Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen.
Anton Kubikov – Whatness
Jan-Peter: Vor fünf Jahren gab es ein schönes Compilation-Projekt namens „A Tribute To Harold Budd“, für das Künstler wie Taylor Deupree, Deaf Center oder Porn Sword Tobacco ihre persönliche Hommage an den Proto-Ambientmann produziert haben. Da hätte die Hälfte dieses Albums mit reingepasst. Viele der Tracks auf „Whatness“, allen voran „Timeless“ und „Kurt's Forest“, klingen wie von Budd gemacht. Das soll nichts Schlechtes heißen, ohne Harold Budd fast keine vierstündige Zugfahrt für mich. Aber würde ich dieses Album ... Was ist eigentlich das Pendant zu blindverkosten? Blindhören? Wüsste ich nicht, dass es von Anton Kubikov ist, ich würde es wohl nicht raushören. Kubikov bildet zusammen mit Maxim Milutenko das Duo SCSI-9, russische Techno-Pioniere, die auf Kompakt die beiden schönen Alben „The Line of Nine“ und „Easy as Down“ veröffentlicht haben. Sie sind die Romantiker des Labels. Jetzt also Kubikov solo. Von den elegischen Streicherflächen so mancher SCSCI-9-Nummer ist hier wenig zu hören, sein Ambient ist minimalistisch, das einsame Klavier wagt auch mal Schritte ins Atonale, das Album ist insgesamt sehr retro und manchmal eine Spur zu New Age für meinen Geschmack. Aber fair enough: Es ist ein schönes Ambient-Album für den bislang noch etwas launischen Sommer. Nicht der Ich-kuschel-mich-ein-Winter-Popambient, mehr der Hach-ja-Sommer-wo-bleibst-du-Ambient.
SW. – The Album
Benedikt: Ursprünglich im November letzten Jahres als Vinyl-only via SUED (15) erschienen, schiebt Apollo jetzt das digitale Re-Release nach. Da freuen sich die CDJs dieser Welt, entpuppt sich die Platte doch als einer der schönsten Trips der Saison in Richtung House – und ist ganz nebenbei ein Debütalbum. Das sagt zumindest der Pressetext, ist eigentlich aber glatt gelogen. Hinter SW. verbirgt sich Stefan Wust, neben Sven Rieger (SVN) einer der Gründer von SUED. Guter Output ist lang erprobt, die beiden veröffentlichten schon vor fast 15 Jahren zusammen mit Peter Hansen Musik als You Dee. Stöbert man durch Discogs, merkt man schnell das SW. und SVN. nie wirklich weg waren, aber dieses Dickicht aus Aliasen, Labels, Mitwirkungen und Erscheinungen der letzten zehn oder auch nur drei Jahre zu entzerren, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Nehmen wir das hier also als „The [one and only] Album“. Die A-Seite – ich tue mal so, als wären wir immer noch beim Vinyl, denn Tracktitel gibt’s eh nicht – holt einen ab, wo immer man ist, bettet einen auf federleichter House-Wolke mit sanfter Bassline und ordentlich Farbe auf den Pads. Abgesetzt wird man ein paar Meilen weiter oben, wo nichts ist, fast schon Stille, aber das Wetter ziemlich gut. Ist das da hinten etwa die Skyline von London? Ungeahnt drückt auf einmal die Kick und zischt die geschlossene HiHat der B3 durch die bis eben gar nicht wahrgenommene Kellertür im Rücken, der salzige Geruch eines House-Floors unter tropfender Decke steigt in die Nase. Von wegen London, dieser Laden muss irgendwo zwischen Chicago und Detroit liegen. Ein Groove von damals stampft im Tempo von heute dahin, wird noch langsamer und kommt völlig zum Erliegen. Die D3 gewährt einen letzten tiefen Blick auf die Masse zur Peaktime in stickiger Dunkelheit, bevor das Wolkentaxi kommt, um einen wieder nach Hause zu bringen. Gelandet grinst man lange weiter. Und fürs nächste Mal werden Gruppenticket und Großraumtaxi gebucht.
DB1 – Zwischenwelt
Ji-Hun: Eigentlich ist das Label Hidden Hawaii thematisch ja die Baustelle des werten Kollegen Herrmann. Da er diese Woche aber pausiert, widme ich mich mal dem wunderbaren Imprint von Felix K. DB1 nennt sich dieser Londoner Producer, der das Album „Zwischenwelt“ vor kurzem auf dem Berliner Label herausgebracht hat. Hidden Hawaii hat sich schon immer mit dem Erbe des Drum and Bass und Techno und seinen speziellen Schnittstellen auseinander gesetzt und das ist hier nicht viel anders. In zehn Tracks dekliniert DB1 nahezu programmatisch die Zwischenwelt zwischen Ambient, Drum and Bass, Dub, Techno und Minimal. Im Positiven wird hier das „Zuwenig“ zelebriert. Wenn auch die Sounds und ihre Referenzen stets klassisch sind, in der Erscheinung wirkt alles zeitgemäß und atmosphärisch erfrischend. Rauschende Modular-Racks, überlegte Spannungsbögen, alles in einem elegant reduzierten Setting. Die eigentliche Kraft gewinnt das Album durch das Imaginative beim Hörer. Auch wenn keiner der Tracks sich ohne weiteres für den Peaktime-Dancefloor eignen würde – im Kopf findet ab einer gewissen Hingabe ein ganz außergewöhnlicher Rave statt. So mit hinsetzen und am liebsten mit Lagerfeuer, aber dennoch mit viel Power aus der Region, wo sich sonst auch mal die Schmetterlinge niederlassen.