Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Bing & Ruth, Galcher Lustwerk und Yo La Tengo.
Bing & Ruth – Species
Ji-Hun: Bing & Ruth ist das minimalistische Ensemble-Projekt des New Yorker Komponisten David Moore und dieses bringt nun auf 4AD das fünfte Album heraus. „Species“ nennt sich die Arbeit, die ein altes, fast vergessenes Instrument in den Mittelpunkt stellt: eine elektronische Orgel von Farfisa. Die italienische Marke steht mit ihrem Namen wie Uhu und Tempo quasi symptomatisch für elektronische Orgeln. 1987 übernahm der Konkurrent Bontempi die Firma. Und auch wenn Farfisas bei Pink Floyd, Kraftwerk und Jean-Michel Jarre zum Einsatz kamen, spielen sie in der elektronischen Produzent:innenszene eher eine untergeordnete Rolle, alleine auch deshalb weil es sich um eine Orgel-Simulation handelt und im Gegensatz zu Moog und Doepfer weniger Klangmodulationsmöglichkeiten bietet. Dennoch gelingt Bing & Ruth eine wunderbare Rehabilitation der Farfisa. Breite und augmentierte Harmonieprogressionen, teils sakral dennoch sehr intim und emotional. Instrumental kommen Klarinette und ein Kontrabass hinzu. Ein klassisches, dennoch irgendwie unorthodoxes Instrumentarium, das im Guten von Beginn an wohlig einlullt und trübselig, aber auch träumerisch trippt.
Galcher Lustwerk – Proof
Benedikt: Erst Ende letzten Jahres erschien das Album „Information“ von Galcher Lustwerk bei Ghostly, jetzt legt er mit „Proof“ eine ausgedehnte EP nach. Auf butterweichen Pads gebettet wird zum geistigen, träumerischen Drift geladen. Die ständige Präsenz von Stimme und Lyrics, für die der New Yorker ja insbesondere bekannt ist, trägt ihrerseits zum Schwebezustand bei. Die anfängliche Befürchtung, dass die Platte nach hinten raus in Langeweile münden könnte, wäre gar nicht nötig gewesen. Denn die stilsichere Eleganz des Deep House wird hier immer wieder von unprätentiösen, fast schroffen Effekten durchstoßen, die gut und gerne aus nem abgenutzten DJ-Mixer kommen könnten. Ziemlich gut einfach.
Yo La Tengo – We Have Amnesia Sometimes
Thaddeus: Ich will hier meine uneingeschränkte Bewunderung für Yo La Tengo gar nicht en detail erklären, offenlegen oder gar rechtfertigen. Die Band hat mir dafür viel zu viele schöne Momente beschert. Die neue E.P entstand – natürlich – im Lockdown. Zehn Tage lang traf sich die Gruppe Ende April/Anfang Mai im Proberaum, stellte sich extra weit auseinander und spielte drauf los. Während in irgendeiner Ecke, mindestens in der Teeküche ein Fernseher lief, und die Ereignisse ihren Lauf nahmen. Die Titel der fünf Tracks – keine Songs – lassen sich als eine Art Wrap-up der jeweiligen Tage interpretieren, die tatsächliche Musik ist wirr, mitunter ein bisschen desorientiert, roh, dann einfach wieder nur wunderschön. Jams halt. Das dürfte niemanden vom Hoboken-Hocker reißen, der keinerlei Beziehung zu Yo La Tengo hat. Für alle anderen jedoch ist „We Have Amnesia Sometimes“ eine willkommene Bereicherung, an die man sich auch dann noch erinnern wird, wenn die Amnesie wirklich Teil des Alltags wird.