Rewind: Klassiker, neu gehörtThe Beatles – Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (1967)
19.1.2017 • Sounds – Gespräch: Thaddeus Herrmann, Martin Raabenstein2017 jährt sich die Veröffentlichung eines Albums zum 50. Male, das vielen Beatles-Fans als einschneidend in der Geschichte der Band gilt: Vorbei die Zeit der Tourneen. Vorbei die Zeit der Anzug tragenden Pilzköpfe, vorbei die Zeit des Rock’n’Roll. „Pepper“ markiert den Beginn einer neuen Phase, die gleichzeitig den Zerfall der Gruppe einläutet. Aus der Band wird ein loser Zusammenschluss von Musikern, die das Studio und dessen Möglichkeiten für sich entdecken. Songs sind nicht mehr nur einfach Lieder, sondern immer auch ein Ausloten des technisch Möglichen. Auf der Zeitachse eingerahmt zwischen „Revolver“ (1966) und „The Beatles“ (1968, dem so genannten „White Album“), ist „Pepper“ ein mitunter unfertig und komisch tönender Hybrid, der zwar ein neues Kapitel in der Geschichte der Beatles aufschlägt, gleichzeitig aber immer noch deren Vergangenheit atmet. Welche Wirkung hat das Album heute, 2017, 50 Jahre nach seiner Veröffentlichung? Martin Raabenstein und Thaddeus Herrmann tauschen LSD und Heroin gegen eine Flasche Rotwein und haben die Originalpressung aufgelegt. Die steht – natürlich – bei Raabenstein im Regal.
Martin Raabenstein: Stell’ dir vor, dir fällt erst im Alter von 25 auf, dass die Beatles nicht „All you need is bla bla bla“ gesungen haben, sondern tatsächlich „All you need is love“. Während die Deutschen schwer an ihren mangelnden Sprachkenntnissen zu knabbern hatten, haben die Briten da ganz andere Dinge aus „Pepper“ herausgehört. Die BBC hatte die Platte faktisch auf dem Index, da hier offensichtlich Drogen verherrlicht wurden.
Thaddeus Herrmann: Die fiesen Drogen wieder, das passt ja in die Zeit des Niedergangs des Establishments. Jahrhunderte vor Punk, man ist nicht amused, weil die Töchter der White-Hall-Manager verdorben werden. Von so Jungs, die früher immerhin noch anständige Frisuren hatten, aber mittlerweile ... naja, sieh dir das Cover an. Musste ja ein Skandal werden. Warum ist das Album eigentlich so wichtig?
Martin: Ich denke, „Pepper“ ist die Matrix für fast alles. Die Beatles konnten bis dahin ja machen was sie wollten: Die Mädels haben geschrien. Wenn die Fab Four die Bühne betraten, war nur noch tosendes Gekreische zu hören, an allen Ecken standen Doktores, die hysterische Teenager beruhigen und manchmal sogar wegtragen mussten.
Thaddeus: Und darauf hatten die Jungs keine Lust mehr, haben sich vom Tournee-Zirkus verabschiedet und lieber eine konzeptige Zirkus-Platte gemacht? Die erste virtuelle Band der Musikgeschichte erfunden und Fünfe grade sein lassen? Und ganz nebenbei eines der wichtigsten Alben der Musikgeschichte produziert? Du siehst, ich habe viele Fragen!
Martin: Ja, so kann man das sagen. Keinen Bock mehr auf Konzerte, Auftritte in TV-Shows, all das ewige Promoten muss unerträglich gewesen sein. Da hing sicherlich noch viel mehr dran als die Tatsache, ihre Amps auf der Bühne um das Dreifache verstärken zu müssen, um überhaupt noch etwas hören zu können.
Thaddeus: Dann markiert das Album also den ersten Auftritt des sechsten Beatle, des Studios. Das spielte zuvor ja keine Rolle. Jungs in den Aufnahmeraum, press play und danke, nächster Track. Verkürzt formuliert. Hier aber hört man die Abbey Road ja in jedem Ton, noch mehr in den Zwischenräumen. George Martin hat sicher ordentlich geschwitzt und die Techniker in den weißen Laborkitteln mussten Nachtschichten einlegen. Das ist so ein genereller Aspekt der Musikproduktion, über den ich mir viele Gedanken mache. Wenn Besserwisser die Kraftwerk-Platten immer als so innovativ darstellen, zum Beispiel: Ich kann nie so recht nachvollziehen, weil ich einfach aus einer anderen Generation komme, die diese Dinge bereits als gegeben kennen gelernt haben. Klingt schon toll dieses Album hier, vor allem wenn man bedenkt, dass die Platte nur mit zwei Vierspur-Maschinen gemacht wurde, wenn ich das richtig erinnere.
##Hygge anno 1967
Martin: Nach stolzen 50! Jahren klingen die dreizehn Tracks natürlich immer noch so wie immer, sind ein kultureller common sense, ein Klassiker eben. Das Album ist genauso schnell vorbei wie es angefangen hat, man mag gewisse Stücke, manche sind aber auch einfach albern oder fast banal. Ich finde nicht, dass das ihre beste Arbeit ist. Dennoch liegt da so ein gewisser Mythos drüber, eine Art Wehmut nach den guten alten Zeiten. Das vorhin angesprochene Dilemma muss bei den Herren ja eine so unendliche Innovationswelle losgetreten haben, ein Sich-neu-Erfinden und auch den Wunsch, sich hinter Zirkuskostümen zu verstecken. Und die Drogen eben. Die damalige britische Frauenministerin hat das Bekenntnis Paul McCartneys, Acid genommen zu haben, wohl unter einer Trockenhaube beim Friseur gelesen. Ihr Kommentar dazu: Wo kommen wir denn hin, wenn die Gesellschaft aus der Realität in ihre Träume entschwinden will? Die Ich-Gesellschaft, unter der wir gerade zusammenbrechen, liegt hier quasi als Drohung vor.
Thaddeus: Cocooning! Hygge! Ganz aktuelle Debatten. Aber bei erfolgreichen Bands ja nichts Ungewöhnliches. Die Platte ist interessant, weil sie, wie du schon sagst, einen Bruch orchestriert, der die Vergangenheit noch atmet, aber eben auch das Neue beinhaltet. Die Musik der Band verändert sich, weg von der live-kompatiblen hin zur – herrje! – experimentellen künstlerischen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, die sich eben auch nur Bands wie die Beatles überhaupt leisten konnten. Diesen Kontrast finde ich interessant. Den klassischen Song mit den immer gleichen Harmonien einfach besser aufzunehmen, detaillierter auszuformulieren und sich gleichzeitig komischen Gedanken hinzugeben – dieses Indische, aber auch das Prä-Sampling, eine Art digitale BigBand unter analogen Gegebenheiten.
Martin: Haha, wenn es denn nur das Orchestrale gewesen wäre! Da kriecht ja ein gesamter Bauernhof durch die Gehörgänge. Man kann immer noch förmlich riechen, dass alles, was bei drei nicht auf dem Baum war, vor ein Mikrofon gezerrt wurde. Meine LSD-Erfahrungen sind ja eher begrenzt, aber man kann nicht alles durch psychedelische Erfahrungen erklären, die hier gemacht wurden. Der Produzent und schon erwähnte fünfte Beatle George Martin war ja wohl der Wunderhornpapa. Alle vier Jungs kamen ins Studio gerannt und fragten: Geht das? Wie können wir das machen? Ganz ehrlich, so einen hätte ich auch gerne – täglich!
Thaddeus: Hört man ja immer wieder diese Geschichten. Wie eine Band im Studio den Sportteil liest und der Engineer die Arbeit macht. Musiker schreiben im Idealfall gute Songs, den Rest machen die Arbeiter. Das hat sich ja erst viel später geändert, als die Digitalität wirklich erschwinglich wurde und sich das Bild des Musikers damit komplett änderte. Einer für alles, dieser Rücksturz auf die volle Kontrolle als bewusste Entscheidung, nichts aus der Hand geben zu wollen, das ist eine Erfindung der Neuzeit. Und die ist noch nicht so alt, beziehungsweise: Zu Zeiten von „Pepper“ kannte man dieses Berufsbild noch nicht so wirklich, von der Elektronik in Köln, Paris und Maida Vale mal abgesehen. Weiß man eigentlich, ob es da jemals Berührungspunkte gab? Also ob Mr. Lennon von der Abbey Road mal schnell nach Maida Vale rübergehuscht ist, um im Radiophonic Workshop einen Tee zu trinken? Mochte man sich nicht? Oder kannte sich schlicht nicht?
Martin: Weiß ich nicht, ist aber eine spannende Frage. Interesse bestand da allemal, PJGR haben zeitgenössische Komponisten wie Luciano Berio getroffen, sind in Galerien abgehangen, wollten einfach leben. In ihrer Neu(er)findung liegt natürlich auch die ganze Tragik des Albums. Es war ja Explosion und Implosion gleichzeitig. Während sich die britische Presse zwei Wochen vor Erscheinen von „Pepper“ noch die Frage stellte, ob sich die Beatles jetzt nur noch am Sack kraulen, waren die Jungs auf der geraden Ziellinie zum Bruch. Gemeinsam zu touren und dann drei Wochen ins Studio, um das nächste Album aufzunehmen: Das schweißt zusammen. „Pepper“ hatte – sehr zum Entsetzen von EMI übrigens – eine Aufnahmezeit von neun Monaten. Die damals neuen Technologien ermöglichten es, endlose Overdubs zu erstellen, teilweise waren nur noch ein oder zwei Musiker im Studio. Ringo Starr hat mal in einem Interview erzählt, er habe während der Aufnahmen das Schachspielen erlernt.
Das Quartett hat sich während der Zeit „auseinander gearbeitet“. Während die Welt ein unglaubliches Album abfeierte, war die Gemeinschaft der Musiker am Sterben.
Thaddeus: Stichwort Ich-Gesellschaft. Paul geht links rum, John immerhin noch halblinks und George und Ringo stehen an der Kreuzung und warten auf Grün. Sehe ich das richtig, dass nicht Yoko Ono die Band „zerstört“ hat, sondern – mal wieder – das Ego, vielleicht sogar das Technik-getriebene Ego?
Martin: Das Ego will zwar handeln, ist aber nicht gerne alleine. Vielleicht hat Yoko Ono ja John das zurückgegeben, was die Band nicht mehr hergab. Einheit, Liebe, Aufgehobensein und Austausch. Selbst da scheint die heutige Zeit ja fast schon im Rohtext geschrieben. Ich meine, wer will denn nicht den ganzen Tag im Bett liegen und die Journalisten drehen hohl dabei?
Thaddeus: Äh ja, ok. Hygge! Sag ich ja. Wir müssen das ja auch nicht komplett überhöhen, das schleichende Sich-Auseinanderleben der Beatles.
Martin: Wieso nicht? Wollen wir nicht eigentlich immer ein Happy End? Ich meine, wie oft soll ich mir noch Blade Runner anschauen und hoffen, dass das Ende doch ... anders wird?
Thaddeus: Vorteil: Der neue Blade Runner startet ja bald, eine Reunion der Beatles wird hingegen schwierig.
Martin: Darum geht es auch nicht, statt Lennon und McCartney haben wir heute ja noch Mick Jagger, der einfach immer weiter macht.
Die Frage ist, warum die Erfüllung der individuellen Wünsche auch nicht direkt in den Himmel führt. Immerhin gab es ja auch noch das White Album. Das liebe ich!
Thaddeus: Genau mein Punkt! Die spannende Diskussion ist nicht, wie die Geschichte nach „Pepper“ hätte weitergehen können, das ist Makulatur, sondern vielmehr, warum diese Platte so besonders, so schön, so wichtig ist. Wie sich Musiker entwickeln, weiß man doch eh nicht, bis es wirklich passiert ist. Jede Platte ist ein Schlaglicht, und manche Platten strahlen eben heller. Die hier blendet schon fast. Gehört sich ja auch so im Zirkus. Kommen jetzt die Elefanten?
Martin: Nö, „Henry the horse is dancing the waltz“, ob jetzt überall wo ein H vorne steht auch wirklich Heroin drin ist, oder ob „Lucy in the sky with diamonds“ die hidden message für LSD ist ... ich meine, ganz ehrlich: Warum leckt sich der Hund die Eier? Weil er’s kann.
Thaddeus: Wir werden es erleben. Immerhin: Musik kommt ja bekanntlich von müssen.
Martin: Was ist eigentlich dein Lieblingstrack hier? Meiner ist „A day in the life“, der vor sieben Jahren als vermeintlicher Burial-Remix die sozialen Netzwerke heiß machte. War faktisch von Sei A.
Thaddeus: Ach, die Frage kann ich eigentlich gar nicht beantworten, ich habe die Platte vor unserem Gespräch viel zu lange nicht mehr gehört. Der hier – „She's Leaving Home“ – den finde ich gerade sehr hübsch.