Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Apparat, Everything Is Recorded und Lorenzo Senni
Apparat – Capri-Revolution
Thaddeus: Es ist 2020, und Sascha Ring startet sein eigenes Label. Dessen Name könnte treffender nicht sein: It’s Complicated Records. Von der aktuellen Lage abgesehen, ist auch Apparats musikalisches Output mindestens sehr vielschichtig. Natürlich kennt man ihn von seinen Solo-LPs, wie zuletzt vor einem guten Jahr. Und von Moderat. Beides kostet viel Zeit, füllt jemanden wie Ring jedoch nicht wirklich aus. Auf seinem eigene Label sollen nun über das Jahr verteilt die Kompositionen erscheinen, die man vielleicht gar nicht auf dem Zettel hat: Soundtracks, Theatermusik etc. Auch in diesen Metiers hat er schon lange einen erfolgreichen Fuß in der Tür. Los geht es mit „Capri-Revolution“, den 2018er-Film des italienischen Regisseurs Mario Martone. Beide kennen sich gut und haben schon bei diversen Projekten zusammengearbeitet. Ohne den Original-Score zu kennen, geschweige denn den Film gesehen zu haben, nehme ich dieses Album genau so – als Album. Und das funktioniert wundervoll. Vielleicht hilft es, dass Ring die Musik neu editiert hat – so ist zu lesen – und so dem bei Soundtracks oftmals auftretenden Problem zuvorkommt, dass die Stücke zu kurz, zusammenhangslos und ohne jede Visualität an einem vorbei rauschen. „Capri-Revolution“ ist „gripping“, wie man so sagt. Großes Sound Design, epische Melancholie und exakt passendes Geräusch. Ein paar Vocals, so gut wie keine Beats. Es ist intensiv und doch irgendwie flüchtig. Nicht schwer, nicht berechnend-lapidar. Ein ziemlich fantastisches Album. Nichts anderes hatte ich von Apparat erwartet.
Everything is Recorded – Friday Forever
Benedikt: Eigentlich klang das Debüt des XL-Bosses Richard Russell aus vorletztem Jahr so gar nicht nach Fortsetzung – „Everything is Recorded“. Spätestens jetzt ist aus dem Statement also ein Alias geworden, hinter dem Richard Russell auch dieses Mal wieder einen größeren Kreis von Musikern zu gemeinsamen Jam-Sessions versammelt hat. Statt größerer Namen sind es diesmal vor allem unbekanntere Künstler_innen: FLOHIO, Aitch, A.K. Paul, Maria Somerville. Die meisten Gastauftritte kommen derweil von Infinite Coles. Der Sohn von Ghostface Killah war schon auf dem Debüt dabei. Neben dessen Papa ist Penny Rimbaud hier der einzige unmittelbar auffallende Name. Für mich war der Vorgänger eine der großartigsten Platten des Jahres 2018. Meine Skepsis konnte Russell in den letzten zwei Wochen leider nicht ausräumen. Zwar ist auch das ein oder andere Highlight dabei, „10:51 PM / The Night“ mit BERWYN und Somerville ist schlicht großartig. Auch die Produktionen selbst überzeugen wie schon vor zwei Jahren mit ihrem schlichtem Jam-Charakter der auf Basis von Samples arrangiert und mit Texturen angereichert wird. Aber es zündet nicht. „Friday Forever“ plätschert im Downtempo vor sich hin und obwohl die Musiker selbst alle einen guten Job machen, bleiben die Momente der Begeisterung und Überraschung aus. Und was bizarr ist: Trotz der musikalisch hohen Deckungsgleichheit der 12 Songs fügen sie sich nicht richtig zusammen, wird das Auseinanderbrechen der Platte nur durch seidene Faden verhindert. Das hier ist natürlich Meckern auf allerhöchstem Niveau. Aber wir sprechen hier eben auch vom Chef des bedeutendsten Indie-Labels der Welt.
Lorenzo Senni – Scacco Matto
Ji-Hun: Mich erinnert „Scacco Matto“ von Lorenzo Senni ein wenig an das Album „Atavism“ von SND von 2009. Dabei geht es weniger um die Klangwelten als viel eher um den abstrahierenden Ansatz. Haben SND bei „Atavism“ House von der Bassdrum befreit, so macht es Senni in seiner ersten großen Arbeit für Warp für opulenten Trance und Rave. Durch die bewusste Wegnahme der geraden, lauten Kick schaffen beide Alben eine ganz eigene Dringlichkeit. Sennis Tracks sind vollgepumpt mit hypermelodischen Harmonien. Es könnte auch Anime- oder Games-Musik sein. Es ist aber kein Kitsch. Am Ende ist es Rave in einem ganz eigenen barocken Destillat. Hier gibt es keine Zeit für lange monotone Passagen. Der Raum muss konsequent, dicht und assoziationstauglich bespielt werden. Denn wer braucht schon die großen Massen, kollektivierende Sommer voller Liebe, Festivals – könnte ein trotziger Subtext sein, der aber auch nur wegen der derzeitigen Umstände eine noch intensivere Gewichtung bekommt. Ein Album wie aus der Zeit gefallen und umso perplexer zeitgemäß.