Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen.
Brainwaltzera – Poly-Ana
Ji-Hun: Es ist schon ein Geniestreich – dieses Debütalbum von Brainwaltzera auf dem Label FILM Recordings, das auch schon die Grandbrothers groß gemacht hat. Die EP „Aescopa“ auf dem selben Imprint hat bereits die Tragweite angedeutet und auch auf 13 Tracks und fast einer Stunde Spielzeit enttäuscht „Poly-Ana“ nicht. Es ist ein puristisches Elektronik-Album, jedoch mit Betonung auf Album. Feinfühlig arrangiert, komponiert und mit einem Referenzkatalog, einer glatten Eisfläche, auf dem ausnahmsweise keine Ausrutscher zu finden sind. Selbst Aphex Twin hat sich auf Soundcloud als Fan von Brainwaltzera geoutet (und für einen kleinen Hype gesorgt). Das Erbe von Warp ist es auch, das hier auf dezente, kluge Art und Weise fortgeschrieben wird. Zeitlos, elegant und mit starken Gefühlen. Ja, es ist IDM, vielleicht auch eine längst nötige Reinwaschung eines verloren gegangenen Straßenkindes, das die Orientierung vor vielen Jahren bereits verloren hat.
Savas & Sido – Royal Bunker
Benedikt: „Ich weiß noch, wie das alles begann, Dicka / Was ich tat, wie das Ding hier entstand, Dicka.“ Nein, niemand muss sich über 14 Tracks hinweg anhören, wie zwei Allstars des Deutschraps ihre Karriere Revue passieren lassen und dabei ne Menge Weihrauch abbrennen. Das Schöne: Man kann allerdings bedenkenlos tun. Und jeder, dem Sido und Savas vor allem eine schöne Erinnerung an längst vergangene Zeiten sind, wird „Royal Bunker“ eine Menge abgewinnen können – deutlich mehr als jeder Solo LP aus der jüngeren Vergangenheit der beiden. Savas kann man sich ja seit einiger Zeit nicht mehr anhören. Der die Grenze zum verschwörungstheoretischen überschreitende Schwachsinn, den der King or Rap in manchem Interview zum Besten gegeben hat, klingt ja durchaus auch in seiner Musik an, nicht zuletzt an Seite von Xavier Naidoo. Hier nicht, welch Glück. Und Sido ist längst Pop, von seiner einstigen Straßen-Ästhetik ist nicht mehr viel übrig. Nicht schlimm, im Gegenteil: glaubwürdig. Auf „Royal Bunker“ aber lebt das Damals in bester Battle-Manier mit gereifter Ästhetik wieder auf, ein bisschen Farbe kehrt zurück in verblassende Erinnerungen. 1997 entstand in Berlin Kreuzberg eine Open-Mic-Session, als die Kneipe schließen musste, ging man zum Tapelabel Mikrokosmos, 2000 wurde daraus schließlich Royal Bunker. Fumanschu, Justus Jonas und Savas veröffentlichten als Masters of Rap, kurz M.O.R., das Album „NLP“ und hoben Battle-Rap auf ein neues Level, Kay One, Eko Fresh, K.I.Z. und Prinz Pi, damals noch Prinz Porno, veröffentlichten ebenfalls Platten unter Labelpapa Staiger. Sido war als Teil von (Alles ist) Die Sekte beim Bunker, allerdings nur kurz. Dank der Mic-Sessions wurde der spätere Aggro-Berlin-Chef Eric „Specter“ Remberg auf die Crew aufmerksam und nahm sie, neben Bushido, gleich zum Start des Labels unter Vertrag. Es war nicht alle schön damals. Diss und Hass waren noch ernst, die wirklichen Kriege des Deutschraps wurden maßgeblich aus Richtung Bunker und Aggro Berlin geführt, finden auf dem Album hier aber keinerlei Erwähnung. Das ist verständlich, heute hat man sich ja lieb, trotzdem verkommt die Rekapitulation zur völligen Verklärung – und das ist dann doch ein bisschen schade. Man hätte auch diese Seite mal reflektieren können, aber „Royal Bunker“ wagt nichts. Trotzdem: Die beiden haben es immer noch drauf. Sido kann immer noch gewitzt und hart reimen, wenn er will, und Savas ist wohl der einzige Deutschrapper, der mit dem Alter weder Geschwindigkeit, noch Prägnanz in der Artikulation eingebüßt hat. Immer noch eine verdammte Flow-Maschine. Für kurzweilige Unterhaltung und ein bisschen wehmütig-wohle Erinnerungen taugt die Platte deshalb allemal.
Leyland Kirby – We, so tired of all the darkness in our lives
Thaddeus: Vor ziemlich genau einem Jahr veröffentlichte Herr Kirby seine letzte Platte als „The Caretaker“. Nicht die letzte im Sinne von: Das Ende des Projekts ist erreicht, sondern vielmehr das immer noch aktuelle Lebenszeichen, im Frühjahr 2018 soll die Reise weitergehen. Dieses Album hier versammelt Stücke, so schreibt Kirby, die ihm während der Arbeit am Caretaker-Projekt Kraft gegeben, ihn geerdet hätten, um den großen und selbst auferlegten Bogen nicht aus dem Blick zu verlieren. Es sind ältere Stücke, die bislang nie das Licht der Welt außerhalb seines Studios erblickt haben, neu geordnet und in Reihe gebracht. Die hier versammelten Tracks sind nur oberflächig dark und moody. Kirby schreibt Musik, die eine unbedingte Auseinandersetzung erfordert. Mit der Musik und sich selbst. Hier meint es jemand ernst. Mit jeder Millisekunde, die auf dem Rechner aus Nullen und Einsen entsteht. Das hier hat Größe und Haltung, lebt von diffuser Präzision. Traurigkeit klang nie heller und Mut machender. Das ist wichtiger denn je. Der Künstler selbst legt vor, was die Einordnung angeht: „It goes somewhere, it goes nowhere, there are drawn out synths, drums, piano and drift. It's about the fact that not everything need be angry, distorted or bombastic to show defiance. It's every bar stool I've sat on and am yet to sit on. It's me throwing myself down stairs again and again because I'm as sick of things as you are.“ Also. Stürzen wir uns gemeinsam mit Kirby die Treppe hinunter. Und werfen auf Bandcamp ein paar Euros ein, auch wenn man die Platte auch umsonst laden kann. „I'll raise the whisky glass for us all. You know the score.“