An dieser Stelle informieren wir euch in den kommenden Wochen und Monaten über ausgewählte Episoden des Telekom Electronic Beats Podcasts – immer pünktlich zum Veröffentlichungsdatum der jeweils neuen Ausgabe. In mittlerweile knapp 30 Folgen hat sich dank der Moderator*innen Gesine Kühne und Jakob Thoene ein vielstimmiges Bild der Clubkultur entwickelt. In der neuen Ausgabe dreht sich alles um Vincent Neumann. Er ist DJ und Psychotherapeut. Zwei Professionen, die im Dancefloor-Geschäft eine vollkommen neue Sichtweise auf die Techno-Realität eröffnen. Es geht um Drogen – was sonst?
Psychotherapist by day – DJ by night. Der Leipziger Vincent Neumann hat zwei Berufe. Tagsüber betreut er drogenabhängige Menschen, am Wochenende packt er seine Plattentasche und geht Techno auflegen. Als Resident in der Distillery zum Beispiel oder im Berghain, wo er besonders gerne lange Abschluss-Sets spielt, die langen Wochenenden die Krone aufsetzen.
Drogen und Musik – das sind Dinge, die schon immer zusammengehörten, nicht erst seit Techno. Rausch und Ekstase brauchen einen Soundtrack und andersherum. Wie das im Club funktioniert, weiß Neumann ganz genau. Vom DJ-Pult aus hat er einen sehr genauen Blick auf die Gemengelage auf dem Dancefloor. Er erkennt, so erklärt er im Podcast-Gespräch, in den Gesichtern der Tänzer*innen gar sofort, welcher Wirkstoff gerade anschlägt. Und in der Klinik kümmert sich um diejenigen, die irgendwann nicht mehr aufhören konnten, bei denen aus dem Ge- ein Missbrauch wurde, der schließlich in der Abhängigkeit endete. Über dieses Thema hat sich Gesine Kühne für die neueste Folge des Telekom Electronic Beats Podcast mit Vincent Neumann unterhalten – eine absolute Hörempfehlung.
Denn auch wenn über Drogenkonsum und -missbrauch gesprochen und gestritten wird: Auf Augenhöhe geschieht das selten. Zwischen platten Vorwürfen, dem lauten Rufen nach restriktiverem Vorgehen und der Debatte rund um die Legalisierung von Marihuana bleibt die Tatsache, dass Drogen im Leben vieler Menschen eine große Rolle spielen. Längst nicht mehr nur am Wochenende. Und das ist ein Problem oder zumindest die Realität, mit der wir alle umgehen müssen.
Neumann verteufelt nicht, sondern wirbt vielmehr für einen bewussten Umgang mit Drogen, für eine Art des kleinen Einmaleins der Vernunft. Und genau das scheint in der Clubkultur immer weniger eine Rolle zu spielen.
Dieser Umgang ist, wie so oft, kompliziert. Wie unterschiedlich die Verläufe ausfallen können, berichtet Neumann eindrücklich aus der täglichen Arbeit. Der Club als safe space, der Möglichkeiten bietet, sich auszuprobieren und die eigenen Ängste zu überwinden – vielleicht mit einer viertel Pille die Schüchternheit abzuschütteln, nur um dann zu merken, dass man dieses Glücksgefühl nie wieder hergeben will und fortan jeden Tag MDMA nimmt, um das neue lockere Selbst auch im Alltag zeigen zu können. Oder die so genannten „Drehtürpatienten“, die immer wieder kommen, und bei einem Rückfall mit der einen Droge dann auch noch eine andere mitkonsumiert haben, weil der unbekannte Notfall-Dealer gestreckt hat. Neumann verteufelt nicht, sondern wirbt vielmehr für einen bewussten Umgang mit Drogen, für eine Art des kleinen Einmaleins der Vernunft. Genau das scheint in der Clubkultur immer weniger eine Rolle zu spielen. Der Mix, den Neumann in seinen Sets so vortrefflich beherrscht, ist bei unterschiedlichen Substanzen lebensbedrohlich. Cocain-Ketamin mit Bier? Keine gute Idee. Dass der DJ das alles selbst ausprobiert hat, als Raver, hilft ihm heute sehr in seiner Arbeit. Neumann ist der nicht klassische Doktor in weißem Kittel.
Der Umgang mit diesen (sozialen) Medien zeigt, wie reflektiert der Leipziger seinen Spagat zwischen nächtlichem Eskapismus und täglichem Job annimmt und in etwas Einzigartiges transformiert.
Natürlich sind Drogen nicht das einzige Thema des Podcasts. Vincent Neumanns Weg zum DJ und Psychotherapeuten verlief eigentlich ziemlich straight. Von der Blockflöte über den MDR-Kinderchor, Heavy Metal und Drum and Bass – wie das eben so ist. Seinen Werdegang erklärt er genauso wie seine Passion für Instagram, wo er auf seinem eigenen Kanal vornehmlich die besten Graffiti featured und auf Techno The Gathering anderen DJs Profile auf Magic-Spielkarten verpasst. Der Umgang mit diesen (sozialen) Medien zeigt, wie reflektiert der Leipziger seinen Spagat zwischen nächtlichem Eskapismus und täglichem Job annimmt und in etwas Einzigartiges transformiert. Keine Fotos von hochgereckten Händen, keine sinnentleerte Selbstinszenierung. Dafür aber Mixe auf SoundCloud mit Titeln wie „Notre Dame ist genau so nur irgendein Gebäude wie deine Mutter nur irgendein Mensch is“, „Musik als identitätsstiftende Ware“ oder „If everything can mean anything then nothing means anything.“ Das ist schon alles ziemlich sehr gut. Genau wie sein Umgang mit dem Auflegen: Auch schnelle Tracks brauchen Raum: „Ich bin kein Freund von ADHS-Mixing“.
Und: Der DJ, der auch schreibt, will keinen seiner beiden Jobs aufgeben. Das Auflegen empfindet er als Entspannung. Von der „Arbeit“. Und wenn er „nach dem Wahnsinn“ wieder in die Normalität des Nine-to-five dieser Arbeit eintauchen kann, ist das genauso gut.
Das Gespräch von Gesine Kühne mit Vincent Neumann fügt dem Techno-Diskurs eine wichtige Facette hinzu, die man so offenherzig bislang nur selten wenn überhaupt präsentiert bekam. Unprätentiös und voller Emphase berichtet hier jemand, der seine ganz eigene „Work-Life-Balance“ gefunden hat. Was dabei was ist, möge jeder für sich selbst entscheiden.