Plattenkritik: Stereofysh - The RaceWenn Jazz im Club zu House ist
22.5.2015 • Sounds – Text: Benedikt BentlerEine Stimme aus einer längst vergangenen musikalischen Ära zu sanften Beats um 120BPM, garniert mit instrumentalen Jazz-Einschüben – das kann gewaltig in die Hose gehen. Tut es aber nicht. Stereofysh lässt diese Elemente zu träumerisch poppigem House verschmelzen, der auf der Tanzfläche ebenso seinen Zauber entfalten kann, wie beim Nichtstun am nächsten Flussufer.
Stereofysh, das sind die Geschwister Lysann und Gunnar Zander, zusammen mit Multi-Instrumentalist Lars Dietrich. Die beiden Zanders machen quasi schon ewig gemeinsam Musik, aber erst seit 2011 zusammen mit Lars Dietrich als Stereofysh. Nach einer Debüt-EP 2013 und einem weiteren Mini-Release waren die drei schon keine ganz Unbekannten mehr – immerhin gab es Remixe von Robag Wruhme und Lake People. An mir ist das allerdings völlig vorbeigegangen. Ich bin auf Stereofysh erst vor einigen Wochen aufmerksam geworden, als sie vor gefühlt zwanzig Leuten eine wahnsinnig tolle Show bei der „Klangtherapie Moabit“ spielten. Heute kommt nun endlich das Debütalbum „The Race“ in die Läden, mit dem sie den instrumentalen Parts, dank der Unterstützung von Dietrichs Jazzband The Ruffcats, ein bisschen mehr Raum verschaffen, ohne sich allzu weit vom Clubkontext zu lösen.
Der Opener „The Race“ kommt erst einmal als Abhol-Song daher. Er ist nicht mehr als eine Richtungsmarkierung: zu Stereofysh, hier entlang bitte. Dass es dem Signature-Sound der Stereofyshe nicht an Power mangelt, merkt man erst, wenn man die ersten Tracks hinter sich gelassen hat. „Igor“ steigt dann nämlich gleich mit mehr Druck ein. Kick und Gitarre verankern den Song im Jetzt bis Lysann Zanders Stimme einsetzt, rauchig und jazzig, wie damals durchs Rasierermikro. Und schließlich gesellt sich Lars Dietrichs Saxophon zu Synthieklängen ohne aufdringlich zu werden. Auch danach bleibt es clubbig, wird verspielter, mit gecutteten Vocals und einem Instrument im Vordergrund, dessen Sound hoffentlich niemals ausstirbt: Fender Rhodes.
„Slave To The Rhythm“ fängt mit Singer-Songwriter-Gitarre an. Doch in dem Moment, wo sich die Vorstellung des Gitarristen auf dem Barhocker zu vervollständigen droht: Cut. Bass. Nochmal Glück gehabt. Aber auch nicht so richtig. Denn so ganz rund ist das Cover von Grace Jones Klassiker aus '85 nicht. Vielleicht bin ich auch einfach ein paar Jahre zu spät geboren, um dem Song verfallen zu können.
Mit dem Instrumentalstück „Same Same“ beginnt die zweite, deutlich ruhigere Hälfte des Albums. Einem „Once Upon A Time“, das nur knapp an kitschiger Lounge-Mucke vorbeischrammt folgt „The Thieves“, dem mit Abstand schwermütigstem Stück des Albums. Ein Song, der sich wie gemalt von anfänglicher Skizze mit einzelnen Piano- und Drumeinwürfen zu einem detaillierten Bild vervollständigt. Dem bereits bekannten Track „Cellphone“ hat die Band für die Album-Version Album ein ganz neues, viel instrumentaleres Klangkostüm verpasst, der Einstieg erinnert unweigerlich an diese Live-Version von „Can’t stop“ der Red Hot Chili Peppers. Die Techno-Variante (siehe Youtube-Video oben) gefiel trotzdem besser. Maikoko entlässt einen dann ganz sanft aus der Platte, wieder das Fender Rhodes auf einem Beat, der direkt der aus der Feder von Robag Wruhme stammen könnte.
Zwar hat „The Race“ neben vielen starken auch schwächere Momente. Aber das ist ok. Denn es ist eine unglaublich ehrliche Platte von ehrlichen Musikern. Trotz ernsthafter Popambitionen schielt die Band mit Tracklängen ausschließlich jenseits der viereinhalb Minuten und Technotrackstrukturen nicht in Richtung Radio-Airplay. Und dann ist da ja noch die Live-Performance, bei der Sängerin Lysann in weiten Teilen über Studioqualitäten hinauswächst. Wenn diesem Album wieder entsprechende Remixe folgen, wird der Openair-Sommer bestimmt nicht ohne Stereofysh auskommen.