Rewind: Klassiker, neu gehörtHarold Budd – The Pavilion Of Dreams (1978)
2.3.2018 • Sounds – Gespräch: Thaddeus Herrmann, Martin RaabensteinHarold Budd gilt als Weggefährte von Brian Eno und prägender Mitstreiter in Sachen Ambient. Dabei ist er überhaupt kein Fan dieses Begriffs, schon gar nicht, wenn es um seine eigene Musik geht. Geboren 1936 in Los Angeles, spielte er schon als Jugendlicher Schlagzeug in den Jazz Clubs South Centrals, belegte schließlich einen Kompositionskurs am College, identifizierte sich mit der Haltung von John Cage in Bezug auf die Künste und begann eigene Werke zu komponieren. Das Album „The Pavilion Of Dreams“ markiert seinen Wiedereintritt in die Musik – zuvor hatte er jahrelang pausiert, weil ihm seine eigene Rolle im kompositorischen Prozess nicht mehr ausreichte. Heute kennt man Harold Budd vor allem für seinen ganz eigenen Stil am Piano, den er auf zahlreichen Soloplatten, aber auch mit Brian Eno, den Cocteau Twins oder Robin Guthrie seit den frühen 1980er-Jahren immer weiter verfeinert hat. Mit dem für ihn typischen Soft-Pedal hinter viel Hall hat dieses Album hier aber rein gar nichts zu tun. Auch 40 Jahre nach dem Erscheinen ist es schwer, diese Platte wirklich einzuordnen. Nicht nur, weil viele wichtige Größen aus der Musikwelt hier mitspielen, wenn auch zum Teil nur als Statisten. Brian Eno scheint zu spüren, dass das hier etwas Besonderes ist. Warum sonst hätte er sich als Produzent groß auf das Cover geschrieben? Raabenstein und Herrmann sammeln die Stolpersteine, die das Album und seine Geschichte haben, von der Zeitachse auf und fangen da an, wo man in so einer Situation eben anfängt: bei Ambient und Raumschiff Enterprise.
Martin Raabenstein: „This is only pretty, don't look for any meaning.“ Wundersames Understatement des Künstlers zu seinem Album oder fein durchdachte, konzeptuelle Grundidee eines ganzen Genres, des Ambient?
Thaddeus Herrmann: Lustigerweise will Budd ja nicht als Ambient-Künstler wahrgenommen werden. Viel Glück dabei, der gute Mann ist mittlerweile über 80, da kann er ja noch ein paar Piano-getupfte Pamphlete verfassen. Dieses Album markierte damals seinen Wiedereintritt in die Musik. Er hatte Komposition studiert, sich in der Minimal Music verloren und irgendwann das Interesse verloren. Dann kommt er mit diesem Album wieder auf die Bildfläche – 1978. Mich erinnert die Musik ja an Raumschiff Enterprise, an diese wenigen Folgen, in denen Kirk, Spock und Co. sich auf Planeten runterbeamen, die einem stilisierten Paradies ähneln, die Menschen oder Lebewesen aber nur Böses im Sinn haben. Wenn man sich dort am sprudelnden Brunnen traf, dann lief so ein Sound. So grell wie schlecht belichtetes Technicolor. Total irre.
Martin: Budd und seine Releases. Die 2004er-Scheibe „Avalon Sutra“ sollte eigentlich die letzte sein, kommentiert mit dem Spruch: „Ich glaube, ich habe alles gesagt.“ Das ist mindestens genau so cool wie das Eingangszitat, vielleicht möchtest du doch darauf eingehen?
„Ich finde die Platte bemerkenswert, weil sie musikalisch so isoliert im Oeuvre von Budd dasteht.“
Thaddeus: Ich habe generell kein Problem mit seinem Zitat, kannte es aber bis gerade eben auch nicht und kann nun schwer einschätzen, wie er es gemeint hat. Es passt natürlich oberflächlich sehr schön auf die schöne Musik. Zudem muss mir sowieso niemand die etwaige Bedeutung von Musik in Liner Notes etc. erklären. Budd sagte später, er habe sich vor seiner Pause zehn Jahre lang aus seiner Musik herausgeschrieben – bewusst oder unbewusst. Habe seine eigene Rolle immer weiter minimiert. Als er dann praktisch nicht mehr existent war in seinem Werk, habe er einfach aufgehört. Wie man dann mit solchen Kompositionen zurückkehren kann auf die Bildfläche, finde ich bemerkenswert, weil die Platte musikalisch so isoliert im Oeuvre von Budd dasteht. Nach dieser Veröffentlichung wurde er zum „Mann am Klavier, der auch Synthesizer kann“. Er hat sich festgelegt – egal ob mit Eno oder den Cocteau Twins. Aber das Klavier, das steht hier angenehm im Hintergrund.
„Das ist ohne Gedanken, flach und völlig entleert.“
Martin: „The Pavilion Of Dreams“ mit Ambient in Zusammenhang zu bringen, ist wie eine Ölsardine wieder im Meer auszusetzen zu wollen. Die Instrumentierung, die Stimmung ist so unglaublich Jazz. Fast alle 70er-Alben von Pharoah Sanders beginnen in diesem Vibe, verenden dann aber leider im Wall-Of-Sound, im Free Jazz. Budd hat seine jungen Erfahrungen genau da gesammelt, in der freien Improvisation als Schlagzeuger, unter anderem mit Albert Ayler. Diese frühen Einflüsse lässt er hier raus, möglicherweise weil er es verstanden hat oder dessen schlicht überdrüssig war. Was wir hier hören, ist das genaue Gegenteil, oder um es nochmal in seinen eigenen Worten zu wiederholen: ohne Gedanken, flach und völlig entleert. Ich stelle meine Frage einfach nochmal neu. Wie ist das bei dir? Streicheln dir die Stücke deine geschundene Seele, bist du jetzt entspannt?
Thaddeus: Ja. Wobei ich gar nicht genau weiß warum. Das ist für mich zwar kein unbekanntes Terrain, das Budd hier ausbreitet, aber doch ungewöhnlich für mich und meine Plattensammlung. Dass das hier kein Ambient ist, vollkommen klar. Ich bin mir nicht mal sicher, ob das Album als Teil dieses Kanons – wie immer der aussieht oder klingt – wahrgenommen wird. Hier ist alles immer in Bewegung und die Stücke bauen wie von selbst aufeinander auf. Eine Art Serie, deren Zusammenhänge man erst ganz am Ende, wenn man das Album durchgehört hat, wieder entfädeln kann. Wenn diese Platte also Budds eigene Katharsis darstellt, einen Abschluss mit was auch immer beschreibt, dann muss es ihn dabei ordentlich durchgeschüttelt haben. Denn danach wurde aus diesem vielschichtigen Sound doch eher etwas Eindimensionales. Oder sagen wir besser: etwas noch Geschliffeneres, Fokussierteres. Praktisch ohne alles, auch wenn Vocals bei ihm in Form von vorgetragener Lyrik auch weiterhin eine Rolle spielten. Minimal 2.0 sozusagen. Ich komme einfach über den Sound hier nicht weg. Das ist so zuckerwattig und doch so alien.
Martin: Ich verstehe deine Star-Trek-Assoziation sehr gut, da schwingt schon so eine intelligent gemachte Fahrstuhl-Mucke mit, Wir tauchen mal weiter ein in die Tiefen von Harold Budds Geschichte. Der Mann hat erst, von John Cage und Morton Feldman inspiriert, Stücke geschrieben. Dann hat er Komposition studiert. Dann hört er ganz mit dem Komponieren auf, um am California Institute of the Arts zu lehren. Und steigt dann mit diesem Material hier wieder ein – geschrieben zwischen 1972 und 1975. Die Live-Aufnahmen davon kommen Brian Eno zu Ohren und der produziert in Folge dieses Album. Wir hören also ein Kondensat einer Entwicklung, ganz klein eher, fast als eine auf Scheibe gepresste Unwilligkeit, eine Verweigerung. „This is only pretty“ – wie kann man glücklich sein, wenn man sich des zweiten Beines verweigert und beschließt, nur noch einbeinig durchs Leben zu hüpfen?
Thaddeus: Du meinst also, dass sein Statement eher als stille Kritik gegenüber Eno gemeint ist?
„Budd kommt aus der Moderne, der Zerstörung gängiger Strukturen, ist des Ganzen müde und im wahrsten Sinne erschlafft.“
Martin: Schwierig, es gibt Leute, die gerade wegen Budds Position glauben, an Enos Thron pinkeln zu dürfen. Dieser will aber den Button als Ambient-Erfinder einfach nicht an die Brust geheftet haben. Ich denke nicht, dass es einen Budd-Eno-Hickhack gibt. Warum auch, Eno hat das Ganze schon 1973 mit „No Pussyfooting“ unter dem Robert Fripp'schen Frippertronics-Sound so gaaaaaaaaaaanz lang in die Fläche gezogen, Sackgasse hier also. Kulturgeschichtlich geht man davon aus, dass alle großen Entwicklungsschritte der Menschheit nicht nur einmal, sondern zeitgleich vielfältig begangen werden. Zu Ambient gibt es dementsprechend mehrere Zugänge. Budd kommt aus der Moderne, der Zerstörung gängiger Strukturen, ist des Ganzen müde und im wahrsten Sinne erschlafft. Das Ergebnis ist ein erneutes, minimalisiertes Substrat. Herr Budd bildet eine Schleife in seiner Historie, nur eben eine Stufe weiter oben.
„Hier clasht ein Musiker auf einen Komponisten.“
Thaddeus: Ich verstehe, worauf du hier anspielst. Wer hat wann wen gehört, wie werden Einflüsse wirklich zu Einflüssen, bewusst oder unbewusst. Wie werden Dinge weitergegeben, welche Traditionen mischen sich und vor allem warum. Das Album besteht ja aus Kompositionen bzw. Interpretationen – ein Motiv von Coltrane verarbeitet Budd auch –, die Eno in Ausschnitten live gehört und Budd dann davon überzeugt hat, das zu veröffentlichen. Mit großer Besetzung: allen voran natürlich Marion Brown, der Budd selbst gebeten hatte, ihm doch ein Stück zu schreiben, Michael Nyman, Gavin Bryars und schließlich auch Budd selbst und natürlich auch Eno – wenn auch nur im Chor. Eno hat auch produziert. Leitet also die Aufführung und drückt den Kompositionen so seinen eigenen Stempel auf. Und das ist dann auch der Grund, warum Budd mit dem Ambient-Begriff so auf Kriegsfuß steht: Das ist nicht seine Szene, das hat nichts mit seiner eigenen Tradition zu tun. Mit anderen Worten: Hier clasht ein Musiker auf einen Komponisten.
Martin: Genau. Budd macht einen sogenannten Re-Import. Aus einer Zeit kommend, in der man selbst die Schleifspuren eines Fahrrad-Stunts auf Notationsblättern zuließ, kann ein in Noten und für unterschiedliche Musiker gedachtes Stück nur als rückschrittlich gelten. Das ist Ministry-Of-Silly-Walks. Zwei Schritte vor, drei seitlich, einer zurück. Die ganz klassische Form, eine musikalische Idee zu Papier bringen, war obsolet. Jetzt kommt Harold Budd. Schreibt sich eins. Bringt religiöse Ehrfurcht ins Spiel. Das schlingert aus heutiger Sicht knapp am Kitsch vorbei, war damals aber eine Haltung.
Thaddeus: Was genau meinst du mit religiöser Ehrfurcht?
Martin: Nimm die Titel. „Bismillahi ´Rrahmani ´Rrahim“, „Let Us Go Into the House of the Lord / Butterfly Sunday“: Da schwingt Buddhismus mit, wie bei McLaughlin/Santana auf „Love Devotion Surrender“, gleicher Titel, andere Interpretation. Seit die Beatles in Indien meditieren waren, fühlt der Westen die spirituellen Vögelchen um die Köpfe schwirren, da war was Neues am Start, besser, im Kopf. Gott war Mode, Hauptsache er kam aus dem Osten. Und Ehrfurcht? Heute würde man wohl Respekt sagen. Die Good Vibes nimmt man nicht nur unterbewusst wahr, „The Pavilion Of Dreams“ loopt hier gerade zum dritten Mal. Liefen hier schon wieder die Beatles, ich hätte jetzt schon schlimme Kratzspuren deinerseits auf meinen Speakern.
Thaddeus: À propos Kratzspuren: Budd hat danach ja noch weiter mit Eno gearbeitet und innerhalb dieser Gang zwei stilprägende – Achtung –: Ambient-Platten gemacht, die eine davon – „The Plateaux Of Mirrors“ – sogar als expliziten Teil von Enos Ambient-Reihe. Das ist dann doch überraschend, wenn man die Ergebnisse unserer Exegese hier betrachtet. Denn was wir hier aufschreiben, stimmt natürlich. Ich liebe diese beiden Platten heiß und innig, auch wenn ich bei denen nicht mehr an verstrahlt-bunte Planeten und Tricorder denken muss. Diesen Bruch finde ich aber bemerkenswert.
Martin: Wir hätten hier natürlich auch die im gleichen Jahr erschienene Eno-Scheibe „Music For Airports“ ansprechen können. Was hätten wir gelacht, so viel Spaß gehabt, uns eigentlich aber gelangweilt. In dem Moment, in dem Eno den Begriff Ambient erfindet, ist er auf dem Höhepunkt seiner Rolle als Papa, da kommt dann nichts Entscheidendes mehr. „Music For Films“ ist auch von 1978, die liebe ich wirklich, ist aber ein Schlussstein, Ende im Gelände. „Apollo“ kann noch was, aber, da ist der ehemalige Sound-Spezialist von Roxy Music eben so zielsicher, wie es der Einäugige auf einer Blinden-Party nur sein kann. Ich bin Eno-Fan, unbenommen, aber da liegen die Stolpersteine zuhauf auf der Straße.
Thaddeus: Dann holen wir uns jetzt ein paar Pflastersteine von der Straße, kullern sie zu Bassdrums und gucken danach eine Episode Raumschiff Enterprise in Technicolor.
Martin: Du willst jetzt doch einfach nur was essen, got it. Ich frage mich immer noch, was macht eigentlich ein missverstandener Komponist mit all der Ehre, die man ihm dummerweise auf die Schuhe schmeißt? Damit kann man doch nicht laufen?
Thaddeus: Budd läuft bis heute. Er hat’s verkraftet. Und geriet glaube ich auch spätestens in den 90ern ganz gut in Vergessenheit – in so einer Situation reflektiert man nochmal ganz anders über sein eigenes Schaffen. 2022 treffen wir uns wieder und hören meine absolute Lieblings-Platte von ihm: „Music for 3 Pianos“.
Martin: Ich hab noch was: Was ist eigentlich mit der These, dass die Cluster-Jungs Eno den Fripp erklärt haben?
Thaddeus: Die stimmt!