Trance im besten Sinne, angenehme Düsternis und Autotune im AlterBarker & Baumecker, Carla dal Forno, Lambchop: drei Alben, drei Meinungen
2.11.2016 • Sounds – Gespräch: Christian Blumberg, Kristoffer Cornils, Thaddeus HerrmannGroßer Floor, kleiner Floor, Möchtegern-Floor: Die musikalische Reise unseres neusten Musik-Roundtables beginnt im Berghain bei Barker & Baumecker, die dem Sound des Berliner Clubs mit ihrem zweiten Album „Turns“ eine unerwartete Komponente des musikalischen Storytelling hinzufügt. Sehr direkt, sehr hintergründig, voller Trance-Referenzen und anderer toller Dinge, die man so in dieser Mischung bislang nur selten zusammen gehört und gedacht hat. Eine der wichtigsten Elektronik-Platten des Jahres 2016. Das ist ein Preis, den Carla dal Forno bestimmt nicht im Sinn hatte, als sie „You Know What It’s Like“ aufnahm, eine Platte die man als ästhetische Aufarbeitung des Wave der frühen 1980er-Jahre hören kann, aber nicht muss. Auch gar nicht kann, denn wenn es poppig und strukturiert wird, strahlt dal Fornos Musik in ihrer Bescheidenheit und Stille heller als manch anderes. Derweil saß Kurt Wagner, Mastermind der Band Lambchop, besonders gern auf der Terrasse vor seinem Haus, rauchte Zigaretten und lauschte der Musik, die seine jungen Nachbarn den ganzen Tag hörten. Für „Flotus“ stellte er die Gitarre in die Ecke, lernte Ableton und kaufte Autotune, bevor er seine Band-Kollegen einlud, die voll elektronischen Demos sacht zu akustizieren. Großer Floor, kleiner Floor, Möchtegern-Floor: Die Diskussion auf dem Filter-Floor ist eröffnet.
##Barker & Baumecker – Turns (Ostgut Ton)
Kristoffer Cornils: Kurze, eher theoretisch als praktisch nützliche Information zu Anfang: Die zweite LP von Barker & Baumecker dauert genau einen Flug von Amsterdam nach Berlin. Sprich: Du hebst mit Sphärenambientklängen ab, der Bass schmiegt sich ins Motorengedröhn und irgendwann landest du zu den dichtesten Flächen seit DJ Sprinkles’ „Midtown 120 Blues“ auf dem Dancefloor der Tatsachen. Klingt nach Reinhard Mey, ist aber geil. Und das perfekte Setting für diese Platte, die mehr noch als jedes andere Ostgut-Ton-Release je dafür gemacht wurde: zum Schweben.
Thaddeus Herrmann: Die Route Amsterdam-Berlin ist ja ziemlich langweilig aus der Luft. Dennoch: Was hast du gesehen, als du aus dem Fenster geschaut hast, so kurz vor Osnabrück?
Kristoffer: Viel Grau. Quasi den Gegenentwurf zum Albumcover, das zwar plakativ und dennoch on point ist: Hier ist Techno mal polychrom. Anders als Osnabrück eben. Oder die graue Wolkendecke über der schwarzen Berghain-Schlange.
Thaddeus: Ich war noch nie in Osnabrück, mag die Platte aber sehr!
Christian Blumberg: Luft ist ein gutes Stichwort. Für Ostgut sehr luftig irgendwie. Find ich einen guten Move des Labels, so eine Beinahe-Trance-Platte. Die hätte ich dort eigentlich nicht erwartet. Was dann doch wieder typisch Ostgut ist: die Professionalität. Also ich habe ja keine Ahnung, aber für mich klingt es sehr professionell gearbeitet, nach Produzenten-Erfahrung.
Kristoffer: Ja, nein, jein. Zuerst: Mit Luke Slaters (großartiger) „The 7th Plain“-Compilation auf A-Ton hast du ein in Sachen Sound-Design Detroiter Zungenschlags recht ähnliches Release vorliegen. Zudem: Müssen die ja rausbringen. nd_baumecker ist Panorama-Bar-Resident, Sam Barker steckt meines Wissens auch metertief drin. Trotzdem zeigt es einen gewissen Trend bei Ostgut auf, wo die Pfade des Tool-Technos im Albumformat (Ben Klock, Marcel Dettmann) langsam der Nachhaltigkeit, um nicht zu sagen Wertigkeit weichen. Club-Material wird auf 12”s oder Sublabel (Unterton etwa) aussortiert oder wird von dem narrativen Techno eines Luke Slaters als Planetary Assault Systems überholt. „Arc Angel“ war allerdings ebenfalls: überragend.
„Synkopenmusik mit viel lauter Stille. Sind Barker & Baumecker die Talk Talk des Techno?“ (Kristoffer Cornils)
Thaddeus: Trance war auch eine meiner ersten Assoziationen. Im besten Sinne, ganz wertfrei. Dieses Album hat mich sehr überrascht. Weil es a) so unglaublich gut klingt, so ausgewogen im Sound-Design ist, und einen gleichzeitig aber auch so reinzieht. Auf den unterschiedlichsten Ebenen. Wie das schon los geht. Eben sehr sanft, melodiös, und dann sind da diese Autechre-Beats drunter, so plusminus aus der Ära „Second Bad Vilbel“. Das muss man erstmal bringen. Egal, ob die Tracks danach dann super kalt und reduziert sind auf der Gefühlsebene, oder eben fast schon vorne raus euphorisch, marktschreierisch verraved, das passt immer. Und das mag ich. Weil dieses Prinzip sonst bei niemandem funktioniert. À propos „Arc Angel“: Diese klangliche Burial-Referenz auf dem Album, die ist doch ein Witzchen, oder? Also so auf Kumpel-Ebene.
Kristoffer: Ja, irgendwer schrieb irgendwo, das sei mehr Dubstep als Techno. Irgendwie ja. Irgendwie nein. Techno wurde auf eine – verdammt, auch: tolle – Vorab-Single ausgelagert, das hier aber ist, mir gruselt’s, das in den Mund zu nehmen, Storytelling. Da ist der Beat vor allem deswegen da, um die Zwischenräume zu betonen. Synkopenmusik mit viel lauter Stille. Sind Barker & Baumecker die Talk Talk des Techno?
Thaddeus: Wer von den beiden ist dann Mark Hollis?
Christian: Nochmal ein wenig Off-Topic die Frage an euch als Clubmusik-Redakteure: Gibt es eigentlich ein Trance-Revival? Ich denke z.B. an die Half-Life-Parties, die ein solches ja sehr unironisch vorantreiben. Dagegen ist der Trance-Anteil bei B&B natürlich überaus maßvoll dosiert.
Kristoffer: Gibt es definitiv. Der Konsens-Track des Jahres ist, schluck, Konstantin Sibolds „Mutter“. Gerd Janson musste sich arge Beleidigungen anhören, weil er den über Running Back rausgebracht hat. Trance ist definitiv wieder da. Einerseits als glossy Abstraktionswert bei italienischen Emo-Techno-Duos, die frisch nach Berlin gezogen und von ihren Gefühlen überwältigt sind, wie auch als krude Referenz auf eine vergangene Utopie im Neunziger-Rave, womit wir wieder bei Barker & Baumecker wären: „Turns“ nimmt tatsächlich mindestens eine Abzweigung in die Zukunft, wie sie uns vor zwanzig Jahren versprochen wurde. Klingt aber aktuell, wie ich finde – sehr.
Thaddeus: Unbedingt. Ich kriege aber mit mir noch nicht geklärt, warum das so ist. Die Platte ist in sich zwar schon geschlossen, dabei aber doch sehr unterschiedlich in den Stimmungen. Erst ganz am Ende zeigt sich, worauf die beiden offenbar hingearbeitet haben. Auf einen in einer Mischung aus Hall und Echo langsam empor kommenden Neuanfang. Die letzten Takte, nach diesem epischen Mega-Track, den so vor 20 Jahren nicht mal Underworld in ihren besten Tagen hinbekommen hätten, in ihren besten Momenten natürlich nur, diese letzten Takte also, das ist ja schon der hoffnungsvolle Anfang eines neuen Album. Zehn Sekunden, die man am besten einem lieben Menschen bei Schneetreiben unter die Mütze schiebt.
Christian: Ich habe mal kurz gegoogelt: Vor Osnabrück sieht man viele Kühe.
Kristoffer: Lassen wir den Fauna-Techno doch dem Eulberg und konzentrieren uns auf diese merkwürdige Kippstimmung. Die ist merkwürdig transhumanistisch: emotional stark aufgerieben und trotzdem distanziert. „Statik“, der letzte Track, erzählt in einer guten Viertelstunde von einem 30-stündigen Drogentrip: von taumelnden Keta-Beats über die versehentliche Dosis Methoxetamin bis hin zum MDMA-verperlten Finale wird da alles (und jedes Register) gezogen. Trotzdem ist das extrem kontrolliert. Das hat schon was sehr Hybrides.
Thaddeus: Kann ich das irgendwo kaufen?
Kristoffer: Komm mal eben kurz in die Klokabine mit, wir regeln das da.
##Carla dal Forno – You Know What It’s Like (Blackest Ever Black)
Christian: Ich bleibe dann hier und stelle mal eben die Platte von Carla dal Forno vor. Die ist erstmal eine erneute Bestätigung, dass die 80er inzwischen als ästhetisches Paralleljahrzehnt fest installiert sind. Insofern zunächst nicht wirklich bemerkenswert, in meinen Augen ist das Album auch hart overhyped. Aber die düsteren Töne der 80er werden trotzdem sehr angenehm aufgearbeitet. Weil diese Klangsignaturen auf dem Album eigentlich nur noch Selbstzweck sind. Es geht dal Forno glaube ich weniger darum, die mit diesen Minimal-Synth- und Wave-Sachen verbundenen, existenziellen Gefühlswelten zu reproduzieren. Dal Fornos Musik ist stattdessen emotional entkernt. Und das gefällt mir schon sehr, denn ich will ja gar nicht immer so viel fühlen müssen.
Kristoffer: Ich kam auch zu dem Schluss, dass es hier eher um ästhetische als emotionale Parameter ging. Da probiert sich jemand mit aller gebotenen Neugierde durch den heimischen Maschinenpark. Überzeugend finde ich das allerdings nur selten. Ein bisschen Carpenter-Moods, ein bisschen Neuköllner Basement-Drones, zwischendurch Residual-Beats. Spannend hingegen sind ihre Pop-Entwürfe, allem voran die Vorab-Single „Fast Moving Cars“. Understatement-Hit des Jahres.
Christian: Wobei ich diese Neuköllner Basement-Sachen, wie du es nennst, also diese etwas halbgaren, ziellosen Instrumentals eigentlich ganz gerne habe. Trotzdem fand ich dal Fornos vorherigen Projekte, insbesondere Tarcar, auf diesem Gebiet überzeugender. Hier bin ich unentschieden. Aber um es mit Christine Westermann zu sagen: „Ich habe dieses Album streckenweise sehr gerne gehört.“ Jetzt Sie, Herr Biller!
Thaddeus: Ich kannte ihre Musik bislang gar nicht, weder als Teil von Tarcar noch unter ihrem Klarnamen. Passiert. Mir sagt diese Platte wenig bis gar nichts. Dabei ist das eigentlich überhaupt nicht unsympathisch, im Gegenteil. Aber dieses referenzielle Rumgereite auf dem Wave der 80er-Jahre habe ich jetzt wirklich dicke. Und auch wenn sie hier ja eigentlich was ganz anderes baut und aufzieht, ich bekomme diese Assoziation nicht aus meinem Kopf. Weil mein Kopf aus dem Wave der 80er kommt. Entschuldigung. Wer ist denn dal Forno nun überhaupt? Mal Service hier, bitte!
Kristoffer: Australische Musikerin, dort drüben in einer Post-Punk-Kombo, dann ab nach Berlin, um hier im Blackest Ever Black mit Tarcar und F ingers Musik zu machen, die Darkness-Dudes abfeiern. Klar, da steckt viel Wave drin und letztlich ist das nur die gritty Version zu The Cures „Seventeen Seconds“ oder „Faith“, diese tiefe und triefende Leidensphase von Robert Smith. Was nur eben dazu kommt, ist dieser Lo-Fi-Charme, der sich aus einem Industrial-Pop-Approach speist, der in Berlin aktuell chic ist. „You Know What It’s Like“ ist eigentlich eine vertonte, ästhetisierte Depression. Weshalb der Titel umso mehr ins Bild passt: Dal Forno distanziert sich von allem, die Gesten sind dezidiert leer. Leidenschaft is over, würde Boris Becker twittern.
Christian: Da stimme ich voll zu, ich höre auch keine echte Depression. Das Artwork würde das ja bestätigen: Da steht sie mit Kaffeetasse und lächelt. Und hinter ihr hängt ein Stillleben an der Wand. Das macht Sinn, denn Stillleben sind ja als Genre ungefähr genauso klassisch wie z.B. The Cure.
Thaddeus: Oh, Blockflöte!
Kristoffer: Aber gehört all das nicht zu einem ironisierenden Gestus dazu, der letztlich diese – im Grunde doch – dilettantische Musik zu dem macht, was sie ist? Das Lächeln angesichts der eigenen Emotionslosigkeit. Das hat schon was Anziehendes, aber es geht mir halt nicht rein – dann höre ich eben doch lieber alte The Cure oder neue Dark Entries-Reissues.
Christian: Hatte Boris Becker nicht schon 1998 getwittert: Irony is over?
Kristoffer: Nee, aber drin war er schon.
„Mir will zu der Platte einfach nichts Sinniges einfallen.“ (Thaddeus Herrmann)
Thaddeus: Also wenn wir jetzt schon in Wimbledon sitzen, lehne ich mich mal weit aus der VIP-Box und komme auf das Cover zurück und ihre australische Herkunft. Es gibt da ja diese Platte von einem anderen Australier, bzw. einer Band – These Immortal Souls – das waren so Drogenkumpels von Nick Cave. Dieses Cover, die Platte heißt „Get Lost (Don't Lie)“, erinnere ich mit einem ähnlichen Rahmen. Lasst mich das kurz checken bitte. Oha, ich lag vollkommen daneben. Gar nichts eingerahmt auf dem Cover, aber egal: Das Cover zeigt ein leicht rosé verfremdetes Portrait des Sänger Rowland S Howard. Ist musikalisch eine völlig andere Baustelle, sehr gut stellenweise, leider auch tot der gute Mann mittlerweile, aber was wäre denn gewesen, wenn Carla 40 Jahre älter wäre und damals schon in Schöneberg mit Nick und Rowland gedrückt hätte? Wie würde die Platte dann klingen? Ist vielleicht auch nicht so richtig wichtig, fällt mir gerade auf, mir will zu der Platte aber sonst einfach nichts Sinniges einfallen.
Kristoffer: Ich schätze fast, sie würde genauso klingen. Das meine ich mit dilettantisch beziehungsweise: dilletantisch. Das ist in poetologischer Hinsicht schon arg Neue Deutsche Welle, oder eben Zugezogen Deutsche Welle. Einerseits das Spielerische in den Interludes, andererseits dieser Pop-Not-Pop-Approach im Songwriting. Das hat etwas sehr Deutsches, gerade weil es so distanziert delivert wird.
Christian: Einen NDW bzw. Prä-NDW-Vergleich finde ich gar nicht so ganz verwegen, allerdings müsste man dafür vielleicht auch nochmal auf die Texte hören.
Thaddeus: Ich habe nicht einmal auf ihre Texte geachtet. Fehler?
Kristoffer: Ich komm ja aus dem Hardcore, ich höre aus Selbstschutzgründen nie auf Texte.
##Lambchop – FLOTUS (Cityslang)
Christian: Wisst ihr, wer so richtig viel textet? Kurt Wagner. Also wir hören jetzt Lambchop, ’ne?! Beim Label kann man sich eine Special Edition dieser Platte kaufen, die kommt dann in Wurzelholzbox mit zwei Flachen Wurzelwein aus Österreich. Ich würde das gerne als selbstironischen Kommentar verstehen, aber dafür dürften die Produktionskosten zu hoch sein. Damit ist viel gesagt. Aber immerhin hat Kurt Wagner ja Autotune entdeckt und klingt jetzt manchmal wie ein amerikanischer Onkel von James Blake. Sonst hat sich aber wenig verändert. Jedenfalls scheint mir das so, ich kenne mich auf dem Planeten Lambchop aber auch nicht gut aus.
Kristoffer: James Blake? Das ist doch Bon Iver für Ü40er.
Christian: Oder so, das ist jedenfalls so Manufaktum-Musik.
Kristoffer: Die Texte passen nur leider auf keine Baseball-Cap der Welt, da müssen sie noch dran arbeiten. Sowieso: 18 Minuten so Stimmengeflirre über najaigen Dudel-Country-Rock, also, hm, wie sag ich das: Positiv gewendet fühle ich mich beim Hören dieser Platte doch sehr jung und unangestrengt.
Thaddeus: Aber Herrschaften, lasst doch mal den Kurt in Ruhe. Ich mag Lambchop, bin aber auch kein Experte. Höre die Alben immer gerne und vergesse sie auch mindestens genauso schnell wieder. Aber: Diese neue Platte ist anders. Das ist natürlich angreifbar, weil man Wagner vorwerfen kann, er hätte einfach das, was er bei HeCTA so mitgenommen hat, jetzt in eine Lambchop-Platte gekippt. Der alte Vorwurf: Alter Mann versuchte die Musik von jungen Leuten irgendwie mit seinen Mitteln nachzuahmen. Aber: Bei aller Kritik ist ihm das hier doch gut gelungen. Da ist er und seine Band, man ahnt, was einen erwartet, und dann ist da dieser absurde Sound, den man so gar nicht mit den Jungs zusammenbringen kann. Die Platte hat er wohl praktisch alleine gemacht, zunächst auch ganz ohne Instrumente. Vielmehr hat er nur seine eigene Stimme eingesetzt, die dann verfremdet und daraus die Sounds gebaut, auf die er dann singt und die Songs baut. Es gibt wirklich rührende Liner Notes von ihm zur Platte, in denen er beschreibt, wie er rauchend auf der Veranda sitzt und den jungen Leuten, die nebenan eingezogen sind, beim Musikhören zuhört. Der übliche Scheiß halt, den man fälschlicherweise mit den Südstaaten assoziiert. Und dann wollte er das auch machen, sowas. Auf seine Art und Weise. Ist doch toll!
Christian: Altwerden ist schon eine große Scheiße. Im Falle Lambchop ist das aber kein Problem, denn eigentlich haben die doch schon immer Musik für die Altherrenabteilung gemacht. Ich würde Wagner auch das Autotune nicht als Anbiedern an die Jugend auslegen. Es wäre doch viel langweiliger, wenn sich gar nichts ändern würde. Und warum sollte Autotune zwanzig Jahre nach Cher nicht vorm Lagerfeuer ankommen? Das passt für mich, interessiert mich aber wenig.
Kristoffer: Okay, ich werfe fünf Euro ins Ageism-Schwein und versuche, das mal aufzudröseln. Diese betuliche Story ergibt arg viel Sinn: Drüben läuft eine molly-fueled Party mit Future als Hintergrundsoundtrack und Mr. Wagner emuliert beziehungsweise transformiert das dann in eine ältere Südstaaten-Tradition. Okay, abgenickt, kontextuell interessant und vielleicht auch richtig. Tatsächlich würde ich sogar soweit gehen, einen sehr aktuellen, jungen und hippen Vergleich zu ziehen: „FLOTUS“ ist ein bisschen wie „BLOND(E)“ von Frank Ocean. Merkwürdig ambient mit Extradosis Ambien. Musik, die narkotisch durchläuft und eine Stimmung aufbaut, die wiederum durchzieht und dann irgendwann verklingt. Auch musikalisch gibt es da vielleicht eine Parallele: So wie Frank Ocean – da sind wir schon wieder bei The Cure! – sich bei Weißbrotmusik einiges leiht und sogar mal mit John Mayer kooperiert hat, so holt sich Wagner hier den Atlanta-Shit über die Bande rein. Das finde ich aber nur phänomenologisch interessant, es holt mich aber weder ästhetisch noch emotional ab.
Thaddeus: Willst du nicht Präsident werden in den USA? Du kannst Dinge heilen, ich weiß das genau!
Kristoffer: Das ist genau die zweite Sache, die ich an „FLOTUS“ so dringend interessant finde. First Lady Of The United States, das ist die traurigste Zuschreibung überhaupt. Was genau sagt dieser Titel aus, wenn nicht: Um die Erste im Staat zu sein, musst du mit dem richtigen Mann verheiratet sein? Und das, während Hillary Clinton gerade ihrem eigenen den Rang abzulaufen droht.
Thaddeus: Ich glaube auch, dass Wagner das ganz bewusst einsetzt. „FLOTUS“ steht hier ja für etwas anderes, müsste ich nachschauen, aber der ist ja nicht blöd. Die Platte kommt ja auch genau zu den Wahlen raus.
Kristoffer: Ja, aber damit ist der Kontext ja durchaus gegeben. Es gibt da ein Backronym, um hier mal das Fachwort zu droppen: For Love Often Turns Us Still. Letztlich aber wird vor allem der Gedanke der First Lady evoziert. Was wiederum sehr gut zum Rap der letzten Jahre passt: Der nutzt Autotune zum Beispiel auch, um Gendergrenzen zu überwinden. Nicht falsch verstehen, ich werfe Wagner hier nichts vor, ich frage eher: Was soll das?
„Autotune feminisiert Wagners Bariton.“ (Christian Blumberg)
Christian: Bin mir nicht so sicher, ob es etwas Bestimmtes soll und ob es Wagner wirklich um eine kulturgeschichtlich informierte Nutzung von Autotune geht. Es stimmt schon, dass es Wagners Bariton feminisiert. Aber man kann mit dem Programm ja schließlich noch andere Dinge anstellen. Cloud-/Autotune -(T)Rap nutzt das ja auch als phonetisches Erweiterungstool, es ist auch eine technische Voraussetzung für dieses Post-Language-Ding. Aber im Umgang mit Sprache, und nicht nur da, bleibt FLOTUS doch gediegen konservativ. Vielleicht sollten wir uns aber nicht auf das Autotune versteifen?
Kristoffer: Ich finde, wir sollten uns da definitiv drauf versteifen. Und vielleicht gelingt mir hier sogar ein sehr kruder Brückenschlag zu Barker & Baumecker, wobei ich mich frage, was dieses Mal eigentlich bei der Musikauswahl ging. Egal. Wir haben hier ein ähnliches Miteinander von Emotion und Storytelling, Distanz und Nähe wie dort – und wie es bei Carla dal Forno aufgeschoben wird. Das jetzt als Dekonstruktion zu bezeichnen, ginge zu weit und letzten Endes wäre das auch die absolute journalistische Verlegenheitsfloskel. Mir geht es jedoch nicht um Intention, sondern um den Effekt, der zumindest eine schöne Entfremdung qua Verfremdung betriggert. Da muss ich wohl doch eine Lanze brechen: Wagner gelingt das wesentlich besser als Bonny Bear. Dessen neues Album ich allerdings nun auch aus akutem Desinteresse nicht gehört habe.
Christian: Womit Du ganz nebenbei die Parallelen zwischen Georgia und Niedersachsen herausgearbeitet hättest!
Kristoffer: Aus dem Flugzeugfenster sieht alles gleichbeschissen aus.
Thaddeus: Und unten sitzen Kurt, Carla und nd_baumecker und winken hoch!
Christian: Muh!
Kristoffer: Mic Drop, Vorhang, roll the credits und macht noch mal ein neues Bier auf.