Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Soccer Mommy, JB Dunckel und Toshiya Tsunoda.
Soccer Mommy – Sometimes, Forever
Christian: Es ist 1999, und seit Sommer ist, treffen wir uns jeden Tag am Baggersee, hier bei uns in Westdeutschland. Seit ein paar Monaten können wir alle legal Bier kaufen. Wir hören dieses Jahr oft „Sometimes, Forever”, das neue Album von Soccer Mommy. Wir mögen eigentlich alles mit Gitarren und Befindlichkeit, aber Soccer Mommy war einigen von uns bislang immer ein bisschen suspekt. Jemand sagte mal, sie klinge wie eine Band aus der Serie „Melrose Place”. Aber ihr neues Album ist anders. In ein paar Jahren würden wir vielleicht sagen, es klingt wie eine gute Mischung aus den Flaming Lips und Avril Lavigne. In einem Musikmagazin stand, dass der Produzent Daniel Lopatin für diesen Sound verantwortlich ist. Bisher war Steve Albini der einzige Produzent, den wir namentlich kannten. Aber viele Bands, die wir gerne hören, benutzen jetzt nicht mehr nur Gitarren, sondern experimentieren auch mit elektronischen Klängen, und mit Beats, von denen wir nicht so genau wissen, wie sie gemacht werden. Wir sind von dieser Entwicklung ein bisschen irritiert, denn unsere Musik ist uns sehr wichtig. Dieser Lopatin macht wirklich den definiertesten Soundbrei, den wir je gehört haben. Trotzdem holen uns vor allem die Balladen immer noch gut ab, wenn wir am See dösen oder besser noch später, wenn wir in den Sternenhimmel gucken. Dann spüren wir die Weite des Universums, und dass wir selbst ganz klein sind. Eine Badestelle weiter hören sie seit diesem Jahr Deutschrap. Wir sind ein bisschen neidisch, weil das irgendwie urbaner ist, und urban ist hier ja sonst nichts. Aber wir haben gelesen, HipHop sei neoliberal und frauenfeindlich, und mögen eigentlich nur die Beastie Boys. Außerdem drücken die Bässe von „Unholy Affliction” doch auch ganz gut, vor allem wenn wir gekifft haben. Nicht alle von uns kiffen, aber Andi hat meistens Gras dabei. Als es dämmert, versucht er, die Akkorde von „Fire in the Driveway” auf seiner Gitarre mitzuspielen, aber es klappt nur bis zum Refrain. Von der Hauptstraße wehen manchmal Trance-Beats zu uns herüber, aus bunten Kleinwagen, die zu irgendwelchen Raves fahren. Wir können uns nicht vorstellen, dass wir auch mal in Technoclubs gehen werden. Wir mögen zwar The Prodigy, aber eigentlich finden wir, dass Techno unechte Musik für Prolls ist. Von Klassismus haben wir noch nie gehört. Wir sind höchstens ein bisschen neidisch auf dieses Szene-Ding, dass die Technoheads haben. Wir haben nur eine Clique und sind ein bisschen traurig, dass Kurt Cobain schon tot war, als wir ihn entdeckt haben. Neulich hat es geregnet, da haben wir uns in der Videothek „Clueless” ausgeliehen. Den fanden wir witzig, aber dann hat jemand gesagt, das sei bloß Kulturindustrie-Scheiße von den Amis. Na egal. Der College-Rock im Film klang jedenfalls auch ein bisschen wie Soccer Mommy. Unsere großen Geschwister haben sich jetzt alle die Haare abgeschnitten, aber wir noch nicht. Wir liegen hier, trinken lauwarmes Dosenbier und flechten uns gegenseitig Braids, die wir Rasta-Zöpfe nennen. Nur Alex nicht, der hat immer noch Liebeskummer wegen Sarah und ist zu Hause geblieben. „So whenever you want me I’ll be around I’m a bullet in a shotgun waiting to sound”, singt Soccer Mummy. Vielleicht hört Alex das ja zu Hause auch gerade. Die Sonne ist längst untergegangen, aber der Sommer ist noch lang. Bald werden wir unsere Führerscheine machen und dann beginnt ein neues Jahrtausend. Wir sind zuversichtlich, dass dann alles besser wird.
JB Dunckel – Carbon
Jan-Peter: Wäre die Musik von Jean-Benoît Dunckel ein Pullover, der über dem Polohemd, leger auf den Schultern hängend, festgeknotet ist. Ja genau: Ein Pullover, aber nur zum Drüberhängen, am besten mit dem Polohemd direkt vernäht. Es gab doch mal diesen Modetrend, Kapuzenpullis unter Jacketts zu tragen, da gab es dann irgendwann auch Kapuzen, die direkt ans Jackett genäht waren, ohne Pulli drunter. Zusammen mit Nicolas Godin als Air hat man seit 2012 kein echtes Album mehr gemacht, aber Dunckels Musik hängt fest dran an der Band-Tradition. Ein bisschen wie ein Park, der um ein Thema aufgebaut wurde. Glöckchen, Flächen, Vocoder, sanfte Stimmen, Träumerei, die an große Air-Zeiten erinnern, aber sich dessen bewusst sind, die sind vorbei. Was ja auch völlig okay ist, man kann sie sich als Tonträger stets zurück holen. „Carbon“ hat etwas Spätwerkhaftes – der Druck ist raus, die Hits sind raus, man darf ganz bei sich sein. Pulli locker hängen lassen und die Yacht zum Rocken besteigen.
Toshiya Tsunoda – Landscape and Voice
Ji-Hun: Der japanische Klangkünstler Toshiya Tsunoda arbeitet mit räumlichen Field Recordings seit den 1990er-Jahren. Sein neues Album „Landscape and Voice“ beschäftigt sich (wie der Titel vermuten lässt) mit akustischen Landschaftsaufnahmen und Stimme. Tsunoda nutzt seine Aufnahmen wie gestalterische Mittel, weniger als dokumentarisches Footage. Naturklänge werden immer wieder von abgehackten Sprachsamples rhythmisch pointiert und es entsteht ein ganz eigener und ästhetischer Sog in diesen drei Stücken. Es geht stets um die Gegenüberstellung von Natur und Mensch. Aus unterschiedlichen Perspektiven („At the port“, „Studies“, „In the grass field“) wird dieses Verhältnis erforscht. Die Räumlichkeit der Stücke wirken magisch und immersiv, eine spannende und zum Nachdenken anregende Arbeit.