Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.
##Various Artists – Celebrating 20 years of Palette Recordings
Thaddeus: Wenn dieser Text online geht, laufen in Los Angeles schon die Vorbereitungen für die große Geburtstagsparty. 20 Jahre Palette Recordings. 20 Jahre John Tejada als Label-Don. 20 Jahre fucking greatness. Vielleicht bin ich voreingenommen, weil Mr. Tejada ein lieber Freund von mir ist, vielleicht lebe ich einfach gern in der Vergangenheit, in diesem Traum der Zukunft, im fucking Techno der grenzenlosen Selbstverwirklichung. Scheiß auf Alvin Toffler und seine „Third Wave“, auf die konstruierte Herleitung eines Zufalls. Detroit war in L.A. immer am nachvollziebarsten. Zum zwanzigjährigen Jubiläum des Labels legt John Tejada zahlreiche Klassiker neu auf. Viele davon zum ersten Mal überhaupt in digitaler Form. War einfach eine andere Zeit damals. Vinyl und so. Und fokussiert vor allem auf vergessene Klassiker, B-Seiten von lange nicht mehr erhältlichen Klassikern. Eine Zeitreise, die sich gewaschen hat, die Tejada allein so nie hätte bewältigen können. Arian Leviste ist dabei, der unvergessliche Divine Styler, der dem Universum von Tejada an den unterschiedlichsten Stellen eine extra Portion an Deepness hinzufügte. Die pure Energie, der pure Wahnsinn, aktueller denn je. Wenn Tejada hier seinen Rave retrospektiv auspackt, gehen immer noch diverse Universen und Milchstraßen dabei kaputt. Im besten Sinne. Von schwer kalkulierten Tracks wie „Coupe De Ville“ – slammt! – hin zu verspielten Miniaturen wie „A Present Of Presence“, einem – eigentlich – Elektronika-Klassiker mit Bassdrum-Schub: Hier staubt nichts, hier lahmt nichts, hier rockt alles, hier wird das angedeutet, was Tejadas zukünftige Laufbahn bestimmen sollte: ein Outsider im Techno-Geschäft, der den Inside Baseball immer besser verstand als alle anderen, inklusive der besserwisserischen Newcomer. John Tejada ist ein lieber Freund. Natürlich bin ich befangen. Scheiß' ich drauf. Denn Freundschaft zählt mehr als zufällig hingeknallte Bassdrums irgendwelcher Typen, mit denen man nie ein Eis essen gehen will. Mit John hingegen: jeder Zeit und hoffentlich bald wieder Face 2 Face. Weil dieser Rave: Der ist so scheiße wichtig und fast vollkommen vergessen. Und das geht so nicht. Euphorie ist dann am besten, wenn sie unvermittelt zuschlägt. John Tejada tut genau das, seit fucking 20 Jahren.
##Kassem Mosse – Disclosure
Ji-Hun: Der Produzent Gunnar Wendel ist einer der herausstechendsten elektronischen Musiker aus Leipzig. Geek und eigensinnig durch und durch. Seine Releases auf dem Label Workshop lösten gerne auch mal Hypes und Schnappatmung bei Vinyl-Fans aus und seine große Qualität liegt mit Sicherheit auch darin, dass er sich so viel von typischen House- und Techno-Formeln diktieren lässt wie Donald Trump von seriösen Wissenschaften. Kassem Mosse ist durch seinen manufakturellen Zugang zu Sounds zum Kritikerliebling geworden. Da wird gerne auch erhöht, was ihm wahrscheinlich nur bedingt recht ist. Wie dem auch sei. Nun ist sein neues Album „Disclosure“ herausgekommen. Nach zwei Singles ist es der erste Langspieler auf der Londoner Institution Honest Jon’s Records. Die elf Tracks reiben, pluckern, glucksen, mäandern, echoen. Sezieren Techno durch eine individuelle Brille, die sich vom stumpfen Dancefloor weitestgehend distanziert, und atmen dennoch auch die Verweigerungshalterung von Leipziger Treffpunkten wie dem „Institut für Zukunft“. „Disclosure“ klingt anders als die „Workshop 19“. Die LP, die vor zwei Jahren herausgekommen ist und einen satten, roughen Deephouse-Entwurf lieferte. Man stelle sich einen verkannten Professor vor, der in einer einsamen Garage werkelt und auf der Suche nach dieser einen Antwort ist, die ihn so lange beschäftigt. Das hier ist nicht das finale publikationsfähige Paper, es ist viel mehr das persönliche Tagebuch dieser Experimentenreihe mit all seinen Fehlern, Ausschweifungen, Entdeckungen und Fußnoten.
##John Tejada & Arian Leviste – Hysteresis
Benedikt: Seit fast 25 Jahren gehen John Tejada & Arian Leviste mittlerweile zusammen ins Studio. Ein Vierteljahrhundert, das ist verdammt lange. Aus Techno-Perspektive könnte man fast sagen: Seit Anbeginn der Zeit! In all diesen Jahren haben sie sich Detroit aus jeder erdenklichen Richtung genähert, haben Electro mitgenommen und huldigen Techno und House bis heute gleichermaßen. Seit Freitag gibt’s was Neues von alten Hasen aus L.A..„Hysteresis“ kommt auf Kompakt und zeigt kompromisslos auf die Tanzfläche, ohne sich in Stil und Richtung zu versteifen. Techhouse – letztendlich – aber ohne digitale Politur, die zu oft eh nur Ödnis in die Waveform bringt. Es dubbt in „Switch Mode“, „Electromigration“ macht den Namen zum Programm „Capacitor Plague“ lässt sich mit 121 BPM sicherlich genau so gut genießen wie mit 127. John Tejada & Arian Leviste liefern die Allzweckwaffe für den Herbst. Zunächst hatte ich mich gewundert, dass nicht Thaddeus Hermann diese Platte ausgewählt hat. Jetzt – kurz bevor dieser Walkman online geht – sehe ich warum. An Tejada-Fans mangelt es bei uns eben nicht. Happy Birthday Palette.