Ravegeschichte: 25 Jahre 1992Spezial: Im Gespräch mit Renaat Vandepapeliere über R&S, Plastic Dreams, Techno, Belgien und Pferde
14.12.2017 • Sounds – Text & Fotos: Jan-Peter Wulf1992 war das große Jahr von UK-Rave, Breakbeats und Hardcore. Das-Filter-Redakteur Jan-Peter Wulf stellt euch in seiner Kolumne die Stücke vor, mit denen ein Underground-Phänomen zum Chartbreaker-Lieferant wurde. Eine kurze, aber spannende Zeit, die vor 26 Jahren begann und vor 24 Jahren schon fast wieder zu Ende war. Heute gibt es noch mal ein Spezial: Wir haben uns mit Renaat Vandepapeliere unterhalten, DJ und Betreiber des legendären belgischen Labels R&S Records.
Renaat, ich nehme an, 1992 ein großes Jahr für R&S Records. Damals erschien mit Plastic Dreams einer der größten Hits.
Ja, es ist ein Hit. Ich mag das Stück. Damals war das ein radikaler Track.
Weil?
Es damals schon in die Gabber- und Hardcore-Richtung ging in Belgien, und auf der anderen Seite entstand das, was man Intelligent Techno nennt, ein blöder Begriff.
Und mitten drin ein Stück, das aus meiner Sicht etwas Zeitloses in dem Sinne hat, dass es zu jeder Zeit hätte entstehen können.
Es klingt uralt oder wie gestern gemacht. Ein House-Klassiker. Wie Strings Of Life oder Jaguar. Ich erinnere mich, dass ich das als White Label mit auf einen Rave in Deutschland genommen habe, ich weiß nicht mehr wo genau der war. Ich kannte Mark Spoon und Sven Väth gut. Denen konnte ich immer eine Platte in die Hand drücken und zack, haben sie die direkt aufgelegt. Ich stand hinter Mark, der gerade spielte und schon ordentlich Druck machte: Bumm Bumm Bumm. Ich gab ihm die Platte, er hörte sich Plastic Dreams auf den Kopfhörern an, drehte sich zu mir um und schüttelte den Kopf: „Das kann ich jetzt nicht spielen.“
Und dann?
Ich habe gesagt: „Bitte, Mark“. Fuck it. Er hat sie gespielt. Und dann (ahmt den markanten Anfang von Plastic Dreams nach) … großartig, es ging durch die Decke.
Plastic Dreams war sicher auch finanziell wichtig für R&S?
Ja. Es war ein kommerzieller Hit. Aber kein Türöffner für das Label. Das waren dann eher Juan Atkins, Joey Beltram oder Aphex Twin. Cutting-Edge-Sachen, die nicht dem Mainstream folgten.
Aphex Twin, das erfährt man in einem anderen Gespräch mit dir, war dabei ziemlich erfolglos am Anfang.
Es waren 20 Platten im ersten Jahr. Aber schau mal: Aphex Twin verkauft heute noch Platten und Jaydee, naja, das landet vielleicht noch mal auf einer Compilation.
An was erinnerst du dich sonst noch, wenn wir von 1992 sprechen?
(überlegt lange) Ich weiß nicht. Ich war 1992 ja schon in meinen Dreißigern, ein alter Hase, der schon viele Jahre in Clubs unterwegs war zu dem Zeitpunkt. Aber ich hatte schon das Gefühl, es ändert sich was. Da entsteht eine neue Kultur.
Darüber habe ich kürzlich auch mit Mr. C von The Shamen gesprochen. Rassismus, Sexismus, Homophobie, Misogynie wurden damals gekillt, sagte er.
Eine Zeitlang. Dann gab es einen Wakeup-Call. Schau, wo wir heute stehen. Aber ja: Ich dachte auch, die Welt würde sich ändern, es geht gut voran. So viele verschiedene Kulturen, sogar Generationen, auf dem Dancefloor, das ist wieder wie Woodstock.
Wie war die Clubszene in Belgien zuvor eigentlich? New Beat ist ja das, was man auch hierzulande davon mitbekommen hat.
Wir hatten immer ein gesundes, gutes Clubleben in Belgien. Und eine ernsthafte elektronische Kultur, schon in den Siebzigern, da ging ich ja schon aus, wurde was Elektronisches nach Bob Marley gespielt. Deswegen war das, was dann kam, ein natürliches Ergebnis, eine Evolution. 1986, 1987 ging es mit dem New Beat los. Ein Dreitausend-Leute-Club, und morgens um zehn immer noch Tausende in der Schlange davor. Ridiculous. Damals lief in England noch Northern Soul in den Clubs. Dann kam Acid House und die ganze Ravekultur schwappte zu uns rüber. Viele fuhren ja auch rüber, ließen sich inspirieren.
Du auch?
Ich war vor allem im Omen (in Frankfurt, jenem Club, mit dem Resident Sven Väth zur Techno-Ikone wurde, Anm. d. Red.). Jede Woche.
Jede Woche?
Jede Woche. Ich hab' am Freitag das Büro abgeschlossen und bin hingefahren, vier Stunden Fahrt. Das war die Zeit, in der es explodierte, die großen Raves boomten.
Warum hast du dein Label, R&S Records, 1997 eingestellt?
Die Musik war langweilig geworden, die Kultur nicht mehr dieselbe. Es ging nur noch ums Geld. DJs traten mit Bodyguards auf, spielten zwei Stunden. Wo sollte das hinführen?
Du legst später in der Arena auf. Wie lange spielst du?
Zehn Stunden.
Wie bitte?
Letzte Woche habe ich elfeinhalb gespielt. Das geht so (schnippt mit dem Finger) rum. Ich bin 60 Jahre alt, ich spiele zehn Stunden, es ist verrückt. Aber ich liebe es so sehr. Ich habe meinem Manager gesagt: Entweder spiele ich so lange oder gar nicht. Vielleicht mache ich das heute aber zum letzten Mal (lacht).
Du bist ja schon sehr lange DJ.
Ja, das war ich schon vor der Gründung von R&S 1984. Als ich mit dem Label begann, hörte ich auf damit. Es ging mir um die Künstler, ich wollte deren Bekanntheit nicht für mein DJing nutzen.
Wann hast du wieder angefangen?
Vor drei Jahren. Ich wusste nicht, wie ein CDJ aussieht (lacht).
Was spielst du?
Chaos. Ich habe 80.000 Tunes dabei, ich habe keine Ahnung, was ich später spielen werde. Und genau diese Kultur muss zurück kommen, finde ich, mit der Musik reisen, der Flow. Die Freiheit des Ausdrucks. Die Norm ist das Mittelmäßige geworden.
Wie bleibst du neugierig, wie informierst du dich über neue Musik?
Ich bin ein sechs Jahre altes Kind. Wenn ich eine Platte im Club höre, die ich gut finde, gehe ich an die DJ-Booth, benutze Shazam, ich lasse nicht locker, bis ich raus habe, was das für ein Stück ist. Ich höre zehn Stunden Musik am Tag, sieben Tage die Woche. Würden wir uns hier nicht unterhalten, würde ich mir Musik anhören.
War es eigentlich schwierig, R&S vor ungefähr zehn Jahren wieder neu zu starten?
Das war einfach. Total. Weil ich einfach an Musik interessiert bin, nicht an Moden und Hypes. Wenn du verliebt in das bist, was du tust, dann ist es einfach. Wir unterfüttern das alles auch mit Geld, das tut ja kaum noch einer, wir versuchen, unsere Künstler so gut zu unterstützen wie es geht. Klar: Die goldenen Tage des Musikbusiness sind vorbei. Ich mache kein Geld mit R&S, wir hatten gerade erst den Break-Even. Zum Glück gibt’s Stücke im Katalog, die sich für immer und ewig verkaufen. Es ist nicht leicht, aber ich bin aber überhaupt nicht gegen den Wandel. Ich bin sogar für die digitale Revolution. Platten machen ist Umweltverschmutzung pur. Dafür braucht man schließlich Chemie, Flugzeuge, um sie zu transportieren und so weiter.
Wie suchst du die Musik für R&S Records heute aus?
Ich muss die Musik persönlich mögen, mehr denn je. Als ich wieder anfing, hatte ich A&Rs, ich habe es denen ein Stück weit überlassen. Jetzt entscheide wieder ich. Entweder ich mag es oder nicht. Es ist mir scheißegal, was andere sagen.
Denkst du manchmal trotzdem daran, irgendwann die Fackel weiterzureichen?
Ständig. Ich suche nach einem Nachfolger und hoffe, einen zu finden. Bislang hat es nicht geklappt. Ich suche ja nicht den Businessman, den CEO, so einen würde ich natürlich finden. Ich suche den Leidenschaftstypen, der immer – wie ich – in die andere Richtung geht, dem Kommerziellen entgegen. Es wird wohl noch dauern, bis ich den gefunden habe.
Was ist aus deinen Ferraris geworden?
Die habe ich längst verkauft. Ich bin immer noch Autofreak und informiere mich über neue Modelle, aber ich habe keine mehr. Das Thema ist durch. Das Pferd auf unserem Logo hat übrigens gar nicht so viel mit Ferrari zu tun, sondern mit meiner Liebe zu Pferden. Ich wollte als Kind Reiter werden, mein Vater hat mich sogar an die Hofreitschule nach Wien gebracht. Pferde – diese Kraft. Wenn sie sich bewegen, wenn sie tanzen! Nachdem ich R&S 1997 eingestellt habe, habe ich eine Pferdezucht gestartet. Die hatten wir acht Jahre lang, mit 26 Pferden, großen und kleinen. Ich bin sechs Stunden am Tag geritten.
Mein dreijähriger Sohn saß heute zum ersten Mal auf einem Pony.
Echt? (Gibt mir fünf). Vielleicht wird auch er eines Tages ein Reiter!