Wider die DJ-DiktaturWie Efdemin Techno von Formeln befreit
15.2.2019 • Sounds – Text: Ji-Hun Kim, Fotos: Benedikt BentlerPhillip Sollmann alias Efdemin hat nach drei Langspielern auf Dial sein erstes Album für Ostgut Ton produziert. Eine Entscheidung, die über viele Jahre gereift ist, dabei ist das Berghain Ort von Efdemins langjähriger Berliner Residency und im Roster der hauseigenen Booking-Agentur befindet er sich ebenfalls seit langer Zeit. „New Atlantis“ ist ein utopisches und eskapistisches Album geworden. Es geht um die Suche nach dem Kontrollverlust, das Zusammenbringen von Sollmanns 20-jähriger Techno-Historie und seinen jüngeren Projekten im Bereich Klangkunst, die es bis in die Elbphilharmonie geschafft haben.
All diese Elemente und künstlerischen Personae spinnen einen Erzählfaden, der um Umwege, Improvisation und Koloraturen nicht verlegen ist, oft aber gar nicht der Sophistication willen existiert, sondern einfach nur klingt. Es geht Sollmann auch um Sound in seiner reinen Form und dessen Huldigung. Das Filter traf Efdemin in seinem Weddinger Atelier, in dem auch jene modulare Orgel gelagert wird, die er zusammen mit Konrad Sprenger seit einigen Jahren am Leben hält und zur großen Herzensangelegenheit geworden ist. Ein künstlerischer Versuch, die Orgel vom Sakralen zu befreien und zugleich die Hinwendung zu einer der rudimentärsten Klangerzeugungen (dem Spalten von Luft) in ihrer komplexesten Form überhaupt. Efdemin spricht über frühe Tage im linken Hamburg, persönliche Widerstände mit Sozialen Medien, Techno als Konzept des Scheiterns und wieso Geld dann doch nicht wieder alles ist.
Wenn man auf rund 20 Jahre House und Techno zurück blickt: Wie erinnerst du deine Anfangszeiten?
Ich bin Mitte der 90er nach dem Abi von Kassel nach Hamburg, und dort war ich viel im Golden Pudel unterwegs. Zeitgleich kam Drum and Bass auf. Photek – das jazzig-futuristische Zeug. Dann noch minimalistischer Techno wie Mike Ink. Elektronische Musik hat mich sofort begeistert, das hat sich sozial aber gar nicht so niedergeschlagen. Ich war bis dahin ja nie raven. Ende der 90er hab ich mit Alexander Polzin die erste selbst vertriebene Platte gemacht, die dann über Kompakt erschienen ist. Tobin nannte sich das Projekt. Der Name war an die Tobin-Steuer angelegt. Die gibt es noch immer nicht.
Dann ging es mit Dial los.
Das war dann die Initialzündung für Pete und Dave (Peter Kersten aka Lawrence und David Lieske aka Carsten Jost, Anm. Red), die das Label gegründet haben. Es gab zwar schon Labels wie L'âge d'Or und Ladomat, aber sie haben gesehen, dass das gar nicht so schwer ist, und dass sie das auch machen können. Für Alexander und mich war das super, weil wir von den Produktionsabläufen von Platten eher gelangweilt waren. So haben wir angefangen, Platten für Dial zu machen. Das habe ich bis vor kurzem gemacht und werde es auch in Zukunft machen. Dial hatten den Antifa-Hintergrund, mit dem ich mich gut identifizieren konnte. Gleichzeitig hatte ich aber großes Interesse für elektroakustische Musik entwickelt, bin 2002 nach Wien und habe Computermusik studiert. Zu der Zeit war ich aus Techno völlig raus. 2005 bin ich in Berlin gelandet. Über Nick Höppner, den ich aus Hamburg kannte, kam ich in die Panoramabar und denen habe ich einen Mix von mir gegeben. Seitdem spiele ich da. Das sind jetzt fast 13 Jahre. Das sind die wenigen Konstanten in meinem Leben: Dial-Platten machen und im Berghain auflegen. Sonst habe ich nie etwas so lange gemacht.
Du hast den Antifa-Background von Dial angesprochen. Heute scheint Politik in Techno kaum noch eine Rolle zu spielen.
Ich war ja viele Jahre in dem Label involviert. Wir waren damals ja alle per se antikapitalistisch eingestellt. Es gab schon diese Romantik in Techno. Mit der Zeit ist die Intensität aber verloren gegangen. Viele sind aus Hamburg weggezogen. Mir war anfangs ja gar nicht klar, dass man mit dieser Musik Geld verdienen kann. Das war nicht die Idee.
Du hast mir erzählt, dass du im Krankenhaus als Berghain-DJ erkannt wurdest und man dich nach Gästelistenplätzen gefragt hat.
Das stimmt. Obwohl ich immer halb unterm Radar bin. Ich habe das Gefühl, dass – durch die Sozialen Medien beschleunigt – noch mal eine ganz andere Art von Karriere innerhalb dieser Musik entstanden ist. Die musikalischen Bezüge sind ähnlich, aber plötzlich findet das im Tourbus statt. Ich will das gar nicht bewerten. Aber ich habe meine Probleme mit, weil ich mich bis dahin immer nur um die Musik gekümmert habe. Jetzt ist die Musik nur noch eine Art Projektionsfläche. Was heute damit im Bereich Star-Karrieren möglich ist, ist ja erstaunlich. Ich hätte das nie geahnt. Es handelt sich ja letztlich um abstrakte, unmelodiöse Musik, die nicht mal Text hat. Früher waren Superstars immer richtig kommerzig. Da gab es eine strikte Trennung, die hat sich heute aufgelöst.
Kannst du das erklären?
Ich stehe ehrlich ein bisschen verblüfft davor. Diese Social-Media-Welt – einige Zeit habe ich versucht, das zu verstehen und mitzumachen. Aber letztlich komme ich dazu, dass ich das gar nicht bedienen kann, weil ich das als grundsätzliche Haltung nicht verstehe. Alles was ich mache, ins Netz zu stellen. Ich empfinde eher das Bedürfnis, persönliche Geheimnisse zu haben und private Räume zu erhalten. Ich finde es auch seltsam, dass Menschen wie ihr heute in mein Studio kommt. Wohingegen andere Leute ihre Studios so einrichten, dass sie gleich Instagram-ready sind. Es geht ja mehr darum, wie es aussieht und nicht, wie etwas klingt. Es soll nicht kulturpessimistisch klingen. Aber tatsächlich habe ich das Gefühl, dass der Impact von Internet und Social Media viel größer ist, als ich je gedacht habe. Vielen anderen Leuten geht es ähnlich. Das wurde völlig unterschätzt und ist auch für die Musikindustrie viel krasser als die Erfindung der CD oder so.
Hat der linke Popdiskurs versagt?
Tom Holert und Mark Terkessidis haben das mit „Mainstream der Minderheiten“ damals vielleicht schon skizziert. Aber kann man denen was vorwerfen? Es hat doch alle überrascht. Wie das Internet die Zeitungslandschaft vernichtet hat. Ich hätte nie daran geglaubt. Selbst ich kaufe mir viel seltener eine Zeitung als noch vor drei Jahren. Ich glaube aber auch, dass Online-Leseverhalten sich auf die Intensität und Längen der Texte auswirkt. Ich habe größere Probleme, einen Georg-Seeßlen-Text online zu lesen, als wenn ich ihn gedruckt vor mir habe. Oft verschwindet der Text online, weil er verdrängt wird, weil sich was anderes darüber lagert. Wenn ich eine Zeitung weglege, ob auf dem Schreibtisch oder dem Klo, dann finde ich die Stelle, an der ich aufgehört habe, wieder. Das fällt mir online ungleich schwerer. Ob allerdings die Pop-Linke je in der Lage gewesen ist, etwas maßgeblich zu ändern, fand ich ehrlich gesagt schon immer ein bisschen fragwürdig. Ob das alles so stimmt, was damals propagiert wurde, weiß man nicht.
Du bringst dein neues Album auf Ostgut Ton raus. Erzähl doch kurz was darüber.
Das ergibt sich aus meiner 13-jährigen Verbundenheit als Resident. Es gab seit vielen Jahren den Wunsch des Berghain-Labels, dass ich meine Musik dort veröffentliche. Ich habe mich da zurückgehalten. Auch weil ich nicht artikulieren konnte, wie ich als jemand mit meiner Dial-Vergangenheit in dem Kontext eine Platte machen kann. Viele Sachen waren weit weg von mir. Ich habe es immer wieder probiert. Aber selbst an einer Maxi für Ostgut bin ich mehrere Male gescheitert. Obwohl ich eine EP noch immer schwieriger finde als ein Album. Bei einem Album kann man machen, was man will. Bei der EP gibt es immer eine Funktionalitätsvorgabe. Das Label hat sich aber weiter entwickelt. Es kamen weitere Sublabels hinzu, und ich konnte mich immer besser damit identifizieren. Man hat sich für neue Positionen geöffnet, auch für fragile Ideen. Sounds, die man nicht gezwungenermaßen mit dem Berghain assoziieren muss. Da habe ich mich wiedergefunden. Das ist gerade ein super Moment mit dem Haus, dem Label und der Booking-Agentur, gerade fühlt sich das für alle wie ein guter Schritt an. Der Platz, den ich in dem Zusammenhang eingenommen habe, manifestiert sich in dieser Platte.
„New Atlantis“ ist kein lupenreiner Techno geworden.
Es ist sperrig. Kein Dancefloor-Album, was man hätte machen können. Vielleicht wäre es auch geschickt gewesen, um noch mal eine Festival-Tour anzustreben. Ich habe das auch kurz probiert, aber nicht hingekriegt. Da bin ich ganz ehrlich gescheitert.
„Improvisation, Klanginstallationen – das befriedigt mich auf eine ganz andere Weise als ein Rave. Irgendwann entzaubert sich auch eine internationale DJ-Karriere, wenn es nicht immer weiter nach oben gehen soll.“
Woran?
Das war nicht das, was ich machen wollte. Mich beschäftigen musikalisch gerade andere Themen. Wie die modulare Orgel, die ich mit Konrad Sprenger betreue, und all die Projekte, die außerhalb von Techno stattfinden. Die sind viel wichtiger geworden. Monophonie, das Projekt für Harry-Partch-Instrumente …
Wichtiger als Techno?
Nicht wichtiger, aber als ich nach Berlin gekommen bin, hat mich das alles überwältigt. Ich habe zwar aus Spaß im Pudel aufgelegt, hatte aber nicht ansatzweise die Idee, DJ zu sein. Dass ich mit so einem Beruf um die Welt fliegen würde, war nicht geplant. Es hat mich auch körperlich ziemlich mitgenommen. Jetzt habe ich vor ein paar Jahren entschieden, meine anderen Sehnsüchte und Interessen – Improvisation, Klanginstallationen – zu vertiefen. Das befriedigt mich auf eine ganz andere Weise als ein Rave. Irgendwann entzaubert sich auch eine internationale DJ-Karriere, wenn es nicht immer weiter nach oben gehen soll.
„Außer“ dem Kontostand ändert sich vielleicht auch gar nicht so viel?
Genau! Aber das ist der Anreiz Nummer eins. Mir ist es nicht so wichtig. Manchmal bedrückt es mich, oder ich frage mich, was für ein Idiot ich eigentlich bin. Aber Geld ist nicht alles, worum es geht. Mich interessieren Musik und Sounds. Ich denke Musik nicht als Entertainment. Es sind die Sounds, auch in ihrer pursten Form. Wenn ich eine Drehleier spiele, dann denke ich daran, wie ich früher Cello gespielt habe.
Du hast Cello gespielt?
Ja, damit habe ich früh angefangen. Später kam die Gitarre dazu.
Du verfolgst bei deinem Album ein Konzept. Francis Bacon war eine Inspiration. Was für ein Narrativ ist das?
Über Narrative habe ich jetzt gar nicht so nachgedacht. Mir geht es eher darum, dass beide musikalische Seiten, an denen ich im Laufe der Zeit gearbeitet habe, zusammentreffen. Sie werden musikalisch verbunden. Auch dass ich die Trennung von mir als DJ, Techno-Produzent und als jemand, der sich für experimentelle Sounds interessiert, nach und nach aufhebe. Ich will dieses Entweder-oder nicht mehr. Das ist am Ende verschwendete Energie. Auch die geschichtliche Aufladung früherer Techno-Erfahrungen ist wieder stark geworden. Für mich machte das Sinn. Ob das alle im Techno-Kontext verstehen, weiß ich nicht.
Ich habe das Gefühl, einige hoffen, Kunst könne Techno retten.
Ich habe das Stück „New Atlantis“ in den vergangenen Monaten immer wieder im Berghain gespielt. Hier konnte ich etwas einlösen, was ich sonst immer woanders gemacht habe. Es gibt zumindest mir etwas Transzendentes, Psychoakustisches, wenn dieses Stück plötzlich im Berghain stattfindet. Ich habe das Gefühl, das übersetzt sich, das kommt an. Das verstehen die Leute auch, dass ich das bin.
Du hast über Geschichte gesprochen.
Porter Ricks, Mille Plateaux, das war für mich die spannendste Zeit. Wo die Orte noch unbestimmt waren, es nicht klar war, was wozu gehörte. Es gab so viele Partys, die später zum Rave wurden. Heute ist alles sehr klar definiert, habe ich das Gefühl. Die Leute sind mit ihren Vorstellungen schon ganz woanders unterwegs. Wenn heute jemand das erste Mal ins Berghain geht, dann weiß er ganz genau, was da passiert, wie er sich zu verhalten hat und was er nehmen muss, damit er anderthalb Tage durchhält. Das war früher ja nicht so. Diese Naivität, die Begeisterung und das Loslassen: Das sind Qualitäten, die mir heute – auch durch Internet und Social Media – total fehlen. Diese perfekt inszenierten Raves von Superstars, die teilweise zwar wirklich gute Musik spielen. Aber es gibt kaum Momente des Loslassens mehr. Das ist total durch choreographiert. Es gibt auch kein Scheitern des DJs mehr. Die Sets sind heute alle perfekt. Dabei finde ich gerade den scheiternden DJ total super. Lawrence und ich könnten jahrelang darüber quatschen, wie wir uns immer wieder verfranst haben und wie man aus so Sackgassen wieder rausgekommen ist.
Man konnte auch mit dem DJ mitleiden.
Wenn man musikalisch irgendwo hinwollte, dann machte man sich einen Plan. Aber dann macht plötzlich die Crowd nicht mit, und dann steht man da. Das gehört dazu! Ich würde gerne hin zu einer Idee von Musik, die nicht nur auf reiner Unterhaltungsebene funktioniert. Das war immer die Idee von Dial, bewusst Techno-ferne Bereiche mit reinzuholen. Eine psychoakustische Musik zu schaffen, die auch eine politische Dimension haben kann. Es geht heute immer weiter Richtung Totalitarismus. Auch wenn man sich diese Mega-Raves anguckt. Wenn der DJ-Diktator sein perfekt inszeniertes Programm runterballert und das dann wiederum von allen gefilmt wird – und das machen die alle auch noch for free! Das endet in einer extremen Passivität. In so neofaschistischen Zeiten finde ich es total bedenklich, dass sich das so entwickelt. Ich fand bei Techno und Rave ja immer so interessant, dass man aktiv Teil dieses Raums war.