Plattenkritik: Zugezogen Maskulin – Alle gegen AlleDanke für den Hass, jetzt geht's mir besser
23.10.2017 • Sounds – Text: Benedikt BentlerDie unbequemsten Rapper des Landes sind mit neuer Platte und einer angemessen klatschenden Ohrfeige zurück. Es schmerzt, aber wach ist man danach ganz sicher. Ob Großstadthipster oder Dorfjugend, RIN oder Dagi Bee, ob Craftbeer oder Insta-Chique und Fitnesswahn: Grim und Testo ertappen jeden – sich selbst inklusive – und entblößen die Absurditäten gesellschaftlichen Lebens im Jahre 2017.
Dass es an Material nicht mangelt, ist offensichtlich. Anfang 2015 erschien das Debütalbum „Alles brennt“ beim Hamburger Label Buback. Die beißende, lyrisch großartig verpackte Gesellschaftskritik ließ einen damals damals darüber hinwegsehen, dass auf der laut kreischenden Trap-dominierten Instrumentalspur weniger manchmal mehr gewesen wäre. Auf „Alle gegen Alle“, gerade beim HipHop-Major Four Music erschienen, haut nun auch das hin.
Wird ein Release herbeigesehnt und ist obendrauf noch mit konkreten Erwartungen verknüpft, geht das meistens in die Hose. Und meine Erwartungen an das neue ZM-Album waren wirklich sehr konkret. So hatte ich mir ein ZM-Album gewünscht, mit dem sich die stetig größer werdende Frustration gegenüber unserer gesellschaftlichen, politischen und sozialen Realität kanalisieren lässt. Ein Ventil für die Momente der totalen Misanthropie. Ein bisschen Katharsis vielleicht, weil so viel ankotzt.
„Was ist das für eine Zeit“ ist als erste Singleauskopplung samt Video schon eine Weile draußen und rechnet gleich mit einer ganzen Palette des zeitgenössisch Angesagten ab: Listicals, Dagi Bee, Sneaker-Hype, Craft Beer, Burger, Ironie-Klamotten, Mönchfrisuren und Nazis – was ist das für 1 Life? Der Kampf wird per Roundhouse-Kick eröffnet.
„Ihr Dullikids mit Mönchfrisur und Ironieklamotten / Zwingt mich dazu, teuer im KaDeWe zu shoppen /
Und auch da triffst du nur auf Behindis / Post-Bros mit Bärten und Long-T wie Jan Leyk /
Was für eine Zeit, um am Leben zu sein! /
Und schreib bitte die Eins aus, sonst schlag' ich dir den Schädel zu Brei“
Die in sich bekriegende Einzelteile zerfallende Gesellschaft ist das zentrale Thema und wird auf „Alle gegen Alle“ einmal durchdekliniert. Arm gegen Reich, Stadt gegen Land, Gestern gegen Morgen – immer mit dabei: Mensch gegen Mensch. Da kann man durchaus mal die These aufstellen, ob wir nicht doch alle Affen sind („Vor Adams Zeiten“), sich den Tod an den Hals wünschen („Stirb!“) und ihm in die glasigen Augen blicken („Der müde Tod“). Aber trotz Tod und Verwüstung in jedem zweiten Vers kommen die Texte mit ordentlich Witz und längst nicht immer bleibt der im Halse stecken. Das Spiel mit den leider oft zu wahren Klischees bringt immer auch komische Momente und solche der Selbsterkenntnis hervor.
„Es ist 12 Uhr, du kaufst dir Supreme /
Soll noch einer sagen Rapper ham’ nix zu erzählen /
1 Uhr jeder deiner Trottelfans kauft auch /
2 Uhr, Supreme schon wieder out.“
Wer so viel Wut und Abneigung in einem Album unterbringt wie Grim und Testo, hat natürlich auch ein bisschen was für HipHop übrig. Die pointierte, bildliche Zustandsbeschreibung aus Bordstein-Perspektive war für diese Musik einst essentiell, heute ist davon nicht mehr viel übrig. Stattdessen: inhaltsleerer Bling-Bling-Rap und der nicht mal gut, siehe RIN. Der wird in „Steffi Graf“ auch ganz direkt textlich aufgegriffen. Liebe gibt’s stattdessen für Aggro Berlin. In gleich mehreren Tracks zollt man dem Sägeblatt-Logo seinen Tribut als nachhaltigem Einschnitt in der musikalischen Sozialisation von Grim und Testo.
Mit „Steine & Draht“ markiert ein lyrisches Glanzstück das Ende der Platte. Grim und Testo lassen Nachkriegsdeutschland vorbeiziehen, aus Perspektive Ost und West, entsprechend ihrer Wurzeln – dicht bebildert und mit dem vielleicht besten Instrumental der Platte. Ein Synthie-Motiv trägt den Hörer schwer durchs „Land zwischen Bergen und Meer“, von `45 bis nach `89.
Genau wie das Debüt ist „Alle gegen Alle“ in der Lage, zu erschöpfen. Anders als damals aber fast ausschließlich inhaltlich und weniger akustisch. Grims Berserker-Flow und Testos stimmliche Geradlinigkeit stehen mit den Instrumentals von Silkersoft in deutlich besserem Einklang als noch vor zwei Jahren. Der Hektik-Flow darf mal pausieren, ein Instrumental sich langsam dahinschleppen. Und „Yeezy Christ“ sogar kurz in den Jungle ausbüchsen.
Am Ende lässt einen dieses Album mit einem paradoxen Gefühl innerer Zufriedenheit und Ausgeglichenheit zurück. Das muss es sein: Katharsis.