Wochenend-WalkmanDiesmal mit Arandel, The Flaming Lips und Bonobo

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Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.

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Arandel – Aleae

Thaddeus: Bislang waren die Veröffentlichungen von Arandel zumindest immer ... interessant. Mitunter stressig, latent unverständlich und verstrubbelt querköpfig, passend zur tapfer durchgehaltenen Anonymitätskampagne des Projekts. Wer und wie viele? Höchste Geheimhaltungsstufe. Man könnte das bestimmt leicht und nachhaltig recherchieren; dass einem so ein Habitus jedoch in unseren modernen Zeiten (immer) noch durch den Newsfeed fährt, ist ja eigentlich ganz sympathisch. Das Gleiche gilt auch für die neue EP, oder sagen wir lieber Mini-Album: 40 Minuten! Der fünfteilige Opus ist laut Waschzettel „dedicated to the body and feets’ awakening to creative spontaneity and randomness“. Aha! Dabei beginnt die Platte – wie immer auf Infiné veröffentlicht – ziemlich konventionell: Der Dancefloor steht Arandel nicht besonders. Wer durchhält, wird jedoch belohnt. Immer spezieller, immer eigenständiger, immer brillanter, immer mitreißender nimmt einen „Aleae“ mit, stellt den ohnehin immer schon präsenten „Instrumente ohne Grenzen“-Ansatz sehr konzentriert und kompromisslos auf die Bühne der engen automatisierten Schneekugel und dreht sich sanft und stetig. Es ist schließlich das fünfte und finale Stück, dass alle Dämme brechen lässt. Ein von britischer Ambient-Elektronika der 90er-Jahre inspirierter Jam – geklaute Sounds inklusive – trifft auf die unfassbarsten Blade-Runner-Zitate von Vangelis. Episch lang, episch gut, episch Augen öffnend, zusammengehalten von einer pulsenden Bassdrum. Da schieben selbst die Weltraumverächter ihre rasenden Falken aus der Garage in die Auffahrt für eine Intensivwäsche: guten Flug!

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The Flaming Lips Oczy Mlody Cover WW21012017

The Flaming Lips – Oczy Mlody

Ji-Hun: Vor einigen Wochen hörte ich Radio Eins in meiner Küche und ein neuer Song von The Flaming Lips wurde gespielt. Toll, dachte ich noch. Endlich mal wieder was Gutes im Radio und der Moderator danach: „Das war die neue Single von einer unbekannten Band aus Oklahoma. Sie heißen The Flaming Lips, machen zwar schon eine Weile Musik, aber könnte sein, dass die jetzt ihren Durchbruch haben.“ So oder ähnlich. Das hat mich dann doch ziemlich stutzig gemacht, was die musikalische Kompetenz der öffentlich-rechtlichen Musikredaktionen anbetrifft. Aber mei, in Zeiten, in denen Intendanten Instagram-Follower von Radiomoderatoren wichtiger sind als eine gute Stimme, geschweige denn Ahnung von Musik … The Flaming Lips gibt es seit 1983, sie sind in der Tat aus Oklahoma, haben 14 Alben releast, dazu fünf Cover-Alben und haben so viel mehr schon erreicht. Drei Grammys haben sie nebenbei gewonnen (wen interessiert’s?). Die Band um den Sänger Wayne Coyne ist vielleicht aber auch die innovativste Band aller Zeiten. Sie veranstalteten Parkplatzkonzerte, bei denen 40 unterschiedliche Tapes simultan in 40 verschiedenen Autos auf einem Parkplatz gespielt wurden. Veröffentlichten 2011 eine 24 Stunden lange Single auf USB, die in einem lebensgroßen Totenschädel kam. Sie haben den Weltrekord für die meisten Konzerte innerhalb von 24 Stunden inne (acht Performances um genau zu sein). Das Album „Zaireeka“ musste auf vier CD-Playern gleichzeitig abgespielt werden, um in Gänze gehört werden zu können. Sie waren die ersten, die Konzerte über Radiotransmitter und Kopfhörer performten, lange bevor es Silent Discos auf Festivals gab und und und. The Flaming Lips waren aber schon immer mehr als die Stockhausens des Indie. Sie sind auch immer eine großartige Band gewesen, mit großen Songs, immer an der Kante, nie angepasst. Und das ist auch bei dem neuen Album „Oczy Mlody“ nicht anders, das wieder mit der Produzentenlegende Dave Fridmann (Weezer, Sparklehorse, Mercury Rev, Mogwai, Low, MGMT, The Delgados, Tame Impala) aufgenommen wurde. Die perfekte psychedelisch-synästhetische Farbtapete für den hartkratzigen Januar. Das nächste Mal, lieber Radio-Eins-Mensch, sollten Sie genau so etwas erzählen, wenn die Rotation mal wieder was von den Flaming Lips auf dem Teller haben sollte. Das hätten diese fantastischen Künstler nämlich wirklich verdient.

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Bonobo Migration Walkman Januar 2016

Bonobo - Migration

Benedikt: Mit den sanft-jazzigen Downtempo-Stücken von „Black Sands“ hat Bonobo mich damals von der ersten Sekunde an gepackt. Wenn heute noch Songs wie „El Toro“, „Kiara“ oder „Kong“ erklingen, befinde ich mich plötzlich im Damals, sehe unter mir den Sperrholz-Boden einer WG inmitten der Bielefelder Innenstadt, der ich tatsächlich auch heute noch so manches Mal einen Besuch abstatte, wenn es mich in Richtung OWL treibt. Ich sinke in einem alten Sofa ein, den Haschspliff in der einen, Rotwein in der anderen Hand. Draußen ist’s scheißkalt. Scheißegal, in Zeiten des sorgenfreien Studentenlebens, bestehend aus Fotografie, Schreiben, Kunst und Musik in all seinen Darreichungsformen, ohne dass irgendwas davon wirklich wichtig gewesen wäre. Oder vielleicht doch. Als dann nämlich „North Borders“ erschien, pflegte ich bereits das Praktikantendasein im Haus der DE:BUG, saß zum ersten Mal Kollege Thaddeus Hermann gegenüber, seiner doch eher skeptischen Mimik, ob meiner Begeisterung für die Downbeat-Klänge des Briten, die da aus dem Redaktionslautsprecher schalten. Und obwohl ich „The North Borders“ als Album nicht annähernd so fest in der Musikabteilung meiner Biographie eingeschlossen habe wie noch „Black Sands“, erwuchs daraus mein erstes Interview mit einem in meinen Augen wirklich großen Musiker. „The North Borders“ war mehr auf Beats fokussiert, kratzig-knisternde Burial-Sounds, komplexe Percussion, bis hin zu House und Erykah Badu. Und doch war es weniger warm und homogen, klang ein wenig kalkulierter.
Soweit zur Vorgeschichte. Auf „Migration“ verschmilzt das Beste beider Vorgänger zu neuer Qualität. Schon der Opener bringt mit hauchzarten Vocals und organisch klingenden Drums die Wärme von „Black Sands“ zurück, mit Rhye legt sich schließlich die wohlige Melancholie über den Hörer, in der man sich lieber gern badet, alsdass sie belastet. Beides bleibt, auch dann, wenn die Percussion vertrackter wird, wenn sich die in Afrika verwurzelten Gesänge von Innov Gnawa über das Sounddesign von Simon Green schieben oder der Beat sich in Richtung House begradigt. Spliff und Wein anywhere? Einzig der Song an Seite mit Nick Murphy (fka Chet Faker) könnte dieser ansonsten wunderschön daherrauschenden Platte egaler nicht sein.

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Disco-Diskurs in DortmundDas Filter empfiehlt: Podiumsdiskussion und Party „Electronic Body Music. Ordnung in und als Bewegung“ am 18. Februar

Leseliste 22. Januar 2017 – andere Medien, andere ThemenGroßes Tennis, William Gibson, Londons Clubsterben, Aufbegehren