Begriff bezeichneten Prime-Time-Highlights samt Überlänge und den entsprechend obligatorischen 47 Werbepausen, denen in Zeiten des linearen TVs kein Entrinnen war. Nun legt der mehr oder weniger anonyme Produzent namens Craven Faults aus Yorkshire nach drei EPs aber tatsächlich ein Debüt hin, bei dem nicht nur die Länge die musikalischen bzw. – hier vielleicht passender – die auditiven Erwartungen übertrifft. Oberflächlich betrachtet folgen die Tracks allesamt dem gleichen Muster: Kurze Synth-Motive, bisweilen nicht länger als zwei, drei Noten, kreisen im ständigen Stereo-Ping-Pong um sich selbst, dass einem zwischen den Kopfhörern fast schwindelig wird. Aus anfänglich zaghaften Wabern, über das sich auch die Percussions – falls überhaupt vorhanden – nicht hinwegzusetzen wagen, wird auf einer Länge von mehr als zehn Minuten ein zielstrebiges, zunehmend beschleunigtes und atonales Zusteuern auf einen unvermeidlichen Crash, der dann aber doch nicht passiert. Ohne es überhaupt bemerkt zu haben, umgeben einen bereits die minimal arrangierten aber gleichsam fülligen Drones des nächsten Titels. Was hier passiert ist schon ziemlich abgefahren, kann je nach eigener Verfassung gleichermaßen Kopfschmerz wie hypnotische Rauschzustände auslösen. Klingt so vielleicht Kraut im Jahre 2020? Dann gerne mehr davon.
Dan Deacon – Mystic Familiar
Ji-Hun: Der in Baltimore lebende Musiker und Komponist Dan Deacon hat sein sechstes Solo-Studioalbum veröffentlicht. Die ersten beiden Alben kamen noch auf Carpark heraus. Seit 2012 ist Dan Deacon bei Domino zuhause, die auch seine letzten Soundtracks für die Filme „Rat Film“ und „Time Trial“ herausbrachten. „Mystic Familiar“ ist im Vergleich zu den teils experimentellen Soundtracks ein klares und eindeutiges Album geworden. Eindringliche Pop-Momente treffen auf durchdachte Arrangements. Selbstbewusstsein schimmert durch. Man fühlt eingangs hier und da Broken Social Scene und Flaming Lips. Ein schönes Album, das gegen zweiter Hälfte einen schönen Turn Richtung Elektronik macht.