„There Is Nothing Wrong With Beauty“Interview: 30 Minuten mit Orchestral Manoeuvres In The Dark

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Fotos: Mark McNulty

Nach 38 Jahren Bandgeschichte wollen es OMD – Orchestral Manoeuvres In The Dark – nochmal wissen. Wobei: Das stimmt so nicht. Andy McCluskey und Paul Humphreys sind schon seit 2010 wieder gemeinsam aktiv: im Studio und auf der Bühne. Schon in den frühen 1980er-Jahren saßen die beiden Musiker konsequent zwischen den Stühlen. Kaum eine Synth-Band dieser Epoche hat so kontinuierlich an einem eigenen Sound-Entwurf gearbeitet, ohne sich dabei auf den Synthesizer als stilprägenden Sound festlegen zu lassen. „Joan Of Arc“ und „Maid Of Orleans“, „Electricity“ und „Enola Gay“ sind große Hits einer längst vergangenen Zeit, die heute vor allem auf 80er-Partys weiterleben. Nach einer längeren Pause nahmen die beiden 2010 das Projekt wieder auf und legen heuer das dritte Album von „OMD 2.0“ vor: „The Punishment Of Luxury“. Ein durchaus spannender Entwurf elektronischer Musik zwischen Experiment und Pop, Gassenhauer und Glitsch. Natürlich klingt das alles ziemlich glattgebügelt und längst nicht so experimentell, wie sich die beiden Engländer gerne geben. Aber: Das Album könnte durchaus zu einem der stilprägenden Pop-Alben der kommenden Jahre werden. Thaddeus Herrmann trifft zwei sehr reflektierte ältere Herren, die Lust haben auf Sounds und Beats und genau wissen, was sie in der Vergangenheit falsch gemacht haben.

Wie motiviert man sich eigentlich nach so langer aktiver Zeit, immer wieder ein neues Album zu machen. OK, das kann Spaß machen ...

Andy McCluskey: Noooo, das ist das Schlimmste. Die Platte wirklich aufzunehmen. Oder?

Paul Humphreys: Klingt wie ein Klischee, aber wir glauben, dass wir musikalisch immer noch etwas zu sagen haben. Wir könnten uns auf unserem Backkatalog ausruhen, da gibt es erstens reichlich Songs und zweitens ja auch solche, die die Menschen immer noch gerne hören. Aber wir mögen die Herausforderung. Dinge auszuprobieren und hoffentlich anders zu machen. Das war bei OMD von Beginn an wichtig.

Andy McCluskey: Es ist eine Art Unterhaltung mit uns selbst. Wir machen keine Platten mehr, weil wir Geld brauchen oder T-Shirts verkaufen wollen. Es ist genau wie Paul sagt: OMD ist ein Gespräch, dass wir beide nun schon seit einigen Jahrzehnten immer wieder führen. Und dabei treten hoffentlich interessante Dinge zu Tage. Es ist ein mitunter schwieriger und langwieriger Prozess, uns Ideen gegenseitig abzuringen. Aber am Ende kommt dann hoffentlich etwas heraus, was wir besser finden als einen Großteil der Musik, die wir tagtäglich hören. Das heißt nicht, dass unsere Musik faktisch besser ist, um Gottes Willen, nein. Wir müssen sie nur besser finden. Das kann wiederum zu Verwirrungen führen. Einige Journalisten sagten uns, ja, sie würden auf der neuen Platte schon OMD hören, aber irgendetwas sei anders.

Was ist denn anders auf „The Punishment Of Luxury“?

Andy McCluskey: Wir haben versucht, mit vollkommen neuen Sounds zu arbeiten und auch die Arrangements aufzubrechen. Alles sollte eher kantig klingen, Dinge, die wir früher als Fehler erst identifiziert und dann editiert haben, sind drin geblieben. Diese glitschige Zeug, das einfach da ist, wenn man mit Maschinen arbeitet. Und wer sagt eigentlich, dass eine Bassdrum wie eine Bassdrum klingen muss? Die kann doch auch einfach nur sprotzen und von irgendwo herkommen. Das war für uns tatsächlich eine Herausforderung. Ich weiß, dieser Ansatz ist nicht neu, aber wir haben ewig nicht mehr so gearbeitet.

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Andy McCluskey und Paul Humphreys

In den Melodien sprotzt auf der neuen Platte aber gar nichts.

Andy McCluskey: Ich muss da mal mit einem Missverständnis aufräumen. Auch wenn uns die Fans vor allem wegen der Melodien kennen und mögen: Die kommen bei uns immer ganz zum Schluss. Wir suchen Sounds, machen eine Skizze, erste Textzeilen kommen dazu, irgendwann ist der Track dann fertig. Und erst dann kommt die Melodie dazu.

Im Sinne von: Die ist nicht wichtig?

Paul Humphreys: Die ist schon wichtig, aber ergibt sich erst, wenn das Fundament des Tracks schlüssig ist. Andersrum passt das nicht zueinander.

Andy McCluskey: Eigentlich sind wir ja Konditoren. Wir machen Kuchen und suchen immer nach neuen Geschmacksrichtungen. Und wenn uns etwas schmeckt, dann überlegen wir uns den passenden Zuckerguss. Denn natürlich ist es genau das, was die Menschen zuerst sehen. Wenn es hübsch aussieht, ist das Interesse geweckt.

Paul Humphreys: Es macht aus unserer Sicht auch keinen Sinn, immer nur im Studio zu sitzen und sich wahnsinnige Sounds auszudenken. Ein Song muss etwas Wiedererkennbares haben, einen Grund, warum man sich das Stück auch ein zweites Mal anhört. Und das ist eben oft die Melodie. Lass’ es unten drunter rumpeln und zischen, das ist gut und wichtig, aber eine Melodie zieht dich in das Stück rein. Hat eine Weile gedauert, bis wir das verstanden hatten.

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Ich würde eigentlich genau andersherum argumentieren. Auf den ersten Platten war genau diese Mischung perfekt ausgelotet, später kippte das Gleichgewicht und es wurde so ein bisschen egal. Gut, die Zeiten änderten sich auch, aber um im Bild zu bleiben: Der ganze Kuchen bestand nur noch aus Zuckerguss.

Andy McCluskey: Als wir anfingen, wollten wir nur experimentieren. Anders sein. Dann bot uns Tony Wilson von Factory an, eine Single bei ihm zu veröffentlichen und sagte uns ins Gesicht, wir seien die Zukunft der Popmusik. Der hat gesessen. Pop war unser Schimpfwort, der Feind. Und auf unseren ersten vier LPs machten wir auch tatsächlich, was wir wollten. Niemand redete uns rein, wir hätten uns auch nichts sagen lassen. Und mit dem vierten Album, „Dazzle Ships“, sind wir mit dieser Haltung so richtig auf die Schnauze geflogen. Geschah uns recht, wir wussten es bis zu diesem Zeitpunkt aber auch nicht besser. „Maid Of Orleans“ war 1981 eine der best verkauften Singles in Deutschland überhaupt: 40 Sekunden Krach, Walzer, komische Dudelsäcke: Wir waren uns sicher, uns könne niemand aufhalten. Und bei „Dazzle Ships“ ist dieses Konzept nicht mehr aufgegangen. Wir kamen uns so clever vor und haben den Zuckerguss vergessen. Die Reaktionen waren für uns erst ein Schock ...

Paul Humphreys: ... und dann kam die Panik. Alles potenzierte sich. Kein Label, viele Schulden und kein Geld, um unser Team zu bezahlen. Geschweige denn die Miete. Alle Vorschüsse waren aufgebraucht: Wir waren pleite.

„Maid Of Orleans“, 1981

„Electricity“, 1979

„Joan of Arc“, 1981

„Enola Gay“, 1980

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Andy McCluskey: Und haben den Schwanz eingezogen. Bewusst und unbewusst haben wir uns musikalisch verändert, sind konservativer geworden. Natürlich haben wir uns das schön geredet: Wir sind Musiker, Profis, haben Familien, müssen Rechnungen bezahlen, let’s do it. Und es hat sich ja auch ausgezahlt. In Europa verloren wir zwar unser angestammtes Publikum, in den USA jedoch wurden wir immer bekannter und erfolgreicher. Das war natürlich kurzsichtig und irgendwann hatte sich die Sache dann auch erledigt. Wir trennten uns, ich behielt die Namensrechte an OMD, machte noch zwei Alben, dann war wieder Pause. Als wir uns dann Ende der Nullerjahre dazu entschlossen, wieder gemeinsam als OMD Konzerte zu geben, waren wir uns einig, dass wir nicht nur einfach die alten Songs spielen wollten. „History Of Modern“ war ein erster Schritt. Gute Songs. Nicht mehr, aber auch nicht weniger, viele davon lagen eh schon rum. „English Electric“ von 2013 war dann ein Aha-Moment.

Paul Humphreys: Ein kompletter Neustart. Wir fingen wieder an, die Art von Musik zu machen, für die OMD in den ersten Jahren stand.

„Wir werden keine Hits mehr haben und auch nicht viele Platten verkaufen. Also machen wir doch, was wir wollen.“

Andy McCluskey: Und sind da ganz realistisch rangegangen. Hits würden wir sowieso keine mehr haben, auch nicht viele Platten verkaufen. Also können wir ja auch machen, worauf wir wirklich Lust haben. So wie damals, als wir als Teenager angefangen hatten. Realistisch auch, weil: Wir wissen, dass wir nicht mehr 16 sind. Und wir wollen auf keinen Fall rüberkommen wie zwei ältere Herren, die sich wie 16 fühlen, dabei aber scheiß Musik und von der Presse nur gehätschelt werden, weil wir schon so lange dabei sind. Wir wollen das machen, was wir wollen. Und immer wenn wir das machen, finden das die Menschen in der Regel gut. Von „Dazzle Ships“ mal abgesehen. Wir haben Fehler gemacht, aber jetzt fühlen wir uns wieder angekommen auf dem richtigen Pfad. So. Das waren 38 Jahre Band-Geschichte in, naja, knapp fünf Minuten.

Bands, die so lange dabei sind, haben einerseits hoffentlich ihre musikalischen Spuren hinterlassen, die bis in die Jetztzeit nachhallen. Ist bei euch so. Aber gleichzeitig ist in dieser Zeit auch viel passiert, es ist viel vorangegangen. Wie kann man daran andocken, reinpassen?

Paul Humphreys: Gar nicht, und das versuchen wir auch nicht. Wir hören jede Menge aktuelle Musik, auch viel Pop, wo man uns ja auch verortet. Da will ich gar nicht reinpassen. Vieles davon ist so auf Nummer sicher, viele Stücke ähneln sich so unglaublich, jeder hofft, das Geheimrezept des anderen zu kopieren. Und die meisten Radiosender finden das hervorragend und unterstützen damit diesen Trend. Aber du hast recht. Es ist viel vorangegangen und es gibt immer noch viel gute Musik. Man muss sie nur finden. Was Andy schon zu Beginn erwähnte – die Glitches, die Fehler, die Soft- und Hardware produzieren –, die interessieren mich aktuell am meisten.

Nun ist das ja in der elektronischen Musik auch schon wieder ein alter Hut, der vom Mainstream schon längst adaptiert wurde. Ist es nicht eher die Aufgabe herauszufinden, wie man diese Elemente, in den OMD-Sound einbauen kann? Denn den gibt es ja schon.

Andy McCluskey: Den fordern wir aber nicht heraus. Das ist auch der Grund, warum wir nicht „Architecture & Morality II“ aufnehmen. Das interessiert uns nicht. Würde sich bestimmt blendend verkaufen aber: Nein, danke!

Ihr hattet ja schon den Begriff des Zuckergusses ins Spiel gebracht. Der spielt ja heute oft gar keine so entscheidende Rolle mehr, ist keine Voraussetzung, damit etwas Erfolg hat.

Andy McCluskey: Ich begrüße das natürlich sehr, Techno ist Schuld. Wie diese Beats erst im HipHop und dann wieder im Grime verdreht und adaptiert wurden, hat eine Menge bewegt. Die Vocals interessieren mich nicht besonders, aber die Beats sind fantastisch.

Paul Humphreys: Ich brauche den Zuckerguss trotzdem!

Andy McCluskey: Mir kommt bei dieser Diskussion immer Atom™ in den Kopf. „Liedgut“ war ein wundervolles Album, aber eigentlich nur eine Aneinanderreihung von Geräuschen. „HD“ – zwei Platten später – basierte auf genau der gleiche Idee, hatte aber Gesang, Melodien und greifbare Beats, war viel zugänglicher. Ich weiß, dass das nur eine von vielen Seiten von Uwe Schmidt ist, aber diese LP hat uns unglaublich Hoffnung gegeben und Mut gemacht, weil sie genau das war, was wir machen wollten. Wir konnten uns nur nicht erklären, wie er das hinbekommen hat.

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Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich Musiker und Bands, die die elektronische Popmusik in den frühen 80ern erfunden und geprägt haben, zurückgelassen und nicht gewertschätzt fühlten, als Techno die prägende Jugendkultur wurde.

Paul Humphreys: Es gibt da ganz großartige Tracks und natürlich auch Anknüpfungspunkte. Lineare und repetitive Musik: Das ist nicht soweit weg von OMD.

„Wir leben in der Postmoderne der elektronischen Musik. Endlich!“

Andy McCluskey: Rückblickend haben wir wahrscheinlich gerade noch im richtigen Moment aufgehört. Musikalisch waren wir schlapp, da hätte es sich ja angeboten, ein paar Dance Beats reinzuholen. Zum Glück ist das nicht passiert. Ich bin da übrigens ganz bei Paul: fantastische Tracks. Ich kann mir das bildhaft vorstellen: OMD mit Techno. Au weia. Aber wir fingen erst wieder in der Postmoderne der elektronischen Musik an. Da löste sich ein Wunschtraum ein: Mittlerweile war es tatsächlich im Bewusstsein des Mainstreams angekommen, dass Gitarre spielen und Beatles-Songs zu covern nicht die Zukunft ist. Dieses Bewusstsein ist das Beste, das unserer Kultur jemals passiert ist. Keine Genres, keine Schubladen, alles funktioniert mit allem. Endlich.

Paul Humphreys: Das war auch ein Auslöser für uns, überhaupt wieder anzufangen. Hier passen wir rein, wir können wir sein und das tun, was wir früher schon gemacht hatten: experimentieren, Dinge zusammen denken, die man bislang nicht zusammen gedacht hatte.

Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und gebe eurem Album einen anderen Titel. Aus „The Punishment Of Luxury“ wird „Clarity In Noisy Times“.

Andy McCluskey: Mag ich, verstehe ich aber nicht.

Der Zuckerguss und die Melodien, das ist alles nicht neu. Aber ganz tief unten, vielleicht zu weit unten, und in den kürzeren Interludes, wie „Precision & Decay“, da passieren ganz wundervolle Dinge. Ich hätte mir gewünscht, dass ihr den Zuckerguss mal Zuckerguss sein lasst und den eher in den Tortenboden einbaut und die ganzen kleinen Peng-Pengs nach oben mixt. Darum habe ich vorhin auch nach Techno gefragt, weil der ja genauso funktioniert.

Andy McCluskey: Nun ist „Precision & Decay“ ja auch ein Song über Detroit, hat nur leider keine Bassdrum.

Ist mir recht.

Andy McCluskey: Und dafür liebe ich dich, aber: Wir dürfen den Zuckerguss nicht so geringschätzig betrachten. Weil: Da liegt die Schönheit. Und genau diese Mischung war immer unsere Stärke. Musikalische Experimente oder Herausforderungen so zu verpacken, dass sie dennoch zugänglich sind und in den Menschen etwas auslösen.

Paul Humphreys: Das ist aber keine bewusste Entscheidung, das planen wir nicht. Es passiert einfach.

Andy McCluskey: Der Track „Isotype“ auf der neuen Platte ist ein gutes Beispiel. Ich habe den angelegt und er war genauso kurz und fragmentiert wie „Precision & Decay“. Ich habe ihn Paul geschickt und er hatte sofort eine Idee für eine Melodie. So haben wir das Stück vollkommen umgebaut. Jetzt ist er gut. Was auch schwierig war, denn plötzlich war der Track länger und ich war wieder herausgefordert, mir einen Text auszudenken. Über ISO-Fonts! Sing da mal was zu! Aber das ist genau die Unterhaltung, die wir konstant miteinander führen. Das „Prinzip OMD“. Und wäre das ein Buch, dann wäre der Untertitel: „There Is Nothing Wrong With Beauty“.

Orchestral Manoeuvres In The Dark, The Punishment Of Luxury, erscheint am 1. September auf RCA/Sony

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