Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Brandneu, wieder entdeckt oder aus der Geschichtskiste ausgebuddelt. Heute mit Curses, Roman Flügel und William Basinski & Lawrence English.
Curses – Romantic Fiction
Benedikt: Seit gut zwei Wochen hadere ich nun schon mit dieser Platte. Dass sie gefällt steht außer Frage, dafür wurde sie nun einfach schon zu oft gehört. Aber trotzdem. Es wirkt ein bisschen, als hätte der in NYC aufgewachsene Produzent sein Debüt auf Basis eines Moodboards designed oder eben: produziert. Sich also vorher eine große Tafel genommen und die mit Inhalten gefüllt. An dieser Tafel hängen Bilder von The Cure und Joy Division, Ausschnitte aus Post-Punk-Fanzines und Fotos von Leuten, deren Klamottenstil sie als New-Wave- und EBM-Hörige erkenntlich macht. Konzertfotos auf denen Gitarren zerschmettert werden finden sich ebenso, wie eine Ecke voller Bilder mit dem neuesten Roland-Gear jener Zeit. Ein bisschen Street- und Nightlife-Photography aus dem NYC der 80er verbindet die thematischen Eckpunkte miteinander. Irgendwann war das Board voll, zu einem runden Gesamteindruck verfeinert: So soll dieses Album klingen. Ein gutes Moodboard kann die beste Grundlage für ein großartiges Endergebnis sein – die halbe Miete sozusagen –, das weiß jeder, der im Job mal intensiv mit diesem Instrument gearbeitet hat. Warum ich nun hadere? Ein Moodboard ist nicht mehr als ein ästhetisches Gefüge aus einzelnen Versatzstücken, die jeweils gänzlich ihren Kontexten, in diesem Falle ihren musik-, gesellschafts- und kulturhistorischen Kontexten, entrissen und demgegenüber rücksichtslos neu zusammengefügt werden – ohne tiefe Auseinandersetzung, mitunter ohne gebührenden Respekt. Andererseits: Curses ist im NYC der 80er aufgewachsen und Erinnerungen an Kindheit und Jugend sind tatsächlich nicht selten einer genau solchen Moodboard-Mechanik unterworfen, sind Verknappung und Verklärung zugleich. Vielleicht steckt eben das auch im Albumtitel „Romantic Fiction“. Und vielleicht ist diese LP deshalb trotzdem ein tolles Debüt. Einige Male hören, werde ich sie mit Sicherheit noch.
Roman Flügel – Themes
Thaddeus: Roman Flügel ist einer der letzten anschlussfähigen Tausendsassa im Techno. Will sagen: Er ist viel zu talentiert und getrieben, als dass sich seine Musik auf einen Style oder eine Schublade reduzieren lässt. Gut so. Mit seinem neuen Album schlägt er ein weiteres Kapitel auf, das man so von ihm nur dann nicht erwartet hätte, wenn man ihn ausschließlich vom Dancefloor kennt – wir alles wissen, was diese Bekanntschaften wert sind. In detaillierten Skizzen legt er hier 13 Stücke vor, die keinen Regeln folgen, sondern eher offenbar einer Herzensangelegenheit. Wieder zu lernen, den Maschinen zuzuhören und deren Ursprünge sonisch abzubilden. Das klingt mal nach barockem Synth-Pop, mal nach diesen verrauschten SciFi-Soundtracks von wahnsinnig früher, mal einfach nach einer engen Brieffreundschaft mit Raymond Scott auf Downer. Von der Bassdrum lässt sich Flügel nur im absolutem Ausnahmefall ablenken und das ist wunderbar. Man kann „Themes“ als überaus informiertes Ambient-Album mit zahllosen Tentakeln hören. Oder als Bewerbung für den von Robin Guthrie geleiteten Bochum-Welt-Fanclub. Sollte man alles nicht tun. Denn obwohl die 13 Stücke miteinander auf wundervolle Weise Sinn machen und kohärente Stärke entwickeln, ist doch jeder Track eine ganz eigener Kosmos mit mehr Kapiteln, als man je lesen könnte. Es wäre wünschenswert, wenn zu dieser Platte ein Film entstünde.
William Basinski & Lawrence English – Selva Obscura
Ji-Hun: Die beiden Musiker Lawrence English und William Basinski kennen sich seit einigen Jahren. Ihre Wege kreuzten sich in Los Angeles oder auf Festivals in Zagreb. Geschwister im Geiste wie man ja sagt. Das Album „Selva Obscura“ ist die erste gemeinsame Aufnahme der beiden und referiert vom Titel her an Dantes Inferno, ist aber vor allem dem kürzlich verstorbenen Filmemacher Paul Clipson gewidmet. Ein enger Freund und ein wichtiger Protagonist der kalifornischen Film- und Musikszene. So bekommt das Ambient-Album zusätzliches Gewicht, zeigt aber auch, wie respektvoll und künstlerisch wertvoll so ein Nachwort akustisch erzählt werden kann.