Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.
Anthony Parasole – Infrared Vision
Benedikt: Schon eine ganze Weile tummelt sich der in Brooklyn geborene Anthony Parasole im Umfeld des Berliner Ostbahnhofs. Zusammen mit Techno-Talent Levon Vincent betreibt er das Label Deconstruct Records, Platten hat er schon bei der Berghain-Plattenschmiede Ostgut Ton, über die eigene Marke The Corner und Marcel Dettmans Imrpint MDR veröffentlicht. Dass sein Debüt „Infrared Vision“ jetzt via Dekmantel erschienen ist, scheint da umso erstaunlicher – zumindest aus seiner Richtung gedacht. Denn andererseits: Dass man beim zum gleichnamigen Festival gehörenden Label stets guten Geschmack beweist, ist hinlänglich bekannt. „Infrared Vision“ zelebriert den musikalischen Bogenschlag zwischen House und Techno, der New Yorker kann eben doch nicht nur ostgute Tonalitäten. Einflüsse aus HipHop und Jazz sind unverkennbar, wenn sich die Platte von House in Richtung Techno und wieder zurück schiebt, nur um dann doch irgendwo dazwischen zu verharren. Und wenn auch Industrial (Rock) und EBM da irgendwo durchschlagen, ist es am Ende doch der unvergleichlich stilvolle Tribut an den einen, den goldenen Loop, der zwar von Melodien durchkreuzt wird, sich aber dennoch auf fünf Minuten strecken lässt – und schlicht überzeugt. So rauscht Anthony Parasoles Debüt einfach durch und am Ende wird das Taxi in Richtung Ostbahnhof Berlin gerufen. Man weiß ja um die Wiege.
Conrad Schnitzler & Pole – Con-Struct
Thaddeus: Stefan Betke bringt es selbst auf den Punkt. Im Info zu dieser Platte fallen gleich mehrere Stichworte und Assoziationen zum Werk von Conrad Schnitzler, die mir aus der Seele sprechen: „irrwitzig vielfältig“ und „Ich wurde früher nie ganz warm mit Schnitzlers Arbeiten“. Amen. Und doch ist der 2011 verstorbene Musiker und Künstler eine dieser vermeintlichen Lichtgestalten der deutschen Elektronik-Szene, die immer wieder als Referenz genannt wird. Tatsächlich sind Tracks wie „Ballet Statique“ oder „Zug“ irgendwie schon immens wichtig, gehen aber genauso im Einerlei der Synthesizer-Musik unter. Remixe gab es in den vergangenen Jahren zuhauf, alles nicht sonderlich wichtig oder beeeindruckend. Betke – also Pole – macht das viel besser. Es ist bereits der dritte Teil der „Con-Struct“-Reihe, die das Label Bureau B hiermit vorlegt: Pyrolator und Schneider TM hatten die ersten beiden Auseinandersetzungen mit Schnitzlers Musik verantwortet. Betke hat alles, was für so eine Remix- oder Interpretations-Platte braucht: Verständnis, Respekt, Inspiration und vor allem auch die Eier, sich genau um diese Dinge nicht zu scheren. Welche Sounds hier nun von Schnitzler selbst sind und was Pole dem hinzufügt, ist einerseits sehr unscharf, andererseits aber auch klar wie Kloßbrühe. Betke ordnet, reiht, kontextualisiert. Modernisiert, im Pole-Kosmos. Genau darum ist diese Platte auch so gut. Wenn der eine Querkopf sich mit der Musik eines anderen Querkopfs beschäftigt, verschwindet das Verquere und die Zukunft leuchtet. Eine brillante Analyse und einfach wundervolle Platte.
Timber Timbre – Sincerely, Future Pollution
Ji-Hun: Normalerweise überlegt und sucht man eine ganze Weile, was für eine Neuerscheinung denn für den Walkman passen könnte. Gibt ja viel Schmuh da draußen. Diese Woche ist anders, ein bisschen masochistisch. Gibt es doch interessante neue Alben derart zuhauf, dass die Entscheidung wirklich schwer fällt. Joey Bada$$, Slugabed, Wayne Snow, Guided by Voices, Father John Misty, Arca, Future Islands, Beans – da geht eine Menge diesen April. Aber da ich mich ja adäquat auf das Konzert nächste Woche vorbereiten will, ist es dann doch das neue Album der kanadischen Band Timber Timbre geworden. Am Dienstag spielen sie im Huxley’s und ich bin doch gespannt, hab ich sie noch nie live gesehen. Einst fingen Timber Timbre ja als rauschiger, kratziger Folk-Kosmos an, heute sind sie im eleganten, gut abgehangenen Crooner-Dark-Pop angekommen, der auch elegischen Synth-Flächen nicht abgeneigt ist. Man will offenbar in eine Liga mit den Tindersticks und Nick Cave aufsteigen, was durchaus gelingt. Die ausdrucksstarken Songs arbeiten mit feinen, minimalistischen Arrangements, mit feinen Tupfern, wie bei Bob Ross, wenn er dunkle Wälder ziseliert. Und dann wäre noch dieser wunderbare Albumtitel und der Opener „Velvet Gloves & Spit“, der jedes Mal einen wohligen Schauer produziert und einer der deepsten Popsongs des Jahres ist – zumindest bislang.