Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Alva Noto, Alva Noto, Running Back und Nídia.
Alva Noto – Xerrox Vol. 4
Thaddeus: Carsten Nicolai ist jemand, den ich über alle Maßen schätze. Auch wenn mir gar nicht alles gefällt, was er hinstellt, installiert oder aufnimmt. Als die Galerien noch offen hatten in Berlin, da verlief ich mich auf eine Vernissage, wo verschiedene Menschen interaktive Klangkunst ausstellten. Sehr ambitioniert – und Nicolai killte es. Mit ganz einfachen Mitteln: vier Technics und einem Kopfhörer. Anyway. Seine „Xerrox“-Serie mochte ich immer ganz besonders – und bin damit auch im Filter-Kosmos nicht allein, hi! Nun ist der vierte von insgesamt fünf Teilen der Serie erschienen. Die Grundidee des Projekts – als Ausgangsmaterial Found Sounds zu nehmen, die nach dem Prinzip des Fotokopierers in Charakter verändern, je öfter man sie kopiert und manipuliert – tritt zumindest vordergründig-klanglich auf Vol. 4 ein wenig in den Hintergrund. Stattdessen beherrscht ein wohliges Dräuen den Klang, der mal opulent, mal reduziert ausfallen kann, dabei aber immer in die Tiefe strebt. Was Komposition, was Überbleibsel ist, wird zunehmend unscharf. Vielleicht ist das gut so. Ist es doch normal, dass sich der Blick ändert, je länger man an einem Konzept arbeitet. Die Tracks strahlen warm und trotz aller sonischen Vergleiche unbekümmert und frisch. Frisch war Nicolai fast immer. Unbekümmert eher selten. Allein das ist eine gute Nachricht. Hören lässt sich das Album auf die unterschiedlichsten Weisen. Fokussiert-analytisch auf das Projekt bezogen oder einfach nur als Musik, die plötzlich da ist und sich ihren Platz in der Welt sucht. Oder wieder ganz anders. Alles ist ok.
Various Artists – Music For The NAACP
Ji-Hun: Das Label Running Back von Gerd Janson hat eine Fundraising-Compilation herausgebracht. Das ist in diesen komplizierten Monaten fast zur Normalität geworden. Kann doch gerade noch immer keiner ausmalen, was aus der Club- und DJ-Kultur wirklich werden wird. Bei „Music For The NAACP“ dreht es sich aber nicht um das Überleben von Clubs oder Labels. Running Back will die Erlöse der Compilation an die National Association for the Advancement of Colored People, der ältesten und einflussreichsten Bürgerrechtsorganisation der USA, spenden. Mit dabei sind KiNK, Tiger & Woods, Roman Flügel, Katerina, Dinky, Genius of Time und viele mehr. Gemastert wurde von Lopazz und auch musikalisch ist das bei aller Spontaneität eine runde und gut anlassende Angelegenheit geworden. Die Compilation gibt es digital und als Doppelvinyl und ist natürlich auch eine Reminiszenz an afrikanische und afro-amerikanische Musikkulturen. Denn ohne die würden wir hier heute alle noch zu Zither und Akkordeon Schuhplattler tanzen.
Nídia – Não Fales Nela Que a Mentes, s/t EP
Benedikt: Im Mai erschien ihr zweites Album, jetzt hat Nídia, die in Lissabon geboren, in Bordeaux aufgewachsen und mittlerweile in die portugiesische Hauptstadt zurückgekehrt ist, kurzerhand noch eine self-titled EP nachgelegt. Grund genug für eine Mini-Doppel-Review, denn beide Platten sind mindestens bemerkenswert, bisweilen phänomenal. „Não Fales Nela Que a Mentes“ ist eine Art Beat-Tape, mal grell und schneidend, dann wieder melancholisch und nach innengekehrt. Es ist der Vibe von 808, von Grime und Rap, der sich hier über 29 Minuten und zehn Tracks erstreckt. Wer jedoch glaubt, Nídia hätte sich damit nach ihrem Debüt „Nídia é Má, Nídia é Fudida“ von 2017 gänzlich von Club und DJ-Set entfernt, wird mit der jetzt nachgeschobenen EP eines besseren belehrt. Kreischend die Fanfaren, bold die Synthies, dicht und fordernd die Percussion und Polyrythmen. Aus dieser EP erklingt Wut. Und Wut ist dieser Tage eine verdammt angemessene Emotion.