Plattenkritik: The Smile – Wall of Eyes (XL Recordings)Großes Tennis abseits des Center-Courts
2.2.2024 • Sounds – Text: Ji-Hun KimMehr als ein Seitenprojekt. Das Trio The Smile um die Radioheads Thom Yorke und Jonny Greenwood zeigt mit seinem zweiten Album wundersame Facetten, die viele für nicht mehr möglich gehalten haben.
Neulich sah ich die zweite Staffel der Tennis-Doku „Break Point“, in der Weltklasse-Spieler:innen im weltweiten Zirkus portraitiert werden. Immer wieder geht es gar nicht so sehr um Technik oder Talent sondern viel mehr um Druck und Erwartungen. Man lernt: Mentalität gewinnt Grand Slams und wer Favorit ist, hat es wesentlich schwieriger, weil die Kleineren weniger bis gar nichts zu verlieren haben. Sie können, wie es so schön heißt, befreiter aufspielen, auch weil das mediale Interesse für Underdogs ein anderes ist. Dass sie allesamt was vom schönen Spiel verstehen, sollte in der Liga ohnehin klar sein. Aber was hat das mit Musik zu tun? Fans von Radiohead warten seit acht Jahren auf ein neues Album ihrer Lieblingsband. Seit den Neunzigern avancierte die Band aus Oxford zu dem Inbegriff der besten Band der Welt. Durchaus zurecht. Mit dem weltweiten Erfolg und den immer größer werdenden Venues büßte die Band wie viele andere auch in ihren eigentlichen Qualitäten ein. Man kann zwar wie Coldplay oder U2 werden, man muss es aber nicht. Das Album „The King of Limbs“ von 2011 war bewusst sperrig und mit 140.000 verkauften Einheiten das am schlechtesten verkaufte Album der Bandgeschichte. „A Moon Shaped Pool“ von 2016 war kommerziell wesentlich erfolgreicher, ließ aber viele Liebhaber ein bisschen ratlos zurück. Es war musikalisch ein bisschen beliebig geworden, auch zu „stadionrockig“.
Bei der 2021 gegründeten Band The Smile von Nebenprojekt zu sprechen, würde der Sache nicht gerecht werden. Das Trio besteht aus den Radiohead-Hauptsongwritern Thom Yorke, Jonny Greenwood und dem Jazz-Drummer Tom Skinner, dessen Band Sons of Kemet sich mittlerweile aufgelöst hat. In so einer Besetzung fängt man natürlich nicht ganz unten an. Das erste Konzert spielte The Smile 2021 auf dem Glastonbury. Das erste Album „A Light for Attracting Attention“ erschien 2022 und entwarf komplexe, aber zugleich leicht wirkende Groove-Konzepte. Post-Rock, Jazz, ungerade Takte und progressive Elemente kamen hier zusammen. Ein bisschen wie ein experimenteller Sandkasten, der aber alle Beteiligte offenbar inspirierte und beflügelte.
Denn das zweite Album „Wall of Eyes“, das nun erschienen ist, begeistert mit großen Songs und ausgelassener Spielfreude. Man könnte das als Verwässerung des Markenkerns bezeichnen, aber in vielen Momenten sind es die Radiohead, die man seit 15 Jahren vermisst hat. Die Songs sind dynamisch variabler und klarer. Dazu kommen satte und opulente Streichersätze vom London Contemporary Orchestra, die sich tief unter die Haut singen. Exemplarisch dafür steht die Single „Friend of a Friend“. Ein Diamant von Song. Spur über Spur, Sekunde über Sekunde wird aufgebaut und moduliert, es erinnert an fast vergessene Epen wie „Pyramid Song“, klingt aber leichtfüßig und in seltenen Momenten sogar mit offenen Armen einladend. Bemerkenswert ist auch der Song „Bending Hectic“, der mit arhythmischen Arpeggien dezent beginnt und am Ende in einer emotionalen und brachialen Distortion-Eruption aufgeht. Wie schön doch Lärm sein kann und wie lange sich viele dagegen gesträubt haben. Es kann immer noch eines der schönsten Stilmittel der Welt sein, wenn denn gut umgesetzt. Das melodische und sachdienliche Schlagzeugspiel von Tom Skinner soll hier aber auch nicht unerwähnt bleiben. Eine Lehrstunde darin, wie viel man mit reduzierten Mitteln erreichen und aussagen kann. Alles gebettet in einer intimen und dennoch filigranen Produktion. Um kurz zum Sport zurück zu kommen. Viele ehemalige Profis wie Fußballer sagen, dass es am meisten Spaß macht, wenn sie statt in den großen Arenen wieder auf dem Bolzplatz stehen. Einfach in dem, was sie ihr Leben lang geliebt haben, ohne Stress spielen zu können. Da kommen oft die schönsten Spielzüge bei raus.