Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Tirzah, The Notwist und Clueso.
Tirzah – Colourgrade
Ji-Hun: Taugt der Begriff Bedroom Producer heute überhaupt noch? Sind heute nicht irgendwie alle Musiker:innen auch Producer? Wo gibt es Artists, die keine Aufnahmen am Laptop machen oder eigene Beats produzieren? Die Singer-Sogwriterin Tirzah aus England produziert ihre Musik auch alleine und wird daher gerne im obigen Genre eingeordnet. Ihre Musik klingt responsiv, intim, elektronisch, mit Hang zur Abstraktion, aber nur Hang. Nachdem ihr erstes Album „Devotion“ bei Greco Roman erschien, steht nun das bekannte Label Domino an der Seite von Tirzah. „Colourgrade“ liest sich in der Tat sehr gut als Indie-Album, wenn auch zu Beginn man sich schwarzbetucht noch auf dem CTM wähnt. Track für Track baut sich die Song-Qualität des Albums auf. Trotz minimaler Arrangements klingt „Colourgrade“ vielseitig und vielschichtig. Berührend schöne Vocals in perfekten Song-Miniaturen waren schon immer Garanten für große Alben.
The Notwist – Vertigo Dubs Vol. 1: Odd Nosdam
Thaddi: Es ist nun gefühlt auch schon wieder ewig her, seit The Notwist ist aktuelles Album „Vertigo Days“ veröffentlicht haben. Naja, es sind ungefähr acht Monate, aber die Zeit fliegt und steht gleichermaßen still. Nun startet eine neue Serie mit Remixes, hübsch aufgeteilt auf 10"s. Odd Nosdam macht den Anfang. Alter Buddy der Band, alter Versteher. Nein, ich weiß nicht alt er tatsächlich ist. Aber „wir“ alten Versteher von The Notwist wissen allen, was Remixe der Band bedeuten können. „Pilot“? Anyone? Also. Getanzt wird auf Nosdams Versions nicht. „Ship“ markiert eine lupenreine Dekonstruktion des Originals (wohl die Idee des Dubs per se). Groove? Fehlanzeige. Alles patscht vor sich hin – total toll. Wäre die Zeitmaschine so populär wie das iPhone, hätten wir hier den Titelsong eines Edgar-Wallace-Films mit Heinz Drache als Kommisar in der Hauptrolle. „Oh Sweet Fire“ kümmert sich hingegen kaum um das Original, nimmt verhallte Themen und Motive auf und baut einem Neubau gleich auf Beton. Dass Nosdam hier mit Raymond-Scott-Samples spielt, verstärkt nur den Eindruck eines Ausflugs in die Heimat an einem grauen Tag mit Nieselregen. Wunderbar.
Clueso – Album
Jan-Peter: Über deutschen HipHop sprachen wir diese Woche im Redaktionsmeeting. Das tun wir eigentlich doch recht selten. Dabei spielt deutschsprachige Musik in meinem Leben zuletzt eine größere Rolle als wohl je zuvor. Das hat etwas mit zwei jungen Mitbewohnenden zu tun, die verständlicherweise gerne verstehen möchten, was sie da hören. So hören wir dann Rocko Schamoni, ZSK, Radio Teddy, Fünf Sterne Deluxe (die spielen heute in Berlin!) und immer mal wieder auch Clueso. Nicht dass dieser Künstler mich wirklich je groß berührt hätte, aber ich habe Respekt vor seiner Arbeit, seinem Output – und ja, ich mag seinen Stil, verbal, akustisch und vong Haltung her. „Album“, so heißt das neue, tatsächlich schon neunte Album von Thomas Hübner aus Erfurt, reiht sich nahtlos in sein Werk ein. Sommerlich kommt es daher, mit Swing und Sunshine-Reggae. Dann wieder verträumt und melancholisch, wie man es von dem immer leicht schlafmützig dreinblickenden Mann kennt. Irgendwie ist das auch gar kein HipHop, das ist Pop. Deutscher Pop. Und nicht der Schlechteste.