Warming Up, Winding DownMarta Forsberg, Mary Lattimore, Actress – 3 Platten, 3 Meinungen
8.10.2020 • Sounds – Gespräch: Christian Blumberg, Kristoffer Cornils, Thaddeus HerrmannZither, Harfe, Laptop – und zwar in der Reihenfolge. Diese musikalischen Gerätschaften bilden den lockeren Rahmen für Blumbergs, Cornils’ und Herrmanns aktuellen Roundtable zu Sounds und was man daraus machen kann. Keine schlechte Ausgangslage, um sich liebevoll zu batteln.
Gesagt, getan, bzw. geschrieben: Die Schwedin Marta Forsberg baut auf ihrem neuen Album „New Love Music“ einen epischen, langsam anschwellenden Kosmos aus Zither, Chor und Sinustönen. Was als Klanginstallation begann, entpuppt sich auch ohne Lichtshow als immersiver Sog. Derweil hat die US-amerikanische Harfinistin Mary Lattimore ihre transatlantischen Beziehungen spielen lassen, ihre Harfe als Sperrgut eingecheckt und im Studio von Slowdive-Mastermind Neil Halstead in Cornwall wieder ausgepackt. Weltweite Kommunikation also, vermittelt durch das Medium von Klängen. Auch wenn „Silver Ladders“ natürlich vollkommen anders tönt, als die Urheber dieses Zitats von anno dunnemal vermuten lassen würden. Und schließlich droppt Actress sein neues Album. „Karma & Desire“ ist der Nachfolger des Mixtapes „88“ und zeigt den Produzenten zwischen bekannt-eiernden Grooves, großen Features und kleinen, weil vergleichsweise stillen Sounds. Ein Zirkelschluss, der gefeiert werden will. Cornils erklärt die Küche zum neuen Dancefloor, Blumberg bestellt Asiatisch und Herrmann fällt beim Nachschenken aus dem Internet. Würde doch jeder Tag in einer Musikredaktion so Action-geladen verlaufen!
Marta Forsberg – New Love Music (Warm Winters Ltd.)
Kristoffer: Ich höre immer Musik. Beim Kochen, beim Rechnungenschreiben, beim Lesen – immer. Als großes weißes Rauschen meistens. Letztens habe ich das einem Freund erzählt, der dann zurück schoss: Worauf ich denn hören würde, was mich aus meiner Konzentration reißt, wenn ich gerade die Buchhaltung erledige? Blöde, weil gute Frage, die ich aus dem Stegreif so natürlich nicht beantworten konnte. Ich habe also etwas von Intensität gestottert, glaube ich, im Nachhinein fiel mir allerdings auf, dass auch das nur die halbe Wahrheit ist. Ich spitze bei Spannungen die Ohren – klangliche, strukturelle, emotionale, you name it. Als ich zum ersten Mal „New Love Music“ gehört habe, saß ich mit vier anderen Menschen in einem (keine Sorge, gut belüfteten) Raum und versank in den Kopfhörern, während um mich herum Administratives geklärt wurde. Warum? Wegen der Spannungen, die Marta Forsberg in den Zwischenräumen des Sounds entstehen lässt. Ich war hin und weg, total drin und habe mich davon komplett einweichen lassen.
Thaddi: Ich lerne, dass Kristoffer Meetings abhält mit anderen Menschen, bei denen Kopfhörer-Verstärker mit mehreren Outputs zum Einsatz kommen. Finde ich toll. Ähnlich toll wie diese Platte. Ich weiß wenig über Frau Forsberg, außer dass sie sich für Minderheiten im Allgemeinen und LBGTQ-Menschen im Besonderen engagiert in ihrer schwedischen Heimat. Alle Daumen hoch. Wie dieses Album jedoch funktioniert, ist fantastisch. Vom Kleinen ins Große – ein ewiges Anschwellen der Emotionen. Und so akustisch!
Christian: Allein das Arrangement ist ja bemerkenswert, weil eigenwillig: Zither, Chor und Sinustöne. Letztere bleiben oft einfach stehen und bilden ein Tableau, auf dem Zither und Chor sich dann ereignen können. Sie schaffen den Raum. Der wurde wohl auch gelassen, weil die Musik ursprünglich Teil einer LED-Installation war. Aber für mich funktioniert das als Audio-Only auch super. Ich mag das Strenge hier, muss aber sagen, dass für mich nach zwei Stücken auch hätte Schluss sein dürfen.
Thaddi: Das ist interessant. Weil im dritten Teil ja eigentlich erst alles kulminiert, bzw. das stete Anschwellen zu einer Art Finale kommt. No?
„Forsberg übrigens kommt auch aus einem Umfeld, in dem gerade alle alles richtig machen: Die Stockholm-Drone-Gang und der erweiterte Dunstkreis, Kali Malone, Ellen Arkbro, Maria W Horn, Mats Erlandsson und so weiter.“
Kristoffer: Ja, das Finale kommt. Und es ist riesig, obwohl es aus kleinen und feinen Einzelteilen besteht. Die Subtilität des Ganzen macht es so groß, die Struktur ist fast herkömmlich und mit dem typischen Warm-Up-DJ-Set vergleichbar: Langsam wird alles hochgepegelt. Aber wie es dazwischen gehalten wird, wie sich scheinbar sehr, sehr wenig tut und doch alles an Dichte zunimmt – das ist die Kunst. Forsberg übrigens kommt auch aus einem Umfeld, in dem gerade alle alles richtig machen: Die Stockholm-Drone-Gang und der erweiterte Dunstkreis, Kali Malone, Ellen Arkbro, Maria W Horn, Mats Erlandsson und so weiter. Ihr Ansatz ist mit denen der Genannten vergleichbar, aber sie ist wahnsinnig flexibel und vielseitig. Alle ihre Platten, die ich bisher gehört habe, finde ich ganz fantastisch – „New Love Music“ aber ist die konzentrierteste.
Christian: Das dramaturgisch angedickte Finale ist mir persönlich zu erhaben und einfach etwas zu doll. Wobei der Chor auf den letzten Metern ja fast schon albern drüber ist. Das ist dann doch wieder cool.
Kristoffer: Ja, die Verschrobenheit ist da und sie rettet es vorm Kitschfass, in das diese Platte leicht in den letzten Zügen hätte fallen können. Beim Chor ist ja unter anderem auch Julia Reidy dabei, die mit viel Autotune ähnlich an einer Dekonstruktion von superernsten Echtzeit- und Improv-Musik-Tropen arbeitet. Das passt.
Thaddi: Boys, Momentchen. Die „Vocals“ finde ich auch durchaus schwierig, bzw. irritierend. Können wir darüber noch kurz sprechen? Ich kenne weder Julia Reidy noch den Zusammenhang. Mir vermittelt das eine gewisse Strenge, die ich bei diesen Sounds eigentlich gar nicht benötige. Sie sind eindrücklich genug. Auch ohne Stimmen steigert sich sich dieses Album Schritt für Schritt immer weiter.
Kristoffer: Was für eine Strenge meinst du? Formstrenge: ja, gehe ich mit. Oder beziehst du dich mehr auf die affektive, meinetwegen emotionale Ebene? Oder doch was Kompositorisches?
Thaddi: Ich finde tatsächlich das Sound Design spannend genug. Die Steigerungen. Mit den Vocals entspinnt sich für mich eine Erinnerung an alte Anime-Soundtracks, die es hier einfach nicht braucht. Zum Glück nimmt das nicht überhand.
Kristoffer: Oha, du meinst Ghost in the Shell und Co.?
Thaddi: Weiß ich nicht. Das ist eher so ein Gefühl, eine Art Art der sängerischen Vergleichbarkeit. Natürlich haben die Vocals hier nicht die gleiche Kraft. Der Effekt ist aber vielleicht vergleichbar. Das irritiert mich. Ein bisschen zumindest.
Kristoffer: Wenn wir an Tracks wie diesen hier denken, dann sehe ich die Vergleichbarkeit nur bedingt, aber ich verstehe schon, was du meinst. Allerdings würde ich sagen, dass ich den Umgang mit Vocals sehr, ha, spannend finde. Einerseits emotionalisiert er diese Platte, andererseits scheinen mir die Vocals extrem kalkuliert in die Komposition integriert, da lässt sich bisweilen ja nicht einmal sagen, was nun Sinuston ist und was Gesang. Das ist absolut meisterhaft gemacht. Das Irritationsmoment stellt sich dennoch ein, aber geht es nicht auch ein bisschen um die Verhandlung von etwas sehr Artifiziellem – die Zither als Instrument ist ja schon eine Ansage – und etwas sehr, sehr Menschlichem? Ich denke, das wird über den Gesang sehr gut transportiert und kommentiert. Ein altgriechischer Chor fast!
Thaddi: Agreed. Es geht mir nicht um einen Vergleich mit dem offensichtlich Epochalen von „Ghost in The Shell“ oder anderen Anime-Welterfolgen. Ich denke eher, dass es diese Größe, Stärke, Lautheit, hier gar nicht gebraucht hätte. Weil: Die Zither ist toll genug. Egal. Eine wahnsinnig beeindruckende Platte – so oder so.
Kristoffer: Ich verstehe dich allerdings: Wie dieser Chor zum Kanon wird in den letzten Momenten – das gehört unbedingt dazu. Da zerfließe ich komplett. Ich brauche das also unbedingt!
Thaddi: À propos zerfließen … Mary?
Mary Lattimore – Silver Ladders (Ghostly)
Christian: Springen wir von der Zither zur Harfe. Beiden Instrumenten gemein ist ja das Arpeggio, also der der nicht-synchrone Anschlag der Saiten und damit der Akkorde. Was Lattimore ziemlich variabel einsetzt. Arpeggio bei einem akustischen Instrument führt ja dazu, dass eine Harfe nie so ganz auf dem Rhythmus sitzt. Aber Lattimore kriegt das – wenn sie will, zum Beispiel gleich im Opener – irgendwie eingeebnet. Da spielt ihre Harfe eine Melodie, die eher wie eine Synthline funktioniert.
Thaddi: Bei Mary Lattimore geht es aber schon seit langem nicht ausschließlich um ihre Harfe, also ihr Hauptinstrument. Ihr letztes Solo-Album „Hundreds Of Days“ war schon mit allerhand anderen Sounds gesprenkelt. Auch ihre gemeinsamen Alben mit Mac McCaughan von Superchunk zeigen das ja. Mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, ist ihr genauso wenig fremd, wie die Harfe ins Extreme zu spielen und genau dabei ihren eigenen Performance- und Musik-Ansatz mit anderen Styles zu mixen und zu matchen. Ich finde das eh toll, wie sie ihr verspieltes Spielen und ihre durchaus poppigen, oder zumindest sehr zugänglichen Strukturen immer wieder aufbricht. Als ich las, dass Neil Halstead ihr neues Album aufgenommen und produziert hat, wurde ich aber besonders hellhörig. Als altem Slowdive-Fan bleibt mir da ja auch nichts anderes übrig. „Silver Ladders“ ist ähnlich aufgeräumt wie „Hundreds Of Days“, gewinnt aber enorm durch Halstead, finde ich. Ich will Lattimores Kreativität damit nicht klein reden, aber wie Halstead hier seine vor allem von „Pygmalion“ inspirierten Gitarren mit einbringt – dieses Leere und Verhallte – und ab und an die Synths brummen lässt, ist schon toll.
Kristoffer: Ich merke, ihr seid überzeugt! Ich bin zwiegespalten. Wo Marta Forsberg für mich spannend ist, da entspannt mich Lattimore. Das ist genau die Art Musik, die beim Erledigen der Umsatzsteuervoranmeldung im Hintergrund läuft, die Tapete hochkriecht und dann dort bleibt. Das finde per se nicht schlecht, aber vielleicht brauche ich doch etwas, das mich mehr mitnimmt und reinzieht.
Thaddi: Du musst mal erwachsen werden, hihi. Und Dinge mal sein lassen. Das ist schon große ART. Dieses komplett vergessene Instrument. Diese Melodien. Ich weiß, das tut weh. Aber darauf muss man sich einlassen, darin eintauchen. Und sich dann vergessen.
Kristoffer: Sag doch bitte auch dem Finanzamt, dass ich noch nicht erwachsen bin. Dann lassen die mich endlich in Ruhe!
„Ich dachte an Musik, die man im asiatischen Schnellrestaurant beizeiten hört, ihr wisst schon, Phil-Collins-Songs auf einer Guzheng gespielt. Das klingt gemein, ist es aber nicht, denn manchmal finde ich asiatisches Fast Food schon ganz gut.“
Christian: Das Hintergrund-Ding von Kristoffer verstehe ich aber schon. Es gibt diese eher repetitiven Stücke. Und dann halt solche, die eigentlich Songs sind. Bei denen fragte ich mich, ob es zu diesen Songs nicht eigentlich auch Vocals geben müsste. Und hatte dann auch eine komische Assoziation: Ich dachte an Musik, die man im asiatischen Schnellrestaurant beizeiten hört, ihr wisst schon, Phil-Collins-Songs auf einer Guzheng gespielt. Das klingt gemein, ist es aber nicht, denn manchmal finde ich asiatisches Fast Food schon ganz gut. Dennoch – und um im Bild zu bleiben: Wäre „Silver Ladders“ ein Gericht beim Asia-Schnellimbiss, würde ich wohl zu Chili- und Sojasauce greifen, um beherzt nachzuwürzen. Das Album ist mir so in der Gesamtheit zu gefällig.
Kristoffer: Ja, und ähnlich geht es mir wohl auch. Da fehlt Sriracha, ein guter Löffel voll. Ich sehe, was da alles auf kompositorischer Ebene gemacht wird und wie clever es ist, ich höre, wie die Möglichkeiten dieses Instruments neu gedacht werden, und ich habe totalen Respekt vor einer Produktion, die das konsequent im Raum verteilt – das hat das Album mit Forsbergs gemein. Nur … ja, was will ich eigentlich? Ich gestehe zu: Ganz den Finger drauflegen kann ich nicht. Vielleicht ist es mir in der Stimmung noch zu betulich, zu sanft. Aber das ist ein Anspruch meinerseits, welcher der Künstlerin gegenüber komplett unfair ist. „Til Mermaids Drags You Under“ zum Beispiel ist so ein Stück, das sehr nach Post-Rock Mitte der Nullerjahre klingt, eine ähnliche Dramatik aufbaut, nur fehlt mir da einfach nach dem Gefühlscrescendo die Erlösung. Vielleicht müsste nach meinem Geschmack dann jemand auf die Snare hauen und die Gitarren röhren los.
Thaddi: Ja und nein. Ich finde das Argument total schlüssig, bei diesem Album reicht mir das aber nicht. Weil: Die Produktion erreicht hier wirklich ein neues Level. Und das ist schon Neil zu verdanken, der die Harfe in seinem eigene Kosmos abholt und weiterdenkt. Das muss man – ganz ehrlich – erstmal bringen!
Christian: Warum passiert dieses Weiterdenken der Harfe denn für euch auf dem Produktionslevel? Ich hätte das eher im Bedienen des Instruments verortet.
Kristoffer: Beim Kernstück, das ich vorhin angesprochen hatte, werden da zumindest ordentlich Effekte draufgeschmiert, die dem Sound und der Wirkung der Harfe noch einmal ganz andere Qualitäten geben. Das höre ich wie gesagt auch, obwohl ich letztlich nicht sagen kann, wer dafür verantwortlich ist. Es befriedigt mich nur nicht so ganz, den großen Rundum- oder Kahlschlag spüre ich hier nicht.
Thaddi: Na ja, eher nein. Ich habe mir die letzten Alben von ihr genau angehört. Alle fein. Aber: Mit Neil – und darauf bestehe ich – findet sich ein Partner, der den Harfinismus neu interpretieren und anders abnehmen kann. Da geht es um ganz subtile Unterschiede. Neil ist ein „Gott“ an der Gitarre und auch bei seinen Produktionen. Das passt einfach.
Kristoffer: Gut, wenn du schon religiös wirst, kommen wir nicht dagegen an! Ich bleibe dabei: „Silver Ladders“ ist mir zu nett. Das liegt mehr an meiner Erwartungshaltung an Musik im Allgemeinen als an Mary Lattimore, denke ich. Schade finde ich es dennoch, weil dieser Platte das Potenzial anzuhören ist, wirklich rabiat und radikal mit allen Klischees um ihr Instrument zu brechen – und das meiner Auffassung nach noch nicht hundertprozentig gelingt. Stattdessen wird feinjustiert, auf schöne Art und Weise allerdings.
Thaddi: Ach, was für ein Quatsch!
Christian: Also rabiat oder radikal finde ich dieses Album wirklich in keiner Hinsicht. Radikal ist heute aber eh nichts. Nicht mal Actress!
Actress – Karma & Desire (Ninja Tune)
Kristoffer: Rabiat ist der, habe ich das Gefühl, sowieso nur in anderen Kontexten. Eines meiner schönsten Cluberlebnisse war, als er im Horst Krzbrg aufgelegt hat, das muss so 2011/2012 rum gewesen sein. Erst The Cures „A Forest“ komplett ausspielen, dann Jungle. Für ein Wortspiel dermaßen den Flow zu unterbrechen, das fordert schon was. Auch sein DJ-Kicks-Beitrag hat sich dann später an der Semantik der Tracktitel entlang gehangelt, statt nach musikalischen Qualitäten vorzugehen. Das hat dann bei Weitem nicht so gut funktioniert. Actress ist in der Hinsicht Situationskomiker: Musst du schon dabei gewesen sein, um heute noch zu rallen, warum das damals geil war. Auf Platte funktioniert’s nur mäßig. Ähnliches würde ich auch von „Karma & Desire“ sagen: Das weckt Erinnerungen an den Anfang der Zehnerjahre, an alte IVVVO-Releases vor allem, die wiederum ja sehr am Actress-Frühwerk orientiert waren. Und wer dabei war, weiß, was gemeint ist und kann damit wohl gut leben. Nur schmeißt diese LP nun noch ein paar Features obendrauf – Sampha unter anderem, jemand spielt auf einem Avril-14th-Versuch Klavier. Das soll wohl das Novum sein. Mich überzeugt das null, harsch gesagt. Es klingt für mich extrem halbgar. Einerseits hängen geblieben, andererseits überambitioniert.
Christian: Die Sampha-Features: höchstens naja. Die Piano-Stücke irritierten mich zunächst ebenfalls – allerdings: Ein Track wie „Public Life“, der bricht ab, hält inne, läuft neu an. Da werden auch mal „falsche“ Töne gespielt. Es gibt also schon viele Mikro-Irritationen, die ihn vom Avril-14th-Schönklang unterscheiden. Diese kleine Brüche beherrscht Actress einfach. Aber darüber hinaus höre ich „Karma & Desire“ eher als Zirkelschluss. Mal ist da der Plucker-Plucker-Actress von „Hazyville“, mal das sinfonische Wollen von „Lageos“, dann wieder die statischen Beats von „AZD“ oder die Dekonstruktionen von „Ghettoville“. Das findet hier alles zueinander.
Thaddi: Ich bin bei Actress wirklich nicht textsicher. Ihr müsst mir also helfen. ich finde das Sound Design bei Tracks wie „Leaves Against The Sky“ absolut sensationell. Kann aber nicht einschätzen, ob er sich das ausgedacht hat, oder ob sich das wie ein roter Faden durch sein bisheriges Schaffen zieht. Volle Sympathie. Diese Looseness der Platte finde ich auch mehr als sympathisch. ich habe seinen Sound „dringlicher“ in Erinnerung. Vielleicht stimmt das nicht. Wenn hier aber plötzlich jemand loslässt, kann ich das nur unterstützen. Bitte sagt ja!
Christian: Ich würde Ja sagen! Das mit der Dringlichkeit empfinde ich auch, hier klingt alles gelassener, selbst in Momenten, wo es drückt und sich sperrt.
Thaddi: Vielleicht verstehe ich hier auf zum ersten Mal das Prinzip „Mixtape“ wirklich. Sorry, Spätzünder, aber: Da können Drake und alle anderen HipHopper*innen ja scheißen gehen. Ein paar Skizzen, meistens moody, kongenial zusammengefasst. Das macht Lust auf mehr, auch das, was da kommen mag.
Kristoffer: Tatsächlich wurde das Mixtape mit dem Titel „88“ ja vorab veröffentlicht. Das hier soll das Album sein, das Album-Album.
Thaddi: Hätte ich auch das Info mal lesen können, sorry.
Kristoffer: Die Looseness steht durchaus in der Tradition voriger Sachen, obwohl auf „Karma & Desire“ schon fast eine Art Readymade-Musik draus wird, siehe etwa „Reverend“ – das ist ein Track, der würde bei Dean Blunt nicht weiter auffallen. Mir hängt nur dieser verrauschte Sound langsam komplett zum Hals raus und da hilft es nicht wirklich, noch ein paar dramatisch-existenzielle ASMR-Vocals drüberzulegen. Und auch nicht, hin und wieder her zu zeigen, dass das mit den Electro-Abstraktions-Beats immer noch bestens funktioniert. Das tut es ja weiterhin.
„Früher war bei Actress immer dieser Wille zur Zersetzung zu spüren. Hier hat er dagegen in großen Teilen ein fast freundliches Ambient-Album gemacht.“
Christian: Gut, am Sound Design hat der Zahn der Zeit natürlich herumgekaut: Diese runtergepitchten Drums, das Rauschen – das ist Teil einer Sound-Ästhetik, die Cunningham in den 2010ern selbst maßgeblich mitgestaltet hat, und die ist inzwischen angegraut. Nun, da die Karawane weitergezogen ist, stellt sich die Frage, ob Mr. Cunnnigham 2020 allein in seinem musikalischen Vorgarten sitzen geblieben ist und ihr hinterher trauert. Oder ob er im Gegenteil den neu gewonnenen Platz als Spielwiese nutzt, um sich ein bisschen auszutoben. Für mein Gefühl: Zweiteres. „Karma & Desire“ klingt leichter, weniger kaputt. Früher war bei Actress immer dieser Wille zur Zersetzung zu spüren. Hier hat er dagegen in großen Teilen ein fast freundliches Ambient-Album gemacht, obwohl sich seine Signaturen bzw. die Produktions-Parameter eigentlich nicht gravierend verändert haben. Und für meine Ohren klingt das gar nicht überambitioniert, sondern eher so, als sei hier jemand ganz bei sich.
Kristoffer: Ich widerspreche dezent. Über weite Strecken schreit diese Platte schon: Welcome back to Hazyville! Obwohl ich andere Alben von ihm da in ihrer Durchverrauschtheit damals konsequenter fand, fast Dub Techno im Tape-Saturierungs-Overdrive. Das war gute Musik, um sich nach einer verfeierten Nacht damit das serotoninentleerte Hirn aufzufüllen. Wattig, aber weird. Hier ist’s brüchiger, sprunghafter, inkonsequenter. Ich glaube, er will das Homogene aber durchaus vermeiden. Nur klingt’s in meinen Ohren dann eben schon etwas wahllos, auf einer halben Arschbacke eingespielt und sequenziert.
Thaddi: Ich höre diese Tracks ganz pur, und finde das Prinzip ziemlich toll. Vielleicht wollen wir ja die Verortung und die Historie einfach mal sein lassen? Danke!
Kristoffer: Ganz unabhängig von jeglicher Vorgeschichte: Dieses Album ist sehr lang, im positiven Sinne sehr abwechslungsreich und im negativen Sinne sehr zusammenhangslos. Zwischendurch gibt’s tolle Beats, das kann er. Neben denen gibt’s aber auch ein paar nette Ambient-Stücke mal mit, mal ohne Klavier. Und irgendwann mimt Sampha auch den frühen James Blake auf einem doch sehr schönen Stück. Ich gehe insgesamt dennoch gänzlich unberührt aus dieser Platte hervor.
Thaddi: Ich finde das sehr angenehm. Die Tracks sind allesamt cool und gut ist!
Kristoffer: Gut! Dann wären wir ja auch schon wieder schnell mit ihr durch. Oder kommt Christian jetzt noch mit einer steilen These ums Eck?
Christian: Ich bestelle gerade Asiatisch, Moment.
Thaddi: Mir geht es es um eine generelle Stimmung. Die hat wenig oder gar nichts mit Corona zu tun. Das ist eher ein universelles Klang-Verständnis. Und da passt der gut rein.
Kristoffer: Was denn für eine? Ich habe da ziemlich viel Grauschlieriges vor dem inneren Auge, zum Herbstanbruch zumindest passt diese Platte. Obwohl ich mich dann lieber mit der Lattimore einigle oder in Forsbergs Genie ein Bad nehme.