Rewind: Klassiker, neu gehörtBurial – Untrue (2007)
27.11.2017 • Sounds – Gespräch: Thaddeus Herrmann, Martin RaabensteinWer ist eigentlich dieser Burial? William Emmanuel Bevans betrat 2005 als Anonymous die musikalische Bildfläche. Kein Klarname, so gut wie keine Interviews, keine Fotos. Wenn das Internet nicht weiterhilft, bleiben nur die Beats. Und die machten Burial schnell zum ästhetisch-musikalischen Testamentsverwalter der britischen Rave-Kultur. Die Tracks von Burial sind durchströmt von einer dick wattierten und dabei umso analytischeren Sicht auf das, was den britischen Dancefloor immer wieder so einzigartig und relevant gemacht hat. Herausgelöst aus der lähmenden Zeitachse und abstrahierend neu kontextualisiert für eine Zukunft, in der es keine Vergangenheit mehr gibt. Diese Zukunft ist heute – zehn Jahre nach der Veröffentlichung seines zweiten Albums „Untrue“ – angebrochen. Zeit für einen Realitäts-Check. Ist der Klassiker wirklich einer?
Martin Raabenstein: Burial. Der Name allein ist ein Mythos. Beim Neustart unserer Reihe im Januar war der schon im Spiel. Der Remix des Beatles-Klassikers „A Day In The Life“ musste gar nicht aus William Emmanuel Bevans Hand kommen, völlig egal, allein das Munkeln um seine mögliche Autorenschaft war ausreichend, den Track ehrfürchtig in alle Ohren zu drehen.
Thaddeus Herrmann: Die Verschleierungstaktik ist ein entscheideneds Stichwort, denn eigentlich war diese Masche ja zu diesem Zeitpunkt bereits durch – kalter Kaffee einer White-Label-Kultur, die es so gut wie nicht mehr gab. Enigmatische Lichtgestalten ziehen aber offenbar immer dann, wenn der begleitende Sound eine bis ins Absurde perfektionierte Post-Alles-Angelegenheit ist. Genau das ist Burial ja, bzw. dafür steht er mit seiner Musik. Es ist ein sperrangelweit offenes Fenster in eine Wunschvorstellung des Dancefloor. Die Garage-Beats rumpeln, bzw: Der Garage-Beat rumpelt, denn mehr als ein Pattern hat er ja nicht drauf. Muss er auch gar nicht, denn natürlich geht es bei Burial vor allem um Sound. Und Design.
Martin: Dennoch wundersam und absolut selten bei mir. „Untrue“ klingt wie ein intelligentes Remixalbum, um einen einzigen Track gebaut, trotzdem, meine Ehrfurcht will nicht enden. Eigentlich könnte ich nach jedem zweiten Track das Album wieder ausstellen, denn es dreht sich nachhaltig um sich selbst, tue es dann aber eben doch nicht. Warum bei mir da dieser Sog, dieser Loop im Hirn entsteht, weitermachen zu wollen – keine Ahnung. Das sind nicht nur die Sounds, die unglaublich ziehenden Subbässe. Über die gepitchen Vocals, die zu der Zeit inflationär die Gehörgänge quälten, sehe ich mal großzügig hinweg. Eigentlich will ich diese Tunes als eigenständig erkennbare Gems in einen Mix einbauen, die Musik mit anderem vermengen, höre aber weiter. Die Verehrung überschreitet das Gehörte. Ich scheine musikalisch blind. Das kann doch nicht nur der Dancefloor sein, der hier nach mir schreit.
„Burial ist eine Idee, ein Leitmotiv, immer wieder auf andere Weise erzählt.“
Thaddeus: Das ist auch nicht der Dancefloor, der spielt auf diesem zweiten Album ja auch schon eine untergeordnete Rolle. Wenn man heute, Ende 2017, das gesamte Werk von Burial quer- und gegenhört, fällt auf, dass er mit den Jahren immer ambienter geworden ist. Hier, 2007, ist die vorsichtige Ruppigkeit des Erstlings schon fast verschwunden, aber auch das Sich-Verlassen auf Mitstreiter. Spaceape ist nicht mehr dabei, der Kosmos von Burial dreht sich ausschließlich nur noch um moody Nachtszenen im nebligen Nieselregen des Großstadt-Wahnsinns. Das kann schwer zu greifen sein, an anderer Stelle ist es dann wieder umso konkreter. Remixalbum trifft es: Burial ist eine Idee, ein Leitmotiv, immer wieder auf andere Weise erzählt. So etwas können nur sehr wenige Musikerinnen und Musiker über viele Jahre durchhalten. Mir fallen da kaum Beispiele ein, außer vielleicht „Burial Mix“ (ha!) und „Rhythm & Sound“. Das lässt natürlich auch wenig Spielraum für diejenigen, die mit dieser Stimmung wenig anfangen können. Entweder du bist dabei oder draußen.
Martin: Gewagte These. Ich sag da nur Rock, ohne Namen zu nennen.
Thaddeus: Aber Rock taugt als Vergleich für mich hier nicht. Natürlich gibt es Bands, die seit 40 Jahren das gleiche machen, ich bleibe aber bei der elektronischen Musik und mehr oder weniger im DJ-Business.
„Tanze deinen Namen, oder halt einfach mal die Fresse.“
Martin: Schade, Musik als Funktion ist ein sehr spannendes Thema. Die hier nicht namentlich zu erwähnenden Australier produzieren zwar keine Tools, sind aber mit ihrem eindeutig wiedererkennbaren Stil ebenfalls in einem nicht enden wollenden Loop. Du verzeihst mir sicherlich den Genre-Sprung, ich bin auch gleich wieder zurück bei dir. Dennoch, ich denke jede Generation hat hier ihr Déjà-vu, ihre Initiation. Es ist genau so wie du es beschreibst, entweder du bist drin oder draußen. Tanze deinen Namen, oder halt einfach mal die Fresse.
Thaddeus: Ich verzeihe dir grundsätzlich praktisch alles, aber ich halte hier schon seit fünf Minuten die Tür vom Nachtbus auf, es ist kalt, regnet, Brixton ist weit weg, der Fahrer hat schon schlechte Laune und der nächste kommt erst in einer Stunde, weil es ist Dienstag und die Night Tube fährt nicht. Wo waren wir? Richtig, Stimmung, bzw. Stimmungen. Es ist doch bemerkenswert, wie hier alles ineinanderfließt und so ja auch ganz unterschiedliche Interpretationen oder Zugänge ermöglicht. Die Musik von Burial ist kulturelles Kondensat und deshalb auch so wichtig. Arche-Noah-Material, Stuff für die Platte der NASA. Weil sie etwas einfängt und abbildet, was außerhalb von Großbritannien so nie stattgefunden hat, aber dennoch total anschlussfähig ist.
Martin: Nur weil ich von Funktionalität gesprochen habe, heißt das noch lange nicht, dass ich keine Emotionen habe. Die linke Pobacke wackelt, im Takt dann die rechte, man nennt das Tanzwille, selbst wenn im Grunde nur dein linker kleiner Zeh mitwippt. Mir ist in diesem Mode an dieser Stelle auch völlig Wumpe, ob das nur die Briten können, oder wer auch immer da an mir zupft. Ich nehme das gehörte Teil und baue es in mein kulturelles Universum ein. Bingo. Passt. Außerdem muss man ja auch nicht immer nur in London im Regen stehen, du warst doch vorhin auch nicht gerade trocken auf der Haube.
„Burial dekonstruiert sich auf seinen letzten EPs ziemlich erfolgreich selbst, arbeitet also an seiner eigenen Abschaffung, zerfällt zu fluidem Staub, den man bald nicht mehr wird pressen können.“
Thaddeus: Oh, jetzt hat der Nachtbus einen Platten. Wir müssen laufen. Ich sagte doch gerade – es ist total anschlussfähig. Reden wir über den Menschen hinter den Beats. Ich hätte mir durchaus vorstellen können, dass sich Kieran Hebden hier jahrelang einen Witz erlaubt hat, weil ihm sein Four-Tet-Sound als Vollzeitjob dann doch irgendwann zu langweilig wurde. Lag ich falsch – beide sind Kumpels, kennen sich von dieser berühmten Musikschule in London und haben dann ja auch zusammen veröffentlicht, wenig später fiel das Bild von Burial aus dem Internet, ein Gesicht zum Mythos, der sich aber gleichzeitig nicht entmystifizieren wollte. Eine wohl vorgeschobene Anti-Haltung bzw. ein Desinteresse am eigenen Vorankommen – das muss man sich auch erstmal leisten wollen, nicht können. Dieses Wollen zieht sich seitdem durch seine weiteren Veröffentlichungen. Burial dekonstruiert sich auf seinen letzten EPs ziemlich erfolgreich selbst, arbeitet also an seiner eigenen Abschaffung, zerfällt zu fluidem Staub, den man bald nicht mehr wird pressen können. Entweder stummgeschaltete Aggressivität oder aber der totale Sturz ins ambiente Nichts. Was ja absurderweise aktuell sehr gefragt ist. Die Burial-Rennaissance ist also bereits upon us. Dagegen ist die aktuelle 10“ „Rodent“ fast schon überraschend konkret, nicht nur ob der Bassline. Auch der Rest ist ja eine Referenzmaschine par excellence.
Martin: Das widerspricht dann aber deutlich deiner These, Burial sei eine Idee, der Zug bewegt sich weiter, weg vom Dancefloor, hin zu, eben, hin zu was eigentlich? Die Autechre-Brüder tauchen in ihrem unendlichen Abyss und der Herr Burial macht was? Verrauscht sich? Vertauscht sich? Zu was?
Thaddeus: There is a light that never goes out.
Martin: Der Sinn einer Taschenlampe scheint mir den Weg zurück zu finden. Dubstep 2017 ist aber eher, ehm, du weißt schon ... lass uns doch lieber nochmal die Zeit nehmen, in der Burial hell brennt, keine Lampe braucht. Da ist doch mehr als eine einfache Idee dahinter. Was scheint hier so helle, taucht die Szene in gleißendes Licht, so schnelle? Wer ist hier derjenige, der das Stöckchen ins Wasser schmeißt, wer der Hund, der es wieder rausholt?
Thaddeus: Klare Antwort: Burial ist natürlich beides! Ich muss einen Schritt zurückrudern. Dubstep ist zumindest für mich hier die falsche Referenz. Ja, die Musik wurde in diesem Kontext verhandelt und natürlich gibt es hier Gemeinsamkeiten, die Schnittmenge ist aber für meinen Geschmack überschaubar. Ich kann das gar nicht konkretisieren, das ist eher so ein Bauchgefühl, also bitte frag’ nicht nach. Er hat das Dubstep-Stöckchen ausgeworfen und ein arg verästeltes Etwas wieder aus der Themse gezogen.
Martin: Haha, der Meister befestigt sich ein Stöckchen auf dem Rücken, bindet Faden und Wurst dran und kommt dann als energetisches Perpetuum Mobile nur bis zur nächsten Straßenecke? Keine Lust auf Wurst mehr, keinen Durst? Sehr untypisch, für einen Hund, oder? Ich meine, zwei Alben, 2006, 2007, dann nur noch 12”s. Eigenartig.
Thaddeus: Die er ja aber immerhin wieder regelmäßiger veröffentlicht. Daran sieht man, dass selbst ein Perpetuum Mobile auch mal den wind of change braucht, um sich selber am Laufen zu halten. Wer weiß schon, was da wirklich los ist.
Martin: Wir haben noch bei keinem Album so im Trüben gestochert. Ist doch irgendwie auch eine Aussage. Weit oben schwebt der Mond. Ist er einsam? Möglicherweise ist er einfach schüchtern, von Four Tet rüde ins Licht gezerrt. Aber nochmal eine kleine Schleife zurück ins Erscheinungsjahr, 2007 ist der gesichtslose Producer eigentlich nicht mehr der Held, man will die Schwielen an den Händen echter Menschen sehen. Nicht so bei Burial. Da macht doch jemand was richtig. Wer will denn schon sehen, dass sein Lieblings-DJ zwar die coolsten Beats produziert, auf der Bühne aber keinen Platz in der eigenen Hose zu finden scheint. Bleib zu Hause und presse das Sofa platt, so verleiht dir zumindest keiner den Ehrenpreis als Dancefloor-Loser.
Thaddeus: Belegt meine These. Egal wie gut die Party war – das Yay or Nay über die Nacht entscheidet sich erst unter dem Walkman auf dem Weg nach Hause.
Martin: Bei Regen.