Rewind: Klassiker, neu gehörtPhotek – Modus Operandi (1997)

Photek - Modus Operandi - Roundtable - lede

Rupert Parkes gilt als einer der größten Dons des Drum and Bass überhaupt. Ob als Aquarius, Special Forces, Studio Pressure, The Sentinel oder als Photek: Parkes prägte in den 90ern den Umgang mit Breaks und Bass wie kaum ein anderer. Auf Metalheadz, Good Looking, Certificate 18 und seinem eigenen Label hat er ebenso veröffentlicht, wie auf Science, einem kuscheligen Autoren-Label, mit dem Virgin ein Stück des Hype-Kuchens abbekommen wollte. Hier erschien 1997 sein Album „Modus Operandi“ – ein Meilenstein der immer weiter auseinander driftenden UK-Szene. Photeks Umgang mit Breakbeats in dieser Zeit war einzigartig. Der Amen? Vergessen. Statt offensichtlicher Abfahrt widmete sich Parkes der punktgenauen Sezierung von Sounds in technologisch vollständig entkernten Rohbauten der musikalischen Erinnerungen. Genau die waren bei Photek immer speziell. Niemand wechselte so schnell zwischen asiatisch geprägter Sample-Kultur und einer tiefen Verbundenheit zur Techno-Ästhetik Detroits und Sheffields hin und her. Ein reißender Strudel, in den man nicht nur freiwillig hineinsprang, sondern in dem man auch nur zu gerne unterging. Und heute? 20 Jahre später machen Martin Raabenstein und Thaddeus Herrmann die Probe aufs Exempel. Verteilt auf drei schwergewichtige 12“s dreht sich „Modus Operandi“ erneut.

Thaddeus Herrmann: Wir schreiben das Jahr 1997 und Drum and Bass? Schon sehr unentschieden, bzw. sehr weit verzweigt. Rupert Parkes hatte zu diesem Zeitpunkt schon viele prägende und wichtige Platten veröffentlicht, die sich vor allem dadurch auszeichneten, dass sophisticated auch rollen kann. Rollen muss. Auch er hat sich natürlich – wie alle anderen – am Amen-Break abgearbeitet und ihn bis auf die molekulare Ebene gechoppt. Aber am besten fand ich Photek immer, wenn er den Smasher beiseite gelegt und sich auf andere Breaks gestürzt hat. Zum Beispiel hier, auf seinem ersten Album. Ein großer Techniker!

Martin Raabenstein: Großer Techniker und absolut begnadeter Minimalist. Wer wissen will, wie man aus etwas ganz Kleinem etwas ganz Großes drehen kann: Hier ist die Goldmine. Klingt wie gestern frisch gepresst, die Platte, wäre fein, wenn dem so wäre – oder?

Thaddeus: Oh ja, und dann gäbe es eine Track-Premiere auf Facebook! 1997 zerbröselte Drum and Bass also schon spürbar. Einerseits wurden viele Produzenten immer darker, die Breaks standen auch schon auf der Abschussliste, wurden mehr und mehr durch Two-Step-Geballer ersetzt und oft nur noch mit einem Amen akzentuiert. Gleichzeitig badete LTJ Bukem mehr und mehr im Trance, auf Moving Shadow schmonzten E-Z Rollers und Omni Trio vor sich hin. Einige wenige aber orientierten sich anders. Photek, aber auch seine Buddys von Source Direct. Das nannte man dann „abstract“ oder – noch schlimmer – „intelligent“. „Geil“ hätte auch gereicht. Es war auch die Zeit, in der die Majors immer mehr versuchten, in diesem Business mitzumischen. Dieses Album hier ist ja auch auf Virgin erschienen. Die hatten für Source Direct ein eigenes Label hingestellt. Bitte, macht was ihr wollt. Das ging auch eine Weile gut.

Mikrogestaltung

Martin: Jetzt mal gut mit de junge Hufe und zurück zum Album. „Modus Operandi“ ist ein Meisterwerk an Mikrogestaltung. Gäbe es den Begriff Frickeln nicht schon, müsste man ihn hierfür erfinden, auch wenn Aphex Twin in dieser Ecke schon zwei Jahre vorher kräftig und mit spitzen Fingern gekramt hat, unter nicht gerade gering zu nennender Hilfe weißer Substanzen, wie man so munkelt. Dessen Bohrer donnerten dann später, eben 1997, zusammen mit den Videos von Chris Cunningham noch heftiger ins Kleinhirn. „Come To Daddy“ sag ich da nur. Ich meine Frickeln aber nicht in einem nerdigen, sondern eher handwerklichen Sinne. Setz’ die Vergrößerungsbrille mit Faktor 1.000 auf, und fang' ganz langsam und mit viel Zeit im Rücken an, all das Material fein säuberlich auseinander zu nehmen. Wenn schließlich alles in Einzelteilen vor dir liegt, schmeiß’ das Unwichtige raus und setz es wieder zusammen. Mit Material meine ich Jazz, Minimal, Techno und alle möglichen Spielarten der elektronischen 90er.

Thaddeus: „Mikrogestaltung“ ist ein sehr passendes Wort. Genau darin war Photek immer besonders gut. Erst das Ausgangsmaterial, also den Break, komplett entkernen und dann völlig neu zusammensetzen. Wenn nichts mehr da ist, bloß Rohbau, dann geht es eigentlich nur noch um Räume. Und genau die beherrscht Photek auf dieser Platte wie kein anderer. Alles ist genau tariert und gestaffelt. Das ist auch der große Unterschied zu Aphex Twin oder Squarepusher, die mit der Breakbeat- und Jungle-Kultur ganz anders umgehen. Bewusst anders umgehen. Technisch auch sehr gut, aber mit einem ganz anderen Ziel vor Augen.

Photek Modus operandi Roundtable 02

Martin: Welchem denn?

Thaddeus: Das würde ich eher als bollerig bezeichnen. Das kann ja auch sehr gut sein, und diese Gang – also AFX, Squarepusher, auch Luke Vibert würde ich dazu zählen – ist einfach irgendwann anders abgebogen. Noch ein Indiz dafür, dass sich immer alles weiter verästelte. Also Räume. Und ein Gefühl für Sound. Viele Drum-and-Basser haben sich immer wieder auf Detroit bezogen. Sicherlich auch mit gutem Recht und aus herer Motivation. Bei Photek hört man das aber wirklich raus. Es gibt diese Reihung der Tracks „Minotaur“, „Alpeh“ und „124“, in denen die Stadt und ihr Sound erst erbaut und dann wieder in Schutt und Asche gelegt wird. Letzterer ist ja auch ein Augenwink in Richtung „T-Raenon“, Photeks beste Platte ever. Für mich ist er ein Producer, der sich Jahre lang im Drum and Bass wohlgefühlt hat, dabei aber nicht nur den Umgang mit Breaks und Bass perfektioniert, sondern darauf geachtet hat, seine anderen Vorlieben in die Produktion mit einzubeziehen. Zum Beispiel Techno. Oder den Jazz. Aber immer eigener Handschrift. Das waren nie Techno- oder Jazz-Tracks, das waren immer Photek-Stücke.

„Minotaur“

„Aleph“

„124“

Martin: Schon schwierig, hum? Wir beide mögen die Platte, so kommt gar keine Boxring-Stimmung auf. Drum and Bass klebt ja heute noch mit den gleichen Wirkstoffen. Ich finde es schon verblüffend, wie vor über 20 Jahren ein Style die Szene betrat, den man heute noch bestreitet, der aber so gar keine kontemporäre, wirklich innovative, neue Elemente in sich aufnehmen kann. Das scheint mir ein eigenartiges, bei anderen Genres so nicht auftretendes Phänomen.

Photek Modus Operandi Roundtable 03

Hermetische Zukunft

Thaddeus: Das wage ich tatsächlich nicht einzuschätzen. Ich kenne wenig an aktuellen Produktionen, da sind aber durchaus sehr gute Sachen dabei, wenn die auch vollkommen anders funktionieren. Es gibt aber auch – so wird mir immer wieder berichtet – eine Szene, die nichts anderes tut, als den Sound von damals heute immer noch zu produzieren. Das ist vielleicht für den Moment ganz cool, bringt uns die Zukunft aber auch nicht näher. Davon haben ja immer alle gesprochen. Zukunft. Drum and Bass. Stimmte ja auch. Denn aus House und Techno war zu der Zeit schon nicht mehr viel rauszuholen. Dieses Album hier ist die mehrfach potenzierte Umsetzung eines ohnehin schon sehr abstrahierten musikalischen Zukunftsversprechens. Kann und muss man für dankbar sein.

Martin: Ich kann mich gut daran erinnern, wie wir beide 2011 kopfschüttelnd bemerkten, wie all die bis dato innovativen Clicks'N'Cuts, Minimal und so weiter Producer, die in den Nuller-Jahren feinste Produkte abgeliefert hatten, schlagartig alle wieder ins House Lager wanderten. Ich mochte House und Techno Ende der 80er, Anfang der 90er sehr, dann ging mir da die Luft aus. Wenn wir jetzt sagen, Drum and Bass hat eine klare zeitliche Verortung in den 90ern und verbleibt da ohne weitere Entwicklung, wie konnte dann dieses House/Techno-Revival der letzten fünf Jahre passieren? Das geht mir nicht in den Schädel.

Thaddeus: Anschlussfähigkeit. Du sagst doch immer, dass Techno eigentlich nur Disco ist. Was ich meine: Drum and Bass war bei allem Erfolg immer eine ziemlich hermetische Szene, deren musikalische Geschichte irgendwann auserzählt war. Das haben sich die Briten vor allem selbst zuzuschreiben, die nie oder wenigstens zu selten Interesse daran hatten, sich zu öffnen. Für Leute aus anderen Ländern. Im Ausland gespielt haben immer alle gerne, aber ein deutscher oder französischer Produzent auf einem englischen Label? Die absolute Ausnahme. Techno hat da von Anfang an viel globaler funktioniert, es gab mehr Austausch. Und konnte sich so weiterentwickeln, sich mit anderen Stilen vermischen. Dagegen haben sich die Engländer immer gesträubt. Und mit dem Atomkriegs-Two-Step ihren so wertvollen Funk an die Wand der Geschichte gefahren.

Martin: Haha, du und Funk. Man müsste dich mit „Clockwork Orange“-Foltermethoden von deiner Jazz-Phobie heilen. Aber mal ehrlich. Warum kannst du hier bei „Modus Operandi“ so einhellig den Kontrabass abfeiern, wenn du bei einer Original-Platte aus den 60ern nackig und schreiend nach Alaska rennst – und wieder zurück?

Thaddeus: Ich bin dann mal weg! Naja: Kontext. Der Kontrabass kann ja per se nichts dafür. Das Tolle an Photek ist ja, dass er den Jazz hier nur in der Hallfahne im Seitenkanal andeutet. Und der Bass dazu warm knistert. Das nehm’ ich immer.

Photek Modus Operandi Roundtable 04

Leseliste 08. Oktober 2017 – andere Medien, andere ThemenSoziologische Wahlanalyse, Musikkritiker in der Kritik, Hollywood für China & Interim Theater

Mix der Woche: Booty CarrellExklusives Hauntology-Mixtape für „Hallo Festspiele“