Wochenend-WalkmanDiesmal mit Chris Liebing, Rejoicer und Ital Tek

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Brandneu, wieder entdeckt oder aus der Geschichtskiste ausgebuddelt. Heute mit Chris Liebing, Rejoicer und Ital Tek.

chris liebing burn slow walkman

Chris Liebing – Burn Slow

Benedikt: Es hat sich längst ausgeschranzt, auch bei Chris Liebing. Er, der den rau-ruppigen Hightempo-Techno in den 90ern von Frankfurt aus maßgeblich prägte, steht nach wie vor weltweit an den Decks. Doch der Dirt von damals ist einer technoiden Hochglanzpolitur gewichen. So wundert es auch nicht, dass sein drittes Album, das erste nach mehr als 15 Jahren, gar nicht erst versucht, eine im Laufe der Jahre verfallene Brücke in die Vergangenheit wieder aufzubauen. „Burn Slow“, gerade auf Mute erschienen, ist stringent glatter Techno mit einer satten Portion Pathos. Eine Stunde und 13 Minuten lassen sich Liebing und Ralf Hildenbeutel – sein alter Kollege von Eye Q Records, in dessen Frankfurter Studio die Platte entstanden ist – für ihre Erzählung der Nacht Zeit. Denn eine solche Erzählung ist „Burn Slow“ zweifellos. Das mittlerweile fast schon übliche Trimmen auf den Hausgebrauch, dem Peaktime-DJs nicht selten verfallen, sobald sie sich für die Produktion einer LP ins Studio setzen, wird einem dankenswerterweise erspart. Kein belangloses „Ambient“-Stück nach jeder zweiten Nummer. Stattdessen streben flimmernde Echos und dunkler Hall auf den Synthesizern im allglatten Viervierteltakt kompromisslos gen Dancefloor. Zwar schlagen „Card House“ (feat. Miles Cooper Seaton) mit Lo-Fi-House-Ästhetik, „Ghosts of Tomorrow“ und „Polished Chrome“ auch angenehm seichte Töne an, doch nur um in „Trilogy“ zu münden. Einem 20-minütigem Techno-Epos, das als radikale Konsolidierung eines hypnotischen Liebing-Sets daherkommt und den Höhepunkt der LP darstellt, den man sich mal geben sollte - auch wenn Politur und Phatos der Platte einem grundsätzlich widerstreben. Ein Lehrstück für den Unterschied zwischen Minimalismus und Essenz in Techno.

Rejoicer Energy Dreams

Rejoicer – Energy Dreams

Ji-Hun: Ich war dieser Tage im israelischen Restaurant „Gordon“ in Neukölln essen. Die Macher sind aus Tel Aviv: junge, engagierte, leicht chaotische, aber irrsinnig gastfreundliche Menschen. Es ist laut, DJs spielen House (es gibt sogar Platten zu kaufen), es ist rudelig, das Essen ausgezeichnet und man setzt auf die verbindenden Elemente zwischen Berlin und Tel Aviv und baut zugleich Netzwerke aus. Dass ich immer noch nicht in dieser Stadt war, überlege ich noch, meine interne Eimerliste abarbeitend und dann fällt mir – Musik für den Walkman suchend – auch noch das Debütalbum von Rejoicer in die Hände. Yuvi Havkin ist zufälligerweise nämlich auch aus Tel Aviv und „Energy Dreams“ kommt auch nur mal eben auf Stones Throw heraus. Ein Cherrypick der außergewöhnlichen Art. Vielleicht gar eine der Entdeckungen des Jahres. Die Produktion ist warm, brillant, ein Meer aus sanftem Bandrauschen. Features kommen nicht von irgendwelchen bekannten Labelmates sondern von seinem jüngeren Bruder Nomok, Guy Glikshtein und dem Pianisten Nitail Hershkovitz. Engstes Familienbusiness. „Energy Dreams“ könnte für Havkin der Start einer internationalen Karriere sein. Die Substanz dafür ist auf jeden Fall vorhanden und gefällt mir besser als vieles, was all die Four Tets und Floating Points die letzten Jahre verzapft haben.

Ital Tek Bodied Artwork

Ital Tek – Bodied

Thaddeus: Wer sich über den aktuellen Status Quo des dräuenden Sound Designs informieren möchte, hört dieses Wochenende das neue Album von Ital Tek. Auf „Bodied“ stürzt sich Alan Myson in eine abstrakte und doch auf bizarre Weise sehr einladende Welt, die gar nicht so düster ist, wie sie sich gibt. Hier sind die Rundbögen mit digitalem Pixelbrummen verstacheldrahtet, auf denen sich die Überreste des Ausgangsmaterials gen Abgrund ranken. Und das fußt anders als auf dem Vorgänger weniger auf erkennbaren Beat-Korsetts, sondern vielmehr auf einer frei fließenden Herangehensweise beim Erschaffen einer neuen Welt. Für Myson – so sagt er – war die Produktion dieser Platte eine Art des Freistrampelns, ein Konträrentwurf zu seinen Arbeiten für klar definierte Projekte mit umso klareren Begrenzungen für seinen eigenen Part. Genauso bold klingt das Album dann auch. Wie ein Dreibeiner aus H.G. Wells’ „Der Krieg der Welten“ brettert er durch die Schneisen der Klangverwüstung. Doch anders als diese Dreibeiner hängt bei Myson hinten ein kleiner Pflug dran, der neues Leben sät. Wer das dann ernten soll, ist Mysons Angelegenheit nicht. Wie auch? Man schaut eh immer nur hoch und bekommt Lust auf Weltraum. Ob Myson das wohl auch arrangieren könnte?

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