Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen.
##Kelela – Take Me Apart
Benedikt: Lang erwartet, heiß ersehnt und endlich da: Das Debütalbum von Kelela. 2013 erschien ihr Mixtape „Cut 4 Me“. Ein R’n’B-Lichtblick, so hell, dass er bis heute vieles, was dieses Genre in jüngerer Vergangenheit hervorgebracht hat, überstrahlt. Und das, obwohl es an guter R’n’B-Musik mitnichten mangelte. Aber vieles davon kaute nur wieder und perfektionierte, was längst etabliert, oder machte R’n’B zur bloßen Einflussgröße, nur um dem Genre selbst auf bizarre Weise zu entspringen – siehe FKA Twigs. Kelela ist durch und durch R’n’B und durch und durch anders, was nicht zuletzt dem Warp-Antrieb und – dann doch ein bisschen FKA-Twigs-like – dem elektronischen Unterbau geschuldet sein dürfte. Jam City und Arca sind für einen Großteil der detailverliebten Produktionen verantwortlich und erzeugen eine Tiefe und Komplexität, dank derer sich auf den fünften Hörer immer noch Neues entdecken lässt. Auf Brüche, Wendungen und Unwägbarkeiten kann man sich sowieso verlassen, wenn Arca seine Produktionsfinger im Spiel hat. Klar im Klang und doch undurchdringlich passen sie perfekt zu Kelela am Mic. Denn auch ihr Sopran klang nie klarer, bleibt jedoch ohne jede Schärfe. Augenscheinlich simple Lyrics reißen auf, entblößen innere Zerrissenheit zwischen enttäuschter, verflossener, heißer und neu erlebter Liebe: das Herz im Kampf gegen Kopf und Gegenüber. Ohne Worte – nur großartig.
Ducktails – Jersey Devil
Ji-Hun: Wenn man Fan einer Band ist, dann kann die Enttäuschung besonders groß sein. So geschehen zuletzt bei „Ti Amo“ der französischen Band Phoenix, die ich von Anbeginn wegen ihres ständigen Strebens nach Pop-Perfektion sehr lieb gewonnen hatte. Und dann so eine snobistische Selbstgefälligkeit. Aber Level muss man auch auf Album Nummer 6 halten können. Ducktails, das Soloprojekt von Matt Mondanile, der auch Gitarrist bei Real Estate ist, hat ebenfalls ganz frisch das sechste Album heraus gebracht. „Jersey Devil“ ist auch wieder so ein Pop-Entwurf, der trotz aller Bescheidenheit, ziemlich ehrgeizig und perfektionistisch ist. Jeder Song ist ein kleines luzides Kunststück. Auf das Wesentlichste reduziert und universell analog. Anders als beim Vorgänger „St. Catherine“ gibt es hier weit mehr Synthesizer, und gerade dessen Arrangements sind nicht bloß die typische Creme obendrauf, sondern arbeiten sich fast kontrapunktisch an den Songstrukturen ab. Ziemlich elegant und dennoch immer Lofi. Es ist wohl jenes fantastische Pop-Album, das Phoenix nicht gelungen ist.
Marc Almond – Shadows And Reflections
Thaddeus: Aus alter Verbundenheit höre ich dieses Wochenende das neue Album von Marc Almond. Die Stimme des Sängers von Soft Cell ist für mich eine der besten überhaupt in der Popmusik – immer noch einzigartig. Platten von Almond, also: neue(re), habe ich aber seit Jahren nicht mehr aufgelegt. Ein Blick auf discogs belegt, dass er fleißig releast hat, ein Blick auf die Cover bestätigt mich aber auch in der Annahme, hier auch nur im Ansatz etwas verpasst zu haben. Natürlich war Almond mit Dave Ball immer am besten. Schon seine „Mambas“-Phase hat mich nicht mehr gekickt, auch was danach passierte, war mir irgendwie egal. Bis zu dem Tag, als Almond in der Berliner Passionskirche einen Liederabend nur mit Pianobegleitung gab, seine LP von Coverversionen von Jaques Brel war gerade erschienen. Ja, das war 1989. Na und? An diesem Abend musste ich ein bisschen vor Rührung weinen. Wie er die Kirche mit seiner Stimme ausfüllte, auf den Altar sprang und sich dabei rekelte wie ein Lurch auf Speed. Zwei Shows nacheinander spielte er an diesem Abend, ich hab mir beide angeschaut. Da war er wieder, der einzigartige Almond, bester Laune und viel besser als auf seinem Album „The Stars We Are“ mit dieser fürchterlichen Version von „Something's Gotten Hold Of My Heart“ zusammen mit Gene Pitney. Auch sein neues Album versammelt Coverversionen: Julie Driscoll, The Yankbirds, The Herd, The Young Rascals. „Orchestrale und barocke Popmusik“ nennt Almond das. Das kann so oder so ausgehen. Ich fürchte eher letzteres. Aber ich bin Almond nicht böse. Denn wenn seine Stimme ganz bewusst einen Viertelton am Orchester vorbeibarockt, bin ich glücklich, auch wenn der Song egal ist. Und auch wirklich schlimme Schnulzen können von ihm wachgeküsst werden. Dann denke ich immer an Frank Sinatra und muss schon wieder ein bisschen weinen.