Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit Big Thief, SSTROM und Brian Harnetty.
Big Thief – U.F.O.F
Ji-Hun: Das Schöne an Bands ist, dass sie mit der Zeit wachsen können. Große Bands können bekanntlich besonders wachsen. Dabei geht es gar nicht allzu sehr nur um Technik und Timing sondern auch um das Finden eines gemeinsamen Vokabulars, einer eigenen Sprache. Eine Art kollektiv gefundenes Timbre. Big Thief ist gerade dabei, so eine große Band zu werden. Die ersten beiden Alben „Masterpiece“ und „Capacitiy“ waren ziemlich großartig. Das nun erschienene „U.F.O.F“ untermauert noch mal den Status, den das Quartett um Adrianne Lenker erreicht hat. Nach den ersten Hypes um Lenker und Co. wurde nicht der klassische Fehler begangen, mit dem dritten Album besonders anschlussfähig klingen zu wollen. Die einzelnen Songs sind allesamt minimalistische und doch kleine Meisterwerke. Eines der besten Alben des Jahres bislang.
SSTROM – Drenched 1-4
Benedikt: Irgendwie bin ich bei der Betrachtung des aktuellen Release-Panoramas an SSTROMs „Drenched“ hängengeblieben, der ersten von drei EPs, die nun im jeweiligen Abstand von drei Wochen als Serie erscheinen sollen. Mit dem Album „Otider“ aus dem letzten Jahr hat das hier erstaunlich wenig gemein, was aber sehr genehm ist, denn nach kurzer Rückschau ginge dieses oder ein ähnlich geartetes Album an diesem Wochenende für mich gar nicht. Zwischen der letzten EP „Vitriol“ und dieser Serie ist wohl auch der Computer von Hannes Stenström ins kalte Nass eines Drinks getaucht und war daraufhin erwartbar hinüber. Nicht auszuschließen, dass darauf (un)wichtiges gespeichert war und diese EP deshalb mit der Hälfte des Geschehens auskommen muss, die vorherige SSTROM-Releases versprachen. Dieser eisgekühlte, weitestgehend von Überraschungen freie Dub-Techno zieht sich dahin wie die erste Hälfte eines Vipanassa-Retreats. Und bringt mich aller Dancefloor-Gewaltigkeit zum trotz zur völligen, innerlichen und äußerlichen Ruhe. Tut gut.
Brian Harnetty – Shawnee, Ohio
Thaddeus: Harnetty beschreibt seine Arbeit als „sonic ethnographer“. Was das bedeutet, kann man auf packende Art und Weise auf seinem neuen Album hören. Shawnee, das ist ein Kaff in Ohio, eine typische Minen-Stadt, gegründet 1870, in der immer hart gearbeitet wurde, es aber doch nie voran ging. Harnetty selbst hat familiäre Beziehungen mit Shawnee – seine Vorfahren kamen dort bereits 1872 aus Wales an, um ein neues Leben zu beginnen. Mit dem Album arbeitet der Musiker die Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner auf – in Form einer in Musik gegossenen Oral History. Interviews mit Bewohnerinnen und Bewohnern – geführt über mehrere Jahrzehnte und nur durch Zufall im Stadtarchiv gefunden – dienen ihm als Backdrop für seine vorsichtigen kammermusikalischen Stücke – so lange wenigstens, bis die Interviewten gar nicht reden, sondern viel lieber selbst singen wollen. Sich das anzuhören, ist so wundervoll wie irritierend. Die persönlichen Geschichten und Erinnerungen ermöglichen einen Schritt ins Private, mit dem man erst zurechtkommen muss. Das Porträt, das auf diese Weise entsteht, geht unter die Haut. Denn Shawnee war und ist eine geschundene Stadt: früher Kohle, heute Fracking. Vor diesem Hintergrund bekommen die Storys ganz automatisch mehr Dramatik. Man versucht, sich in die Situation der Menschen hinein zu versetzen, das nach zu empfinden, was ihnen früher passierte, mit welchen Problemen und Situationen sie konfrontiert waren. Und man versucht auch, sich vorzustellen, was das überhaupt für Menschen waren. Ein großes Werk voller Tiefe – und ein wichtiger Beitrag für die Geschichtsschreibung der Vergessenen.