Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Rainforest Spiritual Enslavement, Colleen und Loscil
Rainforest Spiritual Enslavement – Flying Fish Ambience
Christian: Rainforest Spiritual Enslavement ist eines der Projekte von Dominick Fernow, dessen musikalisches Schaffen nachzuhören wohl deutlich länger als nur ein Wochenende dauert. Ganz persönlich: Zu Fernows Noise-Alias Prurient pflege ein mindestens ambivalentes Verhältnis, ebenso zu seinem eher industriell angehauchten Projekt Vatican Shadow. Das weiß mir musikalisch zwar immer mal wieder zu gefallen (Repetition, Monotonie und Atmosphäre – einfach unschlagbare Trias), die Verpackung (Artworks made of Nahost-Konflikts- und Golfkriegs-Footage treffen auf technokratisches Kriegsvokabular in den Songtiteln) stößt mir jedoch als eine etwas hängengebliebene Provokations-Show ungut auf. 2011 launchte Fernow dann Rainforest Spiritual Enslavement. Ein Projekt, das musikalisch ganz ähnlich funktioniert wie Vatican Shadow. Es ging auch hier um Repetition, Monotonie und Atmosphäre, nur eben deutlich langsamer und weniger martialisch. Stattdessen gab es viel erratischen Klangnebel und Bassdrums, die aus dem Bauch von Mutter Erde zu stammen schienen. Vor allem hatte sich der thematische Fokus verschoben: Es ging um animistische Weltsichten, wie man sie bei indigenen Völkern antreffen kann, und um den Gauben an eine beseelte Welt. Als ich auf die Musik von RSE stieß – das war wahrscheinlich so um 2013 – klang so etwas keineswegs esoterisch. In der Kunst war viel von den Grenzverwischungen zwischen Kultur und Natur die Rede. Und auch in geisteswissenschaftlichen Diskussionen erfreute sich der sogenannte „New Animism” großer Beliebtheit. Die Beschäftigung damit war auch eine postkoloniale Übung im Überwinden eurozentristischer Denktraditionen, ein wissenschaftlicher Versuch, sich eigener Grenzen gewahr zu werden. Fernows Projekt schien also wie der Soundtrack zu solchen Überlegungen, obwohl die Musik oft einfach nur exotistische Klischees bediente. Aber naja, der Zeitgeist ließ darüber wohl hinwegsehen. Wenn dieser Tage also das neue RSE-Album erscheint, so wirkt die Musik plötzlich gar nicht mehr so verzaubert und otherworldly: „Flying Fish Ambience” klingt zunächst „nur” nach ambientem Dub-Techno. Hübsch, aber fast konservativ, jedenfalls alles andere als grenzüberschreitend. Mit Wassertopfen-Sounds im Delay, sanft modulierenden Flächen und ein paar wachsweichgekochten Basic-Channel-Referenzen hangelt Fernow sich durch die ersten Tracks, bis er beim 13minütigen „Snake Head Cemetry” wieder bei den ambuigen signature sounds seines Projektes ankommt. So zwingend wie damals scheinen aber selbst die nicht mehr. Ich wünsche dem Album dennoch, dass es nicht untergehen möge. Zwischen den viel zu vielen Ambient-Alben, die dieser Tage veröffentlicht werden.
Colleen – The Tunnel And The Clearing
Thaddi: In meiner Erinnerung hatte ich immer etwas übrig für die Musik von Cécile Schott. Das ist allerdings auch wirklich lange her, damals, in den frühen Nullerjahren, als Leaf noch ein wichtiges Label war. Dass die Französin immer noch Musik macht, hätte mir natürlich klar sein müssen, aber manchmal verliert man sich eben aus den Augen. Also: ich sie aus den Augen. Eine umso schönere Überraschung ist ihr neues Album auf dem Chicagoer Label Thrill Jockey. Zunächst bin ich großer Fan der Instrumentierung. Ein alter Drumcomputer, eine im Echo verwaschene Orgel, ein bisschen diesdas. So entsteht eine erhabene Stimmung, in der jeder Ton genau die richtige Portion Aufmerksamkeit bekommen kann und auf Céciles Stimme wartet. Die wiederum senkt sich wie Schwebeteilchen hinab. Wunderbar stille Songs voller Energie, die die Komplexität der Einfachheit erkunden. Immer und immer wieder.
Loscil – Clara
Ji-Hun: Der Kanadier Scott Morgan produziert seit 22 Jahren Alben. „Clara“ ist sein 13. Langspieler und ist in Zusammenarbeit mit einem 22-köpfigen Orchester aus Budapest entstanden. Das Konzept hier ist minimalistisch und streng. Loscil arbeitete ausschließlich mit einer dreiminütigen Komposition des Orchesters als Ausgangsmaterial, die wurden auf eine Seveninch geschnitten, was wiederum Startpunkt fürs Sampling gewesen ist. Morgan destilliert zehn Tracks daraus und es ist ein vielschichtiges Album geworden, was erstaunt und überrascht, aber so gar nicht als Hütchenspielertrick taugt, weil die Musik auch ohne Vorwissen wunderbar funktioniert und organisch ist.