Ravegeschichte: 25 Jahre 1992Heute: „Join Our Club“ von Saint Etienne
1.6.2017 • Sounds – Text: Thaddeus Herrmann1992 war das große Jahr von UK-Rave, Breakbeats und Hardcore. In dieser Kolumne stellt euch Das-Filter-Redakteur Jan-Peter Wulf die Stücke vor, mit denen ein Undergroundphänomen zum Chartbreaker-Lieferant wurde. Eine kurze, aber spannende Zeit, die vor 26 Jahren begann und vor 24 Jahren schon fast wieder zu Ende war. Heute verbrüdert sich Thaddeus Herrmann stellvertretend für Jan-Peter – auf Recherchereise am anderen Ende der Welt – mit Sarah Cracknell, Bob Stanley und Pete Wiggs und joint den Club von Saint Etienne.
Mein erster Song von Saint Etienne war „Only Love Can Break Your Heart“. Die Cover-Version des Neil-Young-Stücks ging in UK irgendwie durch die Decke und schaffte es als Maxi-CD, in Deutschland lizenziert von Warner – pardon: WEA –, in den WOM am Berliner Kurfürstendamm. An mir klebte noch die EBM, Techno war weit weg, immerhin purzelten die ersten Breakbeats in den Walkman. Ich mochte den Song, für Pop hatte ich immer etwas übrig, nur der Remix von Flowered Up, den fand ich doof. Remixe fand ich zu der Zeit eigentlich immer doof, weil die meistens Techno waren und den fand ich halt doof. Weil mir niemand die guten Tracks vorspielte.
Ich hatte Saint Etienne also latent auf dem Schirm. Wahrscheinlich vor allem, weil wir in dieser Zeit damit begannen, vermehrt in der Turbine auf der Wiener Straße rumzuhängen. Da stellte ein Londoner Expat – Namen vergessen – eine Party-Serie auf die Beine: „Dog Wash“. Zwei DJs aus Berlin – Tim und Christian aus dem Plattenladen „Mr. Dead & Mrs. Free“ – spielten in diesem Laden genau das, was in London im großen Camden Palace schon längst eine Legende war: Indie-Rave. Bzw.: klassischen UK-Schrammel, versetzt und gebrochen mit Tracks, die damals langsam aber sicher den mainstreamingen Underground eroberten. Songs, irgendwie, aber vornehmlich elektronisch produziert und somit rettender Anker für die Trauerarbeit des Summer Of Love. In diesem Camden Palace saß ich 1991 mit einem Freund und wir hörten zum ersten Mal „Losing My Religion“ von R.E.M. Wir nickten uns zu und brüllten uns synchron ins Ohr: DAS WIRD EIN HIT! Drei Wochen später hassten wir den Track bereits. „Join Our Club“ von Saint Etienne hasse ich bis heute nicht. im Gegenteil. Und es ist gut möglich, dass ich es in der Turbine auf der Wiener Straße zum ersten Mal gehört habe.
„Join Our Club“, das ist schon textlich natürlich eine Ansage.
„Join our club / Don't you worry 'bout a thing / Teen spirit is the '90s scene [...] Our time, everything's alright / There's gonna be a storm quite soon / Get ready 'cause we're coming through, yeah“
Will man natürlich mitmachen. Nicht zuletzt, um sich der unfassbar tollen Sarah Cracknell näher zu fühlen, die da in dieser unfassbar verravten Jacke so unfassbar durch die Gegend ravt. Das mit dem Rave galt es eh schnell zu lernen, es war ein für alle Mal Zeit für etwas Neues. À propos unfassbar: Jetzt mal zur Musik.
„Join Our Club“ ist nicht zuletzt deshalb so bemerkenswert, weil es so hyperschnell ist und so hypernervös und hypertrashig an einem vorbeizischelt. Dieses Zischeln der HiHats. Mit fällt keine Platte ein, auf der die 909 schlechter klingt. Wie ein Punk-Schlagzeug mit Erdbeermarmelade auf den Becken. Aufgenommen mit einem zum Mikro umfunktionierten Kopfhörer von Woolworth. Bei diesem Stück Musik stimmt eigentlich rein gar nichts. Und genau deshalb stimmt alles. Es ist eine Momentaufnahme, die sich so nie wieder reproduzieren lassen wird. Die Band selbst hat es ein paar Mal probiert, den Track zu editieren und irgendwie aufzuräumen, besser klingen zu lassen. Hat nicht funktioniert. Zum Glück gibt es das Original immer noch. Und das hat von allem zu viel: Bass, Hall und Rave-Klavier. Man, ist das toll.
Saint Etienne haben mit diesem Song das Genre des Techno-Schlager erfunden. Und den in den kommenden Jahren ziemlich perfektioniert. Bis es irgendwann zu schlimm wurde, die Band es selber merkte und mal schnell zehn Gänge zurück- und umschaltete und sich lieber von To Rococo Rot produzieren ließ. Oder 60s-Songs aufnahm. Nach „Join Our Club“ kaufte ich jede Platte der Band. In allen Formaten. Das ging bestimmt sechs, sieben Jahre so und in dieser Zeit zog allerhand Fantastisches an mir vorbei. Remixe zum Beispiel – hatte ich mittlerweile gelernt, dass die toll sein können. Autechre, Aphex Twin, Andrew Weatherall, P.F.M., die Chemical Brothers, als sie noch Dust Brothers hießen. Bei Saint Etienne ging es immer nur um Tracks, nie um Alben.
Das ist vielleicht auch der Grund, warum die Band zwar bis heute viele fanatische Fans hat, den ganz großen Durchbruch aber nie schaffte. Die frühen LPs – „Foxbase Alpha“ und „So Tough“ – waren einfach zu sperrig: Fünf Songs und 15 Interludes reichten nicht, der tipping point, er wollte einfach nicht kommen. So wurde aus Saint Etienne eine „richtige“ Band, die sich nach kurzer Eurodisco-Phase in die pilzköpfigen Gefilde zurückzog, die Bob und Pete immer voller Stolz trugen, so lange, bis auch ihre Haare lichter wurden. Immer wenn Saint Etienne eine neue Platte machen – diese Woche ist es wieder soweit – freue ich mich. Einen guten Song von ihnen habe ich dennoch seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gehört. Die alten Platten aber – auch „Join Our Club“ – sind pures Raver-Gold. Nicht nur, weil ich zufällig dabei war.
1992 gab es eine weitere bemerkenswerte Platte aus dem Etienne-Kosmos. Bob und Pete hatten ein eigenes Label gegründet: „Icerink“. Eben dort erschien „Anglo American“ von Golden. Praktisch der zweite Teil von „Join Our Club“, mit dem gleichen Zischeln, dem gleichen Bass und dem gleichen Klavier. Geschrieben und produziert von Bob und Pete, gesungen von Canny Golden, Celina Nash und Lucy Golden. Warum das keine Saint-Etienne-Single geworden ist, verstehe ich bis heute nicht. Zumal ich die Existenz von Canny, Celina und Lucy nach wie vor anzweifle und glaube, dass Sarah Cracknell diesen Song singt. Auch wenn Celina auf dem zweiten Album „So Tough“ als Mitwirkende gelistet ist. Interessanterweise bei „Join Our Club – Chicken Soup Mix“.