Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Wilma Vritra, Haunted Summer und Bochum Welt.
Wilma Vritra – Grotto
Ji-Hun: Das Duo Wilma Vritra besteht aus Will (Wilma) Archer, Komponist und Multi-Instrumentalist aus London und Rapper Hal Donell Williams Jr/Vritra aus Los Angeles. Eine transatlantische Angelegenheit, die mit „Grotto“ beim zweiten Album angelangt ist und in musikalischer Hinsicht ziemlich aufregend ist. Da wären zum einen die orchestralen Arrangements, der hohe Grad an Musikalität und die Organik des Albums, die zum heutigen Rap-Kanon mit überdrehten 808-Bassdrums so wenig passt wie ein Brautkleid zum Freibadbesuch. Einige nennen das HipHop für Leute, die sonst keinen HipHop mögen oder auch Kammermusik-Rap. Kann man so nennen, macht aber wieder Nischen auf, die keiner braucht. Andere nennen das wiederum Erwachsenen-Rap, was aber genau so Käse ist, als würden junge Leute keine Ahnung von guter Musik haben. So oder so, „Grotto“ ist klug, klingt ziemlich ausgezeichnet und bringt ein Level in zeitgenössischen HipHop, von dem man wirklich mehr vertragen könnte.
Haunted Summer – Whole
Jan-Peter: Haunted Summer ist ein guter und sehr passender Name für das Jetzt. Brütende Hitze, Temperatureinbruch, Starkregen, brütende Hitze. Das sandige Berlin-Brandenburg wird 2025 vermutlich komplett abgetragen sein. Bis dahin werde ich hoffentlich noch ein paar Mal dieses Album hören. Haunted Summer kommen aus Los Angeles, Berlins Partnerstadt übrigens, gebildet vom Künstler-Ehepaar Bridgette Moody und John Seasons, „Whole“ ist ihr zweites Album nach „Spirit Guides“ anno 2017. Die beiden überzeugen mich ihrem Dreamrockpop, bei dem Shoegaze, die Cinematics, Belle and Sebastian, Beach House bzw. Boys durchklingen. À propos: Witziger Weise stand gestern vor dem Berliner Ritz-Carlton so ein grandhoteltypischer, pompöser Kofferwagen. Darauf stand: 1 Beach-Boys-Platte. Sonst nichts. Großartig. Haunted Summer.
Bochum Welt – Desktop Robotics & Feelings on a Screen (25th Anniversary Edition)
Thaddi: Immer wieder debattieren wir über den Sinn und Zweck von Reissues. Braucht es die wirklich? Im Falle von Bochum Welt und dieser dann doch merkwürdigen 2-in-1-Neuauflage muss ich konstatieren: leider nein. Beide Releases waren Klassiker ihrer Zeit und sind es heute noch. Verzerrte Zeugen einer Ästhetik, deren Fußabdruck noch heute zu spüren ist. Aber Gianluigi Di Costanzo ist ein Musiker, der seine Händchen nicht stillhalten kann. Seit ein paar Jahren schon finden seine alten Tracks den Weg ins Digitale, die er dafür aber an den – wie ich finde – wichtigsten Stellen editiert und neu gemixt hat. Was soll denn das. Da explodiert doch Discogs! Werktreue kann so wunderbar sein. Es ist also einerseits zu begrüßen, dass es diese Tracks hier nun wieder auf Vinyl gibt, gar keine Frage. Aber warum denn nicht einfach ganz klassisch, Release nach Release? Warum eine EP und eine Doppel-Maxi zusammenfassen? Und dann noch den Über-Hit überhaupt – „Feelings On A Screen“ – vermixen? Leuchtet mir nicht ein. Anderen Fans von damals auch nicht. Schade. Trotz 25-jährigem Jubiläum.