Wochenend-WalkmanDiesmal mit Blue Chemise, Studio Barnhus und Slime

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Brandneu, wieder entdeckt oder aus der Geschichtskiste ausgebuddelt. Heute mit Blue Chemise, Studio Barnhus und Slime.

Blue Chemise Artwork WWalkman 01092018

Blue Chemise – Daughters Of Time

Thaddeus: Kürzlich musste ich an Raymond Scott denken. Das kann vorkommen, denn bei allem Quatsch, den der US-amerikanische Komponist und Erfinder damals, als die Welt noch schwarz-weiß war, so komponierte und erfand, hat er der elektronischen Musik doch einen nachhallenden Stempel aufgedrückt. Automation, der Weltraum: der Planet wurde technisiert, die Industrie träumte von großen Errungenschaften, und Scott orchestrierte das für Image-Filme und Werbe-Clips. Und nebenbei machte er seine eigene Musik und baute Synthesizer. Wie ich nun von Raymond Scott auf Blue Chemise komme? Eigentlich gar nicht. Aber dem Album des Australiers Mark Gomes haftet ein ähnlich introvertierter Glaube an die eigene Vision an. Musikalisch gibt es hier wenige bis gar keine Überschneidungen, geschweige denn Anknüpfungspunkte. Die insgesamt 16 kurzen Tracks sind aber vergleichbar hinskizziert, driften immer wieder in eine mumpfende Obskurität (straight to Diktiergerät), sind dabei aber alles andere als obskur, sondern vielmehr kratzbürstig mitreißend. Natürlich ohne Beats, ohne Struktur, selbst den Anfang und das Ende sucht man hier eigentlich immer vergebens. Miniaturisierte Snapshots eben, kaum mehr als Impulse, die gar nicht anders funktionieren könnten. Hier gibt es nichts zum Ausproduzieren und zum Abmischen. Es ist vielmehr eine musikalische Auseinandersetzung mit der Welt da draußen. Das wollen ja immer alle machen, aber natürlich klappt das nie. Weil das Innere dann eben doch nach außen gekehrt wird. Bei Gomes spielt das keine Rolle. Der schreibt Hits für die Mittel- und Langwelle. So versendet sich die Essenz im Rauschen der Parabolantennen.

studio barnhus walkman

Various Artists - Studio Barnhus Volym 1

Benedikt: Wenn man sich in temporärer Gefangenschaft befindet, zum Beispiel nach verpasstem Flug – nicht meine Schuld, ehrlich – im Transitbereich des Flughafens Moskau Sheremetyevo, bleiben musikalisch zwei Optionen: Abreagieren und dem Frust freien Lauf lassen oder sich in aktuellen Releases auf die verzweifelte Suche nach Beruhigung und einem Quäntchen Positivity zu machen. Dank der Tatsache, dass es keinen Raucherbereich in erwähnter Transitzone gibt, der neu gebuchte Flug erst in sechs Stunden geht und der in sattem Pink erstrahlende Ausreisestempel im Russland-Visum den Weg zurück nach draußen verhindert, bleibt aus gesundheitlichen Gründen bloß die zweite Option. (Falls ich mich später doch noch umentscheiden sollte: siehe unten.) Wenn der Tag so läuft, überrascht es umso mehr, dass die Suche nach dem auditiven Sedativum unerwartet schnell ein gutes Ende gefunden hat. „Studio Barnhus ist viele Dinge – ein DJ-Trio, ein Label, ein Studio auf der Barnhusgatan in Stockholm, ein Farbklecks inmitten der Graustufen moderner Tanzmusik. Im Prinzip das, was passiert, wenn Axel Boman, Petter Nordkvist und Kornél Kovács zusammenkommen und Sachen machen“ (sic!). Nach nunmehr acht Jahren und um die sechzig Releases ist nun die erste Label-Compilation erschienen. Eine unfassbar phänomenale Platte, vollgestopft mit wunderschön gediegenem House, sentimentalen Synth-Pop-Anleihen, HipHop, dem Scharfen Zirpen von Hi-Hats deren Bestimmung dem Dancefloor gilt. Trotz großer Namen – Talaboman, Koze und Superpitcher lassen grüßen – verteilen sich Perlen unbekannter Künstler über die ganze Platte. Und irgendwie hat man das Gefühl, dass diese Musik sich selbst nicht ganz ernst nimmt. Vielleicht liegt darin die Rettung: Diese Situation hier einfach nicht so ernst nehmen.
Update: Nach kleiner Notlüge ist der Ausreisestempel annuliert, Marine-Bau auf Neon-Pink in feinstem Kyrillisch. Darauf eine Zigarette in der Sonne. Und vielleicht ein Schluck vom Wodka aus dem Duty Free. Denn der wird eh hierbleiben müssen.

Slime Schweineherbst Cover

Slime – Schweineherbst

Ji-Hun: Songtext „Schweineherbst“ der Hamburger Punk-Band Slime (1994):

Der Regen zog im Westen auf
Und wusch das Land hinfort
Frohsinn, Dummheit, Ausverkauf
Und dieses große Wort:

Deutschland - Ein Land kotzt sich aus
Einen alten braunen Brei
Und seh' ich aus dem Fenster
Wird mir übel von dieser Heuchelei
Deutschland!

Alle schauen sich hilflos um
Und wissen nicht, warum
Und in welchen Löchern die Ratten lagen
Die hier marschieren und losschlagen

Doch sie lagen nicht in den Löchern rum
Oft sahen wir sie auf der Straße gehen
Und sie grüßten dich mit gestrecktem Arm
Du hast einfach weggesehen

Deutschland - Ein Land kotzt sich aus
Einen alten, braunen Brei
Und seh' ich aus dem Fenster
Wird mir übel von dieser Heuchelei

Deutschland - Ein Land kotzt sich aus
Einen alten, braunen Brei
Mir wird schlecht von dieser Heuchelei!
Heuchelei!

Und wieder setzt du dich hin
Und fängst an zu beten
Dabei müsstest du wissen, du solltest schreien
Und diese kleinen Tiere zertreten

Doch das geht zu weit
Ich seh euch winden
Und während sie immer mehr
Menschen anzünden

Bist du noch immer am Reden, am Differenzieren
Man dürfe seine Werte jetzt nicht verlieren
Dieser Wert im Klartext heißt:
Das Weiterleben vom großdeutschen Geist!

Deutschland - Ein Land kotzt sich aus
Einen alten, braunen Brei
Und seh' ich aus dem Fenster
Wird mir übel von dieser Heuchelei

Deutschland - Ein Land kotzt sich aus
Einen alten, braunen Brei
Mir wird schlecht von dieser Heuchelei!
Heuchelei!

Die Tore fall'n ins Schloss
Und wer drin ist, wird gesiebt
Wie schade, dass es zum Sieben
Keinen schnelleren Weg mehr gibt

Heut' sah ich Eichmann auf der Straße geh'n;
Ich folgte ihm, er hat mich nicht geseh'n
Ich hielt eine Streife, zu erstatten den Bericht
Doch sie lachten mir nur ins Gesicht

Deutschland - Ein Land kotzt sich aus
Einen alten, braunen Brei
Und seh' ich aus dem Fenster
Wird mir übel von dieser Heuchelei

Deutschland - Ein Land kotzt sich aus
Einen alten, braunen Brei
Mir wird schlecht von dieser Heuchelei!
Heuchelei! Heuchelei! Heuchelei!
Heuchelei! Heuchelei! Heuchelei!

Gute KartenLuft ist nicht gleich Luft

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