„Unsere Welt braucht eine Atempause“Goldmund – Der Mann am Klavier im Interview
13.4.2018 • Sounds – Interview: Thaddeus HerrmannDie Chancen stehen gut, dass selbst diejenigen, die noch nie eine Platte von Keith Keniff gehört haben, seine Musik doch kennen. Ob als Helios, Mint Julep oder eben Goldmund: Kenniffs Musik läuft im Kino, Fernsehen und vor allem Werbung rauf und runter. Nicht ohne Grund – sein Umgang mit dem Klavier ist einzigartig. Wenn sich heute das Feuilleton an der modernen Klassik und dem „Solo Piano“ schwelgerisch abarbeitet, ist das ein Genre, das Kenniff mit erfunden und geprägt hat – auf unzähligen Alben immer weiter verfeinert hat. Nun erscheint „Occasus“. Eine Platte, auf der sich der US-Amerikaner von diesem etablierten Konzept löst und sich dennoch treu bleibt. „Knock offs be damned“, schreibt die Plattenfirma – selten wollte man einem Marketing-Claim so kategorisch zustimmen. Im Interview erzählt Keith Kenniff, wie er die Balance zwischen Auftragsarbeiten und eigenen Werken findet, was ihn überhaupt noch an Musik reizt und warum Einfachheit und Zugänglichkeit nichts Schlechtes sind.
Als Goldmund hast du zuletzt 2015 veröffentlicht. Wann konkretisierte sich die Idee, wie du das Projekt nach „Sometimes“ fortschreiben und weiterentwickeln könntest?
So arbeite ich tatsächlich nicht. Goldmund nehme ich locker – und bin doch immer mit dem Projekt beschäftigt. Mal schreibe ich über einen längeren Zeitraum Songs dafür, dann wieder mehrere Monate gar nicht. Irgendwann merke ich dann, dass sich genug Material für eine neue Platte angesammelt hat.
Wie verhält sich das neue Album „Occasus“ deiner Meinung nach zu „Sometimes“? Und wie passt es in den erzählerischen Bogen von Goldmund?
Ich gehe zunächst davon aus, dass jedes Album ein Fortschritt ist – wie immer der sich auch manifestiert. Bei der Produktion der neuen Platte merkte ich schnell, dass ich mich weniger auf das Kompositorische und die Ausarbeitung der Melodien konzentrierte, sondern eher auf die Form und Texturen achtete. Die Songs sind immer noch vergleichsweise kurz, dabei aber impulsiver und auch irgendwie roher. Je länger ich nun am Klavier sitze, desto weniger interessieren mich Elemente, die auf Hochglanz poliert und perfekt platziert sind.
Konkret sitzt du für Goldmund ja seit 2005 am Klavier. Seitdem hat sich die musikalische Landschaft drastisch verändert. Typen am Klavier, die auch Elektronik cool finden, sind erfolgreicher denn je. Da hat sich eine ganz neue Szene herausgebildet, die sich nur einem Ziel verschrieben hat – das Intime und Zurückhaltende des Pianos irgendwie mit dem zusammenzubringen, was der Dancefloor fordert. Da ist es doch Zeit für eine Art Regierungserklärung deinerseits.
Yeah, da hat sich einiges getan und entwickelt, egal ob es nun um das „Solo Piano“ geht oder alles, was man gemeinhin „Modern Classical“ nennt. Vieles davon mag ich wirklich, anderes nicht so. Das ist wie mit jedem anderen Stil von Musik.
Warum ist diese Musik im Moment so populär, gerade auch bei jüngeren Menschen?
Ich bin davon überzeugt, dass sich Menschen generell zu Musik hingezogen fühlen, die ruhig oder auch besinnlich ist. Unsere Welt ist eine einzige Ablenkung und wahnsinnig laut – da braucht man eine Atempause. Und je einfacher etwas ist, desto leichter kann man sich damit identifizieren. Übersetzt man diese beiden Qualitäten in Musik, kann eine sehr enge Bindung entstehen. Man muss es natürlich richtig machen.
Das ist doch genau der Punkt. Ich stelle es mir sehr schwierig vor, da die Balance zu treffen und auch zu halten. Die Grenze zwischen Genie und Kitsch ist sehr schmal.
Klar. Aber: Alle Menschen sind anders und finden unterschiedliche Dinge gut. Ich bin in diesem Zusammenhang nicht diktatorisch unterwegs, wenn es um gut oder schlecht geht. Ich merke das immer wieder, wenn ich Reviews von neuen Platten lese. Wir ticken alle anders. Wenn ich eine positive Besprechung eines Albums lese und mir die Platte dann anhöre, bin oft genug konsterniert und denke nur: Echt jetzt?
Wir haben das letzte Mal vor zehn Jahren gesprochen, damals anlässlich deines Album „The Malady Of Elegance“. Du sagtest, dass Kunst immer dann gut und einzigartig ist, wenn sie die Art und Weise, wie wir über unsere Geschichte denken, formt. Hat so eine Haltung vorauseilenden Einfluss auf die Komposition? Die Stichworte sind ja offensichtlich: sachte, melancholisch, langsam und in Moll.
Ich kann Musik auf zweierlei Art wertschätzen. Entweder sie spricht mich intellektuell an oder aber ich verbinde etwas ganz Bestimmtes damit, das das Hörerlebnis positiv verstärkt. Wenn beides geschieht, ist das natürlich ideal. Ich glaube aber auch, dass ich sowohl beim Hören als auch beim Schreiben von Musik immer bestimmte Bilder und Erfahrungen im Kopf habe. Beides ist also von sich aus nostalgisch belegt. Es stimmt, dass meine Tracks oft langsam und ruhig sind – ich höre aber die unterschiedlichsten Genres: Punk, Drum and Bass, Techno, Noise zum Beispiel. Mein Gehirn kann also die unterschiedlichsten Texturen verarbeiten. Natürlich habe ich bestimmte Vorlieben, aber jeder soll bitte unbedingt so hören und komponieren, wie er will.
„Je länger ich über etwas nachdenke, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich mir selbst ein Bein stelle.“
Der Stil, den du mit Goldmund verfolgst, hat sich mit den Jahren stetig weiterentwickelt. Die Eckpfeiler sind aber dennoch die gleichen geblieben. Das Klavier, gewisse Stimmungen und mehr oder weniger melancholische Melodien. Woher nimmst du die Inspiration?
Die größte Inspiration für mich ist tatsächlich Zeit, bzw. die Freiheit sich Zeit zu nehmen und sich treiben zu lassen. Ich arbeite in der Regel sehr schnell und habe ein klares Regelwerk, zum Beispiel immer nur an einer Idee zu arbeiten und niemals mehrere miteinander zu vermengen. Je länger ich über etwas nachdenke, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich mir selbst ein Bein stelle. Dann mischt sich mein Gehirn ein, ich fange an, irgendwelche Dinge in den Track hineinzuprojizieren. Das will ich verhindern. Denn schlussendlich bin ich davon überzeugt, dass die Musik keine tiefere Bedeutung hat, bzw: dass jeder etwas anderes damit assoziiert. Ich versuche mich da bewusst zurückzunehmen und niemanden meine Interpretation aufzuzwingen.
Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum du in der Vergangenheit immer wieder einige deiner Stücke lizenzieren konntest: Apple, Honda, Google, Starbucks, Facebook oder auch Volvo haben Musik von dir in ihren Werbespots verwendet. Du hast das zum Geschäft gemacht, auf deiner Webseite unseen music kann man alles vorhören und direkt anklicken. Erklär’ das Konzept dahinter.
Kompositionen für Kino und Fernsehen sind mein Job. Die Webseite ist die Klammer, die mein eigenes Label und das Lizenzgeschäft zusammenhält. Mir macht das auch wirklich Spaß. Wenn man die Gelegenheit hat, mit tollen Regisseuren zusammenzuarbeiten, kommt das ganz von allein.
Für mich als potenziellen Kunden ist das sehr einladend gestaltet. Ich kann mich entscheiden zwischen schnell oder langsam, Styles bestimmen und sogar nach Tags suchen. Andersherum stelle ich mir das auch frustrierend vor, seine eigene Musik so kategorisieren zu müssen.
Natürlich wäre es toll, wenn ich darauf verzichten könnte, aber dieses Geschäft funktioniert nun mal so. Und letztendlich finde ich das auch gar nicht schlimm. Diese Assoziationen, die ich verschlagworte, entstehen ja ganz automatisch. Und ich gebe sie einfach vor.
Beeinflusst diese Arbeit deine anderen Projekte? Wenn man eh immer Bilder im Kopf hat und sich dann erinnert, dass einige davon zu besonders erfolgreichen Lizenzen geführt haben?
Ich versuche, das so gut es geht zu trennen. Nicht an das eine zu denken, wenn ich an etwas anderem arbeite. Natürlich gibt es da Überschneidungen, aber die Prozesse sind schon grundsätzlich andere. Goldmund ist schnell und intuitiv, Helios langsam und methodisch. Bei Mint Julep funktioniert es wieder anders, schon allein, weil meine Frau als Sängerin hier dabei ist. Und die Arbeit für Film und TV ist meistens unvorhersehbar – das geht zwar meistens auch schnell, Produktion und Stil variieren aber. Manchmal muss ich mich den Ideen der Auftraggeber anpassen, manchmal lässt man mir vollkommen freie Hand. Ich habe generell eher keine Bilder im Kopf, wenn ich komponiere, sondern eher eine vage Vorstellung einer Ästhetik.
Als ich dein letztes Album „Sometimes“ besprochen habe, „forderte“ ich frech eine Zusammenarbeit zwischen dir und Otto Totland ein. Jetzt kann ich dir diesen Wunsch endlich mitteilen.
Das wäre toll! Er ist ein super Typ und ein fantastischer Komponist.