Ravegeschichte: 25 Jahre 1992Spezial: Mr.C von The Shamen im Interview
19.10.2017 • Sounds – Interview: Jan-Peter Wulf1992 war das große Jahr von UK-Rave, Breakbeats und Hardcore. Das-Filter-Redakteur Jan-Peter Wulf stellt euch in seiner Kolumne die Stücke vor, mit denen ein Underground-Phänomen zum Chartbreaker-Lieferant wurde. Eine kurze, aber spannende Zeit, die vor 26 Jahren begann und vor 24 Jahren schon fast wieder zu Ende war. Heute gibt es ein Spezial: Wir haben uns mit Richard West unterhalten, DJ, Produzent und Partyveranstalter und Kopf der ehemaligen Band The Shamen, die 1992 zu den Protagonisten des Ravepop avancierte. Ein Gespräch über Top Of The Pops, Respektlosigkeit aus dem Radio und die politische Wirkmacht des Ravens.
1992 war für The Shamen das erfolgreichste Jahr. Ihr wart Popstars.
Das waren wir tatsächlich. Mit „Move Any Mountain“ hatten wir 1991 den ersten Charterfolg und 1992 dann mit „LSI“, „Phorever People“, „Boss Drum“ und „Ebenezer Goode“ (Platz 1 in den UK-Charts, Anm. d. Red.) gleich vier Hits. Für mich war das schizophren.
Warum?
Auf der einen Seite war ich als Kopf von The Shamen auf einmal der Popstar, auf der anderen Seite habe ich weiterhin illegale Warehousepartys organisiert und als DJ Undergroundplatten aufgelegt. Wir waren 1992 in großen Fernsehshows und ich habe mein kleines Label Plink Plonk gegründet. Es war interessant, als trüge man zwei verschiedene Masken.
Das steht sinnbildlich für dieses Jahr, musikalisch betrachtet. Ravepop.
Wir haben mit The Shamen aber nie diese Popsachen gespielt, wenn wir live aufgetreten sind, sondern eigentlich ausschließlich Remixe und Edits unserer Hits. Einzige Ausnahme: der erste Auftritt bei Top Of The Pops mit „Move Any Mountain“. Aber auch da haben wir darauf bestanden, dass unsere Mikros offen sind, wir machen keinen Lip Sync. Beim zweiten Mal TOTP haben wir dann sogar eine Acidhouse-Version von „Ebeneezer Goode“ gebracht.
Ich habe kürzlich das Audiobook von Moby gehört, in dem er beschreibt, wie seltsam das erst Mal bei TOTP für ihn war, als New Yorker Ravekid in einer Fernsehsendung mit seinen Helden von New Order aufzutreten.
Für mich war es ein Extra. Nicht mehr, nicht weniger. Ich war es ja gewohnt, auf der Bühne zu stehen und zu performen. 1987 hatte ich als DJ angefangen und habe dann als MC auf Technoplatten live gerappt. Die Dancecrowd kannte mich also schon in dieser Funktion.
Du hast auch zusammen mit dem legendären Colin Faver Partys gemacht und dann als MC in seinen Radioshows auf Kiss FM gerappt.
Colin war der DJ, der House gespielt hat, bevor der Begriff House überhaupt kursierte. Was er gemacht hat, war besonders und neu. Er und Evil Eddie Richards sind meine großen Vorbilder. Als Colin 2015 starb, fühlte es sich an, als hätte ich einen Vater verloren.
Sprechen wir lieber über etwas Erheiterndes. Ich erinnere mich, dass „Ebeneezer Goode“ bei Beavis and Butthead auf MTV lief.
Ja, das war großartig. „Move Any Mountain“ spielte kürzlich auch in einer englischen TV-Serie („Peep Show“, Anm. d. Red.) eine Rolle, es ist der Trauspruch bei einer Hochzeit.
Dein aktuelles Album „Incidents“ klingt wie eine Reise zurück in die elektronischen Achtzigerjahre.
Das ist es auch, es ruft in meiner Jugend an (lacht). Oldschool, aber mit der Technik der Gegenwart produziert. Solche Sachen lege ich auch immer noch auf, ich kann nach wie vor keinen kommerziellen Kram leiden.
Der läuft auch nicht auf den Superfreq-Partys, die du heutzutage veranstaltest?
Nein. Das sind ja eher so mittelgroße Partys für 400, 500 Menschen. Die mache ich in L.A., New York – in den ganzen USA, und wir waren damit schon an vielen Orten der Welt. Aber wir wollen das verhältnismäßig klein halten – würden wir eine Party für 3.000 Leute machen, müssten wir andere Acts buchen und das wollen wir nicht. Wobei ich allgemein das Gefühl habe: Die Ära des Partypromoters ist ziemlich vorbei.
Wie meinst du das?
Wenn du heute Partys für ein großes Publikum machst, dann bist du talent booker, du buchst große Namen. Ein promoter hingegen programmiert einen Abend, dem geht es um gute Musik, um ein besonderes Label oder einen Künstler, der vielleicht nicht besonders bekannt sein mag, aber der den Gästen eine tolle Party beschert. Ich selbst habe bisher achtmal im Berghain gespielt und glaube nicht, dass irgendjemand auf dem Dancefloor zuvor schon mal von Mr.C gehört hat. Eine Freundin von mir hat sich mal die Mühe gemacht, während eines Sets von mir im Watergate, das war bei einer Get-Physical-Party, mehrere Leute zu fragen, ob sie den DJ kennen.
Und?
Nö, kannte keiner, aber die Musik gefiel ihnen.
Findest du es besser, wenn deine Musik für sich spricht oder wäre es dir lieber, die jungen Leute wüssten, wer du bist?
Mit persönlich ist es eigentlich egal. Aber ich fände es schön, wenn nicht immer nur nach den großen Namen geschielt würde. Elektronische Musik ist sehr homogen und gleichförmig geworden. Ziemlich langweilig. Aber machen wir uns nichts vor: 90 Prozent der Leute in der Dance-Music-Community sind Schafe, die trotten überall hinterher. Deswegen machen wir lieber kleinere Events in intimen Umgebungen. Unsere Gäste sind auch etwas älter, manche sind schon in ihren Vierzigern. Es ist contemporary adult entertainment, es geht uns auch um Kunst und Kultur dabei.
Klingt erwachsen, 1992 war sehr kindisch in einer Weise, oder? Die elektronische Szene war vor 25 Jahren gerade dabei, sich zu finden, zu definieren.
Schauen wir noch fünf Jahre weiter zurück, auf 1987. Das war in England eine Zeit, in der gerade alles im Arsch war. Der Thatcherismus hatte das Land in die Knie gezwungen, Rezession überall, die Bergwerke dicht, Zeitungen pleite, kein Geld, keine Hoffnung. Aber daraus entstand eine Jugendkultur, eine neue Musik namens Acid House. Und die ist jetzt 30 Jahre alt und immer noch da. Die Musik ist so gut, weil die Zeit es nicht war.
Jetzt hat England für den Brexit gestimmt.
Schrecklich. Ich hoffe aber, dass es alles nicht so schlimm wird für die Künstler. Dass sie weiterhin ohne große Probleme in der EU spielen können und dass europäische Künstler das weiterhin in England werden tun können. Es sind wieder keine leichten Zeiten – eine neue Rezession wartet schon um die Ecke, der politische Wahnsinn auf der ganzen Welt. Aber in unruhigen Zeiten entsteht Kunst, entsteht Musik, einen Diversität, die uns inspiriert. Die Dancemusic der Neunzigerjahre und die Jugendkultur jener Zeit hat ja vieles erreicht: Sie hat ganz neue Attitüden geschaffen, sie hat Rassismus, Sexismus, Homophobie und Misogynie gekillt. Solche Grenzen gab es in der Szene nicht mehr. Jetzt sitze ich in meinem Auto in L.A. und höre „suck my dick bitch“ im Radio. Warum läuft das im Radio? Welche Message geben wir damit unsern Kindern? Dass wir respektlos sein dürfen? Die Message 1992 war Liebe.
Wann hörte das mit der Love wieder auf? Als die britische Regierung 1994 den „Criminal Justice and Public Order Act“ verabschiedete und damit das Recht hatte, Partygäste zu durchsuchen, Veranstaltungen aufzulösen oder im Vorhinein zu verbieten? Das war ja ein Einschnitt für Rave.
Wir sind ausgetickt! Auch ich habe dagegen in London demonstriert. Die wollten uns das Recht wegnehmen, sich zu treffen und zu feiern. Die herrschende Elite wollte Rave töten, weil es zu etwas Unkontrollierbarem geworden war. Aber sie haben nicht geschafft, das Ganze zu stoppen. Im Nachhinein muss ich sogar sagen: Einige Veränderungen durch das Gesetz waren tatsächlich gut, auch wenn es ihnen darum ging, uns zu zerstören. Die Partymacher haben ihren Locations in Ordnung gebracht, die Veranstaltungsorte wurden sicherer. Heute sind wir in Großbritannien wieder an dem Punkt einer Bedrohung der Szene, da fließen hintenherum Millionen von Pfund von Investoren an Stadträte, um Veranstaltungsorten die Genehmigung zu entziehen. Damit Appartments und Malls gebaut werden kann. Ein Riesenproblem. Aber ich hoffe, dass es weitergeht, vielleicht gibt es ja ein richtiges Comeback. Rave steht für Respekt, und den können wir heute wieder gut gebrauchen.
Vielen Dank, Richard.