Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit David Kitt, Dominique A und Nicolas Jaar alias A.A.L.
David Kitt – Yous
Ji-Hun: 2001 erschien das Album „The Big Romance“ von David Kitt, das seinerzeit von der Kritik schon sehr gefeiert wurde und für mich persönlich eine Art Blaupause für Indie-Folk mit elektronischen Sounds gewesen ist. David Kitts Songwriting nährt von Nick Drake, Arthur Russell, aber auch irischen Folk-Einflüssen, denn immerhin ist Kitt auch aus Dublin. Ich habe den Künstler fast vergessen, hörte mir aber neulich mit großer Freude „The Big Romance“ erneut an und nun kommt nach neun Jahren (nach „The Nightsaver“) tatsächlich wieder ein neues Album mit dem Titel „Yous“ heraus. Es macht genau an dieser eigens geschaffenen, dezenten Schnittstelle zwischen wunderschönen, moderaten Songs und sympathischen, reduziert-ornamentalen Arrangements weiter. Was hat Kitt aber die letzten neun Jahre getrieben? David Kitt ist seit 2010 Mitglied der von uns ebenfalls hoch geschätzten Tindersticks und bei seinem anderen Projekt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Kitt produzierte in den vergangenen Jahren ebenso Dance-Musik unter dem Pseudonym New Jackson. Hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm. New Jackson kenn ich natürlich und fand ich schon immer großartig. Ist es doch so, dass es hier mit die besten Songwritings im Deep-House-Zirkus zu hören gibt – naja, macht alles plötzlich ja wieder so viel Sinn. Und so was schimpft sich Musikjournalist. Was kommt als nächstes? Burial ist Banksy? Aphex Twin D’Angelo?
Dominique A – Toute Latitude
Thaddeus: Seit ein paar Tagen glaube ich wieder an Algorithmen, mein Streaming-Anbieter hat mir tatsächlich das neue Album von Dominique A vor die Füße geworfen. Die Musik des Franzosen wird hierzulande weder promotet noch gewertschätzt – es ist schlichtweg schwierig, auf dem Laufenden zu bleiben. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ich dieses Album verpasst hätte. Denn drei Jahre nach Éléor schlägt Herr Ané auf „Toute Latitude“ einen deutlich anderen Ton an. Die Produktion wirkt frischer denn je, ist vorne raus elektronischer und hinten rum fokussierter. Die Synths und Drum Machines gehen überraschender und dankenswerter Weise vollkommen in Ordnung, klingen nicht zwanghaft modern, tragen also das Verfallsdatum ihres Sound Design nicht durch die komprimierte Lautheit. Im Gegenteil. Es flufft, 808tet und gerade die Basslines erinnern in ihrer Einfachheit an die Anfänge von Dominique A im Wettstreit des Chansons und New Wave. Natürlich wird auch das neue Album getragen von diesem unverwechselbaren Schwelgerisch-Melancholischen, das auch dann mitnimmt, wenn man den Texten nur unter größter Anstrengung bruchstückhaft folgen kann. Dominique A ist und bleibt ein großer Songschreiber. Der es selten schafft, seiner Kreativität Grenzen zu setzen. Wer die CD oder die LP kauft, bekommt doppelt so viele Stücke. Vinyl bestellt. In Frankreich. Wo sonst.
A.A.L (Against All Logic) - 2012-2017
Benedikt: Im Laufe seiner Karriere hat sich zwischen Nicolas Jaar und mir eine Art musikalische Entfremdung vollzogen. Ausklammern möchte ich hier Darkside, dem Duo aus Nicolas Jaar und und dem Multiinstrumentalisten Dave Harrington, das uns einen Nachfolger des großartigen Albums „Psychic“ bis heute schuldig geblieben ist. Dass Nicolas Jaar durchweg gute Musik produziert und sein eigenwillig entschleunigter Sound eine ganze Schar von Künstlern nachhaltig geprägt hat, will ich gar nicht infrage stellen. Nur ich selbst konnte damit nie völlig was und letztlich immer weniger anfangen. Auf seinem Label „Other People“ erschienen in den letzten Jahren immer wieder Stücke eines Künstlers namens A.A.L – Against All Logic. Das sich dahinter Jaar selbst verbergen sollte, kam erst nach und nach durch. Jetzt also ein ganzes Album jenes Monikers, dem Titel nach zu urteilen: Stücke der letzten fünf Jahre, die tanzbarsten Überbleibsel eines Künstlers, der doch längst mit Anderem ganz oben ist – und doch ist das hier so viel mehr als Resterampe. Das wird schon beim ersten Stück klar, dessen Titel die Platte gleich passend einrahmt: „This Old House Is All I Have“. Die Zutaten für „this old House“ sind längst bekannt: Alte Funk- und Soul-Platten werden durchkämmt, hier ein Cut, dort ein Slice, alle Samples schön zerstückeln und verfremden, damit das auch ja niemand zuordnen kann. Ranz-Kick unten drunter, punktiert-präzise oder schnodderig-flächige HiHats – ganz völlig egal – oben drauf, Synthie-Sound mittenrein, genau dahin wo kein Sample ist. Am Ende einmal alles durch die viel zu alte Waschmaschine, die längst nicht mehr säubert, dafür aber schön verwäscht und hier und dort ein Loch in die Textur haut. Fertig ist der wenig progressive und doch nicht totzukriegende (LoFi-) House, der irgendwie immer ganz gut geht, aber auch so gar nichts richtig will. Nicolas Jaar macht hier nicht alles anders, im Gegenteil, irgendwie gehört die Platte letztlich genau in diese Riege. Aber Jaar macht vieles so viel besser. Samples sind hier nicht bloß Füller und Instrumentalersatz, sie dürfen in üppiger Länge erklingen, wirklich genossen werden. Immer wieder läuft der Vierviertel leicht aber kaum merklich aus der Spur, immer wieder verspielt er sich bewusst in den Drum-Variationen und hier und da darf sogar der typische Jaar’sche Klaviersound mal ran – im Loop versteht sich. Schon 'ne echt gute Platte. Um es mit den Worten eines werten Kollegen zu sagen: „Nicolas Jaar, ich hab dich wieder lieb.“