Virtuelle Klangwelten und die Emanzipation von TechnoEin Interview mit Gratia Napier und William Russell von MONOM
11.10.2019 • Sounds – Text: Ji-Hun KimDas Funkhaus in Berlin war von 1956 bis 1990 Sitz des Rundfunk der DDR und galt als eines der größten Aufnahmestudios der Welt. Heute wird der Komplex vornehmlich für Events, Konzerte und Festivals genutzt. Ein Highlight seit 2017 ist das MONOM. Gemeinsam mit 4DSOUND wurde hier ein Aufnahmeraum mit 48 omnidirektionalen Lautsprechern ausgestattet, der völlig neue räumliche Klangerfahrungen ermöglicht. Eine innovative Plattform für Musik-Produzenten, Fans elektronischer Musik, aber auch für viele andere künstlerische Gattungen. Ein Interview mit den Gründern Gratia Napier und William Russell.
Was ist die Geschichte hinter MONOM?
William: Im Funkhaus hatte ich schon länger ein Studio. Als ich vor acht Jahren nach Berlin kam, war hier noch so gut wie gar nichts los. Zwar hatten Künstler und Musiker ihre Studios hier, aber für die Öffentlichkeit wurde das damals im Vergleich zu heute so gut wie gar nicht genutzt. Meine Familie arbeitete schon immer in der australischen Kreativindustrie. So habe ich früh gelernt, wie wichtig kreative Orte für die Kultur einer Stadt sind. Gäbe es das Funkhaus in Australien, wäre es zweifelsohne der Kulturort schlechthin im ganzen Land.
Das Funkhaus hat sich in den letzten Jahren zu einer der Konzert-Locations Berlins gemausert.
William: Das hat sich erst mit dem aktuellen Besitzer ergeben. Es kam mir wie eine große Verschwendung vor, dass hier so wenig genutzt wurde. Eigentlich handelt es sich um das größte Aufnahmestudio der Welt, was vor der Wende für Radioproduktionen der DDR genutzt wurde. Ich verfiel der Idee, das Funkhaus der Öffentlichkeit zugänglicher zu machen. Ich wollte mit neuen Generationen von Soundsystemen experimentieren, die die Akustik der toll klingenden Räume neu definiert. Mein Ziel war, die Akustik eines Orchesters mit Lautsprechern zu imitieren.
Auf die Anlage von 4DSOUND bist du zu der Zeit aber noch nicht gestoßen?
William: Als ich mit dem Design anfing, habe ich viel zu diesem Thema recherchiert. So bin ich auf 4DSOUND gestoßen und konnte nicht glauben, wie gut das zusammenging. Heute kann ich den gesamten Raum so kontrollieren und akustisch gestalten, als würde ich mit einem Orchester arbeiten. Mir ging es darum, elektronische Musik in die gleiche Sphären wie klassische Musik zu bewegen. Sie hat die gleiche Wertschätzung verdient.
Gratia: Bevor ich nach Berlin gekommen bin, habe ich in New York gelebt und gearbeitet – viel im Bereich Marketing, ich habe für Filmproduktionen gearbeitet und Experiences kreiert. Ich hatte aber das Bedürfnis, meine Talente in einem bedeutungsvolleren Umfeld anzuwenden. Ich bin nach Berlin gezogen, um so eine Aufgabe zu finden – und glücklicherweise haben sich die Dinge gefügt. Ich habe begonnen, mich bei 4DSOUND um Projekte und Partnerschaften zu kümmern. WIlliam und ich haben uns den Space zusammen angeschaut. Das war wie eine Fügung. So wurde das MONOM gegründet, und seitdem sind wir zusammen für die Location verantwortlich.
William: Als ich das erste Mal die Anlage von 4DSOUND gehört habe, war mir nach wenigen Sekunden klar, dass bereits das geschaffen wurde, was ich mir gewünscht und vorgestellt habe. Aber hundert mal besser.
Was war besser oder anders?
William: Bei 4DSOUND hat man Klang als Audio-Hologramm gedacht und umgesetzt. Der Sound wird zu einer physischen Entität, die durch den Raum bewegt werden kann. Es handelt sich ja nicht um ein Multikanalsystem. Es ist ein neues Medium, ein eigenständiges Instrument. Das hat meinen Horizont erweitert und mein Leben verändert. 4DSOUND brachte die Technik und ich quasi den Raum. Auch konnte ich den Besitzer des Funkhauses davon überzeugen, dass es für die Stadt und auch für das Location wichtig ist, so ein einmaliges Projekt zu verwirklichen. So kam die unglaubliche Akustik des Funkhaus und diese fantastische Technologie zusammen. Das ist einmalig in der Welt. Eine wichtige Rolle spielte in der Sache der DJ und Produzent Zak Khutoretsky, besser bekannt als DVS1, der uns als Business Angel und Partner sehr geholfen hat, Investitionen an Land zu ziehen.
Es lief ja quasi alles wie am Schnürchen.
Gratia: Es ein ambitioniertes Projekt. Dass wir binnen so kurzer Zeit MONOM etablieren, eine Community aufbauen und wirklich spannende Projekte realisieren konnten, ist fantastisch. Es ist alles organisch gewachsen und zeigt uns, dass es einen großen Bedarf für alternative und innovative Sound-Erfahrungen gibt. Gerade in Berlin, wo die Schnittstelle zwischen Technologie und Musik etwas ist, für das die Stadt auch steht. Es ist ein perfektes Fundament, um weiterhin zu wachsen und die Idee noch größer werden zu lassen.
Vor allem weil Berlin lange Zeit dafür bekannt war, in Clubs besonders mittelmäßige Anlagen zu haben.
Gratia: Absolut. Vieles war DIY und schnell zusammen gebastelt. Es ging oft um Glitzer und Konfetti und weniger um exzellenten Sound. Das hat sich aber zum Glück geändert.
Im Vergleich zu typischen Anlagen in Clubs und Festivals: Wo gibt es noch Unterschiede?
William: Ein wichtiger Unterschied ist, dass die 48 Lautsprecher omnidirektional funktionieren. Heißt, es gibt hier keinen Sweetspot. Normalerweise gibt es einen Projektionspunkt, wo der Sound am besten funktioniert. Es herrscht ein binäres Verhältnis. Es gibt den Künstler auf der einen und das Publikum auf der anderen Seite. Man weiß immer, von wo der Sound kommt. Das führt zu einer Trennung. Das ist hier anders. Wenn man durch den Wald läuft, gibt es auch keinen Sweetspot, wo die Natur mal besser oder schlechter klingt. Man kann den Sound dynamischer kontrollieren.
Gratia: Ich war immer an Bewegungen interessiert. Auch Musik beim Tanzen zu hören und die Räumlichkeit wahrzunehmen, hat mich fasziniert. Mit dieser Anlage gibt es diese unwiderstehliche Verkörperlichung von Klang und Raum. Hier erschließt sich der Klang häufig erst durch deine Bewegungen im Raum.
Nun dürfte es eine Herausforderung sein, für so eine komplexe Anlage den richtigen Content zu produzieren. Die meiste Musik wird noch immer Stereo produziert und so auch veröffentlicht.
William: Jedes neue Medium birgt zunächst die Herausforderung, dass man aufklären muss. Man muss die Potentiale aufzeigen, aber auch Künstlern deutlich machen, was für Freiheiten so etwas ermöglicht. Die meisten, die hier gearbeitet haben, wollen danach nie wieder etwas in Stereo machen. Man merkt, dass das Statische von konventionellen PAs die Kreativität einengen kann. Das liegt auch daran, dass die gesamte Industrie auf einen Standard festgelegt ist. Von PAs, Musik-Software, bis hin zu Abspielgeräten. Aber mit Technologien wie VR und AR wächst der Bedarf für räumlichen Sound. Hier gibt es einen neuen milliardenschweren Markt, der auch der Akzeptanz unseres System zuträglich ist. Es handelt sich ja gewissermaßen um Sound-VR. AR und VR schaffen visuelle Hologramme. Wir kreieren auditive Hologramme. Wir wünschen uns, dass räumliche Klangkomposition zum Standard wird. Die Möglichkeiten, die sich auftun sind vielfältig. Räumlicher Klang ist nicht nur für Musik spannend. Auch Hörspiele, Theater und andere Medien können mit klanglicher Immersion produziert werden.
Ihr wollt euch nicht nur auf Musik fokussieren?
Gratia: Genau. Wir schaffen einen Markt, um das Medium bekannter und größer zu machen.
William: Die Technologie soll auch in anderen Locations und anderen Städten ein Zuhause finden. Das Medium ist kompatibel mit praktisch jeder Kunstform – ob Tanz, Theater, Kunst, Museen, Filme, Gaming. Alte und neue Kunstformen können davon profitieren. Umso mehr Locations damit bestückt werden, desto akzeptierter wird es werden. Wir können wieder lernen den Hörsinn neu zu trainieren. Klang ist heute noch sehr eindimensional. Wir sind überzeugt, dass das in Zukunft anders sein wird. Es soll nicht nur um Entertainment gehen.
Man muss schon im MONOM gewesen sein, um überhaupt eine Vorstellung davon zu haben, worum es überhaupt geht. Gerade im Clubkontext kann man sich heute abertausende DJ-Sets auf YouTube angucken. Das führt zu einer gewissen Ermüdung und Sättigung. Das war vor 15 Jahren ja noch anders. Um Techno oder House zu erleben, musste man ja in die Clubs.
Gratia: Als ich mit dem Ausgehen anfing – ich war 15 und ging auf Raves in den USA – war es eine gemeinschaftliche Erfahrung. Wenn man DJ-Sets daheim am Rechner konsumiert, ist das ist ja etwas anderes, es ist begrenzt. Wenn heute alles im Internet verfügbar ist, dann ist es zweifelsohne wundervoll, dass man sich auf der ganzen Welt mit Club-Kultur auseinandersetzen kann. Im MONOM geht es aber wieder zu diesem Ursprung zurück. Wir schaffen gemeinschaftliche Erfahrungen. Von Beginn an war klar, dass es viele Synergien und eine Community gibt, die das besonders zu schätzen weiß.
William: Es gibt viele Anknüpfungspunkte mit der Szene hier. Aber wir wollen dezidiert keinen weiteren Club betreiben. Davon gibt es in Berlin auch schon reichlich, und natürlich läge es für DVS1 auf der Hand, einen Club zu machen. Das Potential unserer Anlage geht weit über die Möglichkeiten von konventionellen Techno-Clubs hinaus. Nach zwei Jahren haben wir festgestellt, dass, obwohl wir anfangs viel mit elektronischen Produzenten gearbeitet haben, es eigentlich um viel mehr als Club-Musik geht. Wir haben mit einigen Techno-Produzenten gearbeitet. Bei allen war aber klar, dass die Produktionen im MONOM sich weit vom Techno emanzipieren und was völlig Neues entsteht. Vielmehr geht es darum, virtuelle Welten zu erschaffen. Es eignet sich sehr für Narrative. Hier sehen wir immer mehr die eigentlichen Möglichkeiten und darauf fokussieren wir uns mehr.
Es geht also auch um Hörspiele, Audio-Theater?
William: Wir sprechen von Sonic Cinema. Filmische Erfahrungen mit Klang zu erzeugen. Das MONOM kann eine neue Plattform für Storytelling werden. Man kann Geschichten erzählen und sich gleichzeitig in diesem Raum bewegen. Das sind cineastische Erfahrungen, die immersiv sind und noch mal völlig neue Perspektiven eröffnen.
Was waren bislang die spannendsten Performances für euch persönlich?
Gratia: Letztes Jahr haben wir mit Ena und Felix K gearbeitet – ihre Arbeit war eines meiner persönlichen Höhepunkte. Sie haben viel mit tiefen und mittleren Frequenzen gearbeitet. Hohe Frequenzen neigen dazu, sich zu verflüchtigen. Die tieferen Frequenzen ergeben eine körperliche Erfahrung. Deren Arbeit war für alle ein großer Erfolg. Drew McDowalls Arbeit beim letzten CTM war auch toll. Es war faszinierend zu erleben, wie hier Objekte im Raum platziert wurden. Drew hat eher damit gearbeitet, Sounds fest im Raum zu installieren. Man musste sich im Raum bewegen, um in Kontakt mit den Sounds zu kommen.
William: Das ist die vierte Dimension: Du als Rezipient, der sich im Raum bewegt und ständig eine einzigartige Erfahrung generiert.
Gratia: Man interagiert anders mit der Musik. Die eigene Bewegung wird zum wesentlichen Bestandteil.