Plattenkritik – Twin Peaks (Soundtrack From)Auf einen Cherry Pie mit Angelo Badalamenti
16.12.2022 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannAm 10. September 1991 lief die erste Folge von „Twin Peaks“ im deutschen TV. Auf RTL plus. Bilder? Toll! Storytelling? Toll. Musik? Sensationell. Der Komponist des Soundtracks – Angelo Badalamenti – starb am 11. Dezember 2022. Eine Würdigung.
Ich erinnere mich ziemlich genau. Es muss der 11. September 1991 gewesen sein, ein Tag, nachdem die erste Folge von „Twin Peaks“ im Fernsehen gelaufen war. Ich ging zum WOM am Ku’damm, griff mir die Soundtrack-CD und stellte mich an der Kasse an. Die Kassiererin schaute mich an, lächelte und sagte: „Oh, ein Fan. War schon gut gestern, oder?“ Ich nickte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt zwar weder Ahnung von Regisseur David Lynch noch vom Komponisten Badalamenti, aber trotz aller Werbeunterbrechungen im Privat-TV gab ich mich dem Sog dieser Serie hin. Dass daraus die neue US-amerikanische Fernseh-Kultur erwachsen würde, war mir nicht klar. Ich begann gerade erst meinen kulturellen Werdegang, hatte im Sommer Abi gemacht, die Bestätigung der FU Berlin für das Studium von Geschichte und Politik war wenige Tage zuvor eingegangen. Mit anderen Worten: Ich hatte noch frei. Und guckte Fernsehen.
Ich hätte natürlich auch ausgehen können. Tat ich auch. Aber mit Techno hatte ich es noch nicht so recht. So brauchte ich auch eine ganze Weile, um das Sampling-Ripoff von Moby wahrzunehmen.
Diese „feindliche Übernahme“ sei hier nur eine mehr oder wenige wichtige Randnotiz. Vielleicht aber auch der Beginn eines neuen Kapitels der Sampling-Kultur. Der Soundtrack als solcher bietet schon ordentlich Reibungsfläche.
Die Kompositionen von Badalamenti sind so wundebar auf den Punkt. Konkret wie vage orchestrieren sie die filmische Vision von Lynch – und der in nasskalten Nebel getauchten, komplett erfundenen Umgebung von Twin Peaks. Die epochale Vielschichtigkeit und Unentschiedenheit der Serie hinterlässt in der Musik zahlreiche Echos. Da ist die pure Schönheit. Und die durch und durch berechnete „Suspense“. Wurde jemals eine eindrücklichere Melodie komponiert als die für „Laura Palmer's Theme“? Eben. Dass Moby sich dieses Motiv gegriffen hat – Kudos. Ärger gab es ja dennoch.
Und dann sind da noch die Songs mit Julee Cruise. Auch sie starb 2022 – am 9. Juni. One for the Ewigkeit. Mit Badalamenti hatte sie schon vorher gearbeitet, auch mit Lynch. Ihre Tracks „The Nightingale“, „Into The Night“ und „Falling“ für „Twin Peaks“ lassen auch heute noch die Welt stillstehen. Mit den Bildern oder ohne: Cruises Stimme orchestriert sich wie von selbst. Entschuldigt meine Sentimentalität: Ich denke bei Cruises Gesang immer wieder an die literarische Deepness von Donna Tartt. Und frage mich, wie sie die beiden Ladies wohl verstanden hätten. Wahrscheinlich – hoffentlich! – haben sie sich kennengelernt. Was geschnupft, was getrunken, sich zugehört. Und neue Ideen entwickelt.
Die Musik von Badalamenti war meistens sensationell. Hier, bei „Twin Peaks“ aber ist sie unerreicht. Vielleicht ein Zufall der Geschichte. Vielleicht aber auch eine nicht zu verhindernde Konsequenz seines Genius. Gib Komponist*innen einen Prophet 5 von Sequential, und sie finden die passenden Melodien. Außer Hans Zimmer natürlich. Der hat das immer an die Wand gefahren.
Plan für den Jahreswechsel: „Twin Peaks“ nochmal schauen.