Rewind: Klassiker, neu gehörtPrince – Sign O’ The Times (1987)
31.7.2017 • Sounds – Gespräch: Thaddeus Herrmann, Martin Raabenstein, Fotos: Isabell SimonEs muss ein hartes Stück Arbeit gewesen sein. Als Prince 1987 sein siebtes Album veröffentlichte, hatte er sich zuvor von seiner Band getrennt und gleich drei andere Platten verworfen. Es sollte das Magnum Opus werden, die Essenz dessen, an was sich Prince Rogers Nelson zuvor abgearbeitet hatte. Nur auf Druck der Plattenfirma kürzte er „Sign O’ The Times“ schließlich – als sein bestes Album gilt die Platte dennoch. Keine Überraschung, dass es danach mit der Karriere des Musikers kompliziert wurde. Martin Raabenstein ist nach wie vor Feuer und Flamme, auch wenn hier „schlimmste Maul- und Klauenseuche“ drauf ist. Und Thaddeus Herrmann findet hier den einzigen Prince-Track, der ihm etwas bedeutet. Was kann das Zeichen der Zeit von 1987 drei Dekaden später noch? Und was hat Michael Jackson mit Stefanie Tücking zu tun? Rewind!
Martin Raabenstein: Genreüberschreitender Black Music God, egozentrische Style-Ikone oder ewig nervendes, zwergwüchsiges Froschmännchen, dessen Wunsch, endlich seine fehlenden 29 Zentimeter draufgeküsst zu bekommen, nie erhört wurde. Und dann auch noch gemeinsam mit so vielen anderen Super Heroes brav in einer Reihe letztjährig mitverstorben – heute geht es um Prince und sein Album „Sign O’ The Times“. 30 Jahre, Thaddi, du als der richtig tief durchdrungene Prince-Fan feierst also mit allem, was dazugehört kräftig mit?
Thaddeus Herrmann: Voller Respekt für eine Baustelle, auf der ich nie angeheuert habe. Aber: Das Titelstück ist der einzige Prince-Track, mit dem ich so richtig etwas anfangen kann. Der ist herrlich klar. Tolles Video auch! Prince ist mir generell zu wuselig. Und ich komme auch mit seinen Grooves in der Regel nicht wirklich hin.
Martin: Da ist zwar Funk drin, aber die extensiv genutzte LinnDrum macht das doch eher gerade. Was verwirrt dich? Wo ist der Wusel?
Thaddeus: Ich bin nicht wirklich verwirrt, es berührt mich nicht sonderlich. Das ist geradezu ein Sound-Dickicht, in dem ich mich nicht zurecht finde. Alle Musiker sind voll am Start und machen ihr Ding und vorne steht der Prince und macht noch mal extra Yeah! Das ist mir zu viel. Leider.
Martin: Ja, kleine Männer haben den Drang, sich hervorzutun, das hat man schon über Napoleon gesagt. Nimm die zeitgleich releaste „Music For The Masses“ von Depeche Mode, neulich von uns besprochen. Es muss ja nicht immer sowas bei rauskommen, wenn man auf einen Synth drückt. Die DPs hatten 1987 übrigens auch eher die Hände unter dem Hintern als über dem Kopf. Ich sag da nur „Strangelove“. Also, alles was nicht so geradlinig daherkommt, das nervt den Thaddi?
Thaddeus: Aber nein, im Gegenteil. Wir müssen das ja auch gar nicht miteinander vergleichen oder in Verbindung bringen. Es sind zwei vollkommen andere Entwürfe, entstanden unter mindestens ebenso anderen Umständen, wenn man außen vor lässt, dass da Musiker im Studio saßen, die eine gute Platte machen wollten.
Martin: Okay, wir müssen nicht rätseln, ob auch ohne den Funk die Hüfte swingen kann. Das Album beinhaltet darüber hinaus große Soul-, Pop-, Psychedelic-, Rock-, Blues- und Folk-Elemente und eben auch diese für ihn so typischen Electro-Funk-Meilensteine.
Thaddeus: Vielleicht ist es genau dieser Rundumschlag, der mich so kalt lässt. Aber die Platte kam doch gut an?
„Stell’ dir mal vor, dieses unglaublich leichtfüßige Arrangement sich teilweise ausschließender Genres wäre 1982 parallel zu „Thriller“ rausgekommen. Was für ein Battle.“
Martin: Ja und nein. Die Presse hat das frenetisch bejubelt. Gewiss machen soundsoviele Preise, Auszeichnungen und Chartpositions noch lange kein exzellentes Album. Zudem gestaltete sich der Abverkauf der Platte eher dürftig. Möglich, dass „Sign O’ The Times“ einfach zu spät rauskam. Stell’ dir mal vor, dieses unglaublich leichtfüßige Arrangement sich teilweise ausschließender Genres wäre 1982 parallel zu „Thriller“ rausgekommen. Was für ein Battle. Heute kaum noch vorstellbar, damals war das eine Glaubensfrage wie Marlboro oder Camel. Irgendwie ist die Post-Disco-Ära der Achtziger damit abgeschlossen, „Lovesexy“, der Nachfolger, ist mit seinem christlichen Hintergrund dann der Anfang des langen Abstiegs in die Bedeutungslosigkeit. Der „Batman“-Soundtrack, noch ein Jahr später, verpackt sich selbst zur plastifizierten Eigenkopie.
Thaddeus: Du meinst also: Jackson, der eigentlich eher introvertierte Sänger, der das singt, was man ihm vorsetzt, dem Quincy Jones die Hits auf den Leib geschrieben hat, die durch die Decke gingen, ihn selbst aber nicht sonderlich interessierten, er sich später davon löste, sein eigenes Ding macht und in der Bedeutungslosigkeit versank? Während Prince der Selfmade-Kreischhals ist, der seine Karriere mit prägenden Platten begann, die ihm wichtig waren?
„Prince und Michael Jackson: göttergleicher Aufstieg, abgrundtiefer Fall sowie ein erschreckend früher Tod. Das läuft für mich beunruhigend kongruent.“
Martin: Tja, Michael Jackson. Der lag 1987 bezeichnenderweise schon jahrelang komatös am Wegesrand und sollte davon auch nie wieder erwachen. Mach’ den Teenie-Star und Frontmann der Jacksons zum Solisten, wie das Jones getan hat, lass’ das mächtig explodieren, das vertragen leider die Wenigsten. Vor allem, wenn die eigenen Schritte so gar nicht richtig zielführend werden, „Moonwalk“ hin oder her, das ist Trauer pur. Ich weiß, du kannst den Thriller-Mann noch weniger ab, dennoch, göttergleicher Aufstieg, abgrundtiefer Fall sowie ein erschreckend früher Tod der beiden laufen, für mich, beunruhigend kongruent.
Thaddeus: Jackson und Prince sind mir ungefähr gleich egal, ich habe da keine Präferenzen. Dass beide an zu viel Chemie gestorben sind, kann ja auch Zufall sein. Aber: Korrigiere mich, wenn ich falsch liege – haben sich nicht beide mehr oder weniger in ihre Anwesen zurückgezogen und die Öffentlichkeit gemieden? Das ist doch eine interessante Parallele, die im Gleichen endet: dem Tod.
Martin: Der Superstar, der sich langfristig dem Publikum verweigert, schmiert ab, vor allem wenn kein gutes Material mehr nachkommt. Das Publikum gibt alles und nimmt es sich wieder, wenn es sich verschmäht fühlt. Vielleicht sind nicht die, die auf der Bühne stehen die Götter, sondern die, die davor stehen.
Thaddeus: Aber wenn wir einen Moment in dem Bild bleiben, dass die Musiker die Götter sind und hofhalten wie sie wollen: Ist das Album denn komplett Freude schöner Götterfunken? Da müssen doch auch Tracks drauf sein, die dir nicht passen.
Martin: Touché. Das Album hat, wie alle Prinzenwerke, entsetzliche Ausfälle, „Slow Love“, da gehe ich im Frühjahr lieber dem Frosch (!) werben am Teich lauschen, „Forever In My Life“, das ist schlimmste Maul- und Klauenseuche statt erfolgreichem Liebesschwur und dann noch „The Cross“, da bläht sich doch deutlich das Kreuz aus kleinen Hinterbäckchen in die zu enge Unterhose. Jetzt aber zu meinen Highlights. „If I Was Your Girlfriend“, da könnte ich heute noch heulen, was für ein Track, reiner sexy Slow Funk, dieses wimmernde Betteln, diese nie zu erfüllende Sehnsucht, das ist unerreicht großes Theater. Shakespear’sches Drama at it’s best.
Möglicherweise steckt hier der Nagel in der Wand, um den sich das ganze Prince-Universum dreht. Noch eine Stufe weiter oben, die 84er 7” „Erotic City“. Ich denke, mit dem Album geht eine Ära zu Ende. „Housequake“, „The Ballad Of Dorothy Parker“ und „Hot Thing“ sind ein glorioses Goodbye und fulminanter Tusch, das wars, Funk und Leidenschaft haben sich dann nie wieder so inniglich geküsst.
Thaddeus: Das nehme ich so hin, ich glaube dem Auskenner jedes Wort. Ich gebe zu, dass ich in Sachen Black Music – darf man das überhaupt noch sagen? Ich nutze das ganz wertfrei, liebes Internet, so hat mir das Stefanie Tücking in Formel 1 damals erklärt – ein absoluter Spätzünder bin und erst in den letzten Jahren da sowas wie einen Anschluss gefunden habe. Nicht zuletzt wegen aktuellem HipHop, wie von Drake und Kendrick, wobei das ja auch gar kein HipHop mehr ist.
Martin: Richtig, da mischt sich Rap mit Autotune-Gesang, klassische Instrumentierung mit Samples und das Ganze ist so schön wuselig. Vor allem bei Anderson Paak und seinem Nxworries-Projekt mit Knxwledge. So entsteht doch ein Timetunnel zurück zu unserem kleinen Prinzen, oder?
Thaddeus: Werde ich nachprüfen. Es ist ja nie zu spät, Dinge zu entdecken und posthum lieb zu haben.
Martin: Na dann ...