Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Black Light Smoke, Shadowax und Mat Reetz.
Black Light Smoke – Nothing Makes Me Feel (Good Anymore)
Thaddeus: Der Titel dieses Mini-Albums (sechs Tracks, das ist ja weder noch, wenn man ehrlich ist) ist ja eigentlich eine schöne Annäherung an alle Missverständnisse, die der House Music in den letzten 15 widerfahren sind. Ist doch irgendwie alles House heute, und vor allem auch deep. Darüber kann Jordan Lieb natürlich nur munter lächeln – sein Label „Scissor & Thread“ auch. In den vergangenen Jahren hat sich hier ein Sound etabliert, der in schleifiger Langsamkeit, zerrenden Dubs und mit vielen Vocal-Samples eine klare Haltung gegen den Raubbau am Transzendentalen an den Tag bzw. die Nacht legt. Diese Haltung lässt all jene in stiller Euphorie zwischen den Gezeiten ihren Weg finden, die wissen, worum es geht und immer ging – und nimmt alle anderen, die damit noch nie konfrontiert wurden, liebevoll an die Hand. Aus der Zeit gefallene Tracks, deren Bassdrums mächtig sind. So mächtig, dass alle anderen Drums vorsichtig mitrattern und mitgrooven. Jordan Lieb hätte diese wunderbaren Stücke auch ganz anders produzieren können: modern, mit allen strukturellen „Notwendigkeiten“, um dem Klamauk-Zirkus 2019 gerecht zu werden. Hat er aber nicht. Stattdessen schreibt er Hits, die wie Demos klingen. Wie früher eben. Und wäre aktuell eben nicht 2019, sondern 1995, würde ich Mark Ernestus anrufen und ihn fragen, ob von „Golden Chains“ nicht ein Edit auf Main Street erscheinen sollte.
Shadowax – nikolai reptile
Benedikt: Shadowax ist keine unbekannte, ihre als Ishome veröffentlichten Tracks laufen ständig durch meine Play- und Setlisten, „Ken Tavr“ (gehört nicht dazu, aber) dürfte sogar recht vielen bekannt sein. Dass Mira Karyanova auch als Shadowax Musik macht, wusste ich bis dato nicht. Dass diese EP nicht von Ishome kommt, leuchtet dann wiederum schnell ein, wenn „nikolai reptile“ bzw. „Николай Рептайл“ erst einmal anklingt. Ohne Kenntnis der russischen Sprache lässt sich der lyrische Anteil der EP nicht entschlüsseln. Zwar geht es insbesondere um die Manipulation des Vocal-Elements. Doch entgegen der Gewohnheit heißt das nicht: Cutting, Slicing, oder Pitching bis der Arzt kommt – zumindest nicht im Titeltrack. Und so entzündet sich die Faszination nicht zuletzt an dieser inhaltlichen Rätselhaftigkeit, die sich durch kein noch so oftmaliges Hören des langsam und auf tiefster Bass-Synth-Line daherstampfenden Tracks, auflösen lässt. „Ochen“ ist das Gegenteil: Ein Vocal-Fetzen in ewiger Repition, der sich langsam aus den Fängen des Vierviertels befreit, um sich schließlich über einem Post-Dubstep-Beat zu ergießen. Wer mit alldem nichts anfangen kann, darf sich von „What About Me“ am Punkt der üblichen Erwartungen elektronischer Tanzmusik abholen lassen oder seinen Frust jenseits der 145BPM als „Mortal Talking“ ausleben. „nikolai reptile“ ist die erste EP von der Künstlerin beim Kraviz-Label Trip. Und mir gefällt sie.
Mat Reetz – Unturned Stones
Ji-Hun: Der aus dem Ruhrgebiet stammende Musiker Mathias Reetz hat sich seit 20 Jahren dem Alternative Rock/Indie verschrieben. Zunächst mit seiner Band Junias und seit 2010 als Sänger der Band Blackmail. Wenn Mathias solo Musik schreibt, widmet er sich seinem eigentlichen Talent: dem Songwriting. Nun hat Mathias als Mat Reetz sein neues Album veröffentlicht. „Unturned Stones“ nennt sich das 28 Minuten kurze Album mit sieben Songs. Und es ist ein besonderes Album geworden. Nicht nur, dass diesmal die verzerrten und breiten Gitarren, wie auch klassische Songstrukturen völlig aus dem Fokus gewichen sind, auch ist es seine musikalisch eindringlichste und intimste Arbeit geworden, die vor allem seine Kraft daraus gewinnt, eben so wenig wie möglich zu machen. Die Songs auf „Unturned Stones“ sind impressionistische Gitarrenskizzen, die durchaus Erinnerungen an Fennesz oder auch The Gentlemen Losers aufschimmern lassen. Im Herzen sind die Harmonien aber doch Indie und auf ästhetische Strahlfähigkeit und Kadenzialität bedacht. Ein minimales Lo-Fi-Album, das in seiner Einfachheit wundersame Geschichten erzählt, die bei Absenz von Lyrics und gerufenen Messages dennoch sehr persönlich anmuten. Eine mich sehr glücklich stimmende Perle selbstveröffentlichter instrumentaler Indie-Musik.