Plattenkritik: soccer Committee – ❤️ /Lamb (Morc Records)Ein Stück Himmel
30.6.2023 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannDie Songwriterin Mariska Baars baut mir nur wenigen Mitteln Universen, die größer sind, als es in der Vorstellungskraft von Marvel möglich ist. Still, eindrücklich und überhaupt nicht flüchtig.
Bei mir auf dem Dach wird es langsam wieder gemütlich. Das ist einigen Mieter:innen zu verdanken, die allen Verboten zum Trotz die eingezäunte Betonfläche, die einst ein kleines grünes Biotop inklusive Buddelkasten für die Kids war, erneut zum Leben erwecken. Mit Pflanzen, ein paar Sitzmöbeln, Bierbänken und LED-Lampen. Fehlt nur noch das Sonnensegel, mit dem wir noch vor rund zehn Jahren am Abend einfach gen Himmel fliegen wollten.
Wer in der Stadt wohnt, weiß, wie wichtig es ist, wenigstens ab und zu ein Stück dieses Himmels zu sehen, der Weite wenigstens etwas näher zu sein, die uns die engen Straßenschluchten genommen haben. Gestern Abend saß ich dort oben, erschöpft und latent genervt nach einem Tag mit einem noch viel nervigeren und sinnlosen Geldverdien-Projekt – und wollte eigentlich gar keine Musik um mich haben. Ich genoss die vergleichsweise stille Stille, und dass keine Nachbar:innen die gleiche Idee hatten, fand ich auch gut. Natürlich machte ich dann doch Sound an – und hörte das neue Album von soccer Committee, dem Projekt der Songwriterin Mariska Baars. Eine Neuentdeckung für mich: Im Folk kenne ich mich einfach nicht aus. Ob diese Klassifizierung gerechtfertigt ist? Sicher bin ich mir da nicht. Wenn parallel zum inflationär-overkilligen Genre-Wahnsinn machen für mich diese Schubladen immer weniger Sinn. Music is music? Dieser Sager bestimmt Monat für Monat mehr meine Rezeption.
Natürlich atmet „❤️ /Lamb“ eine tiefe Verbundenheit zum reduzierten Geschichtenerzählen mit Musik. Wenig Instrumente, der Fokus auf dem Wesentlichen, eine Idee, eine Message, ein Song. Und dann einfach weiter. Doch die Geschichten, die Mariska hier erzählt, sind im positivsten Sinn diffus, nie eindeutig, lassen sich nicht mitsingen und nur mit Gesangsausbildung einigermaßen angemessen mitsummen. Mariska Baars' Umgang mit Stimme, Struktur und Instrumentarium ist einzigartig. Mir ist so etwas noch nicht oft untergekommen. Egal ob Ela Orleans oder Anna Makirere: Diese musikalischen Vergleiche machen überhaupt keinen Sinn. Es geht mir um den eigenen Weg. Und der von Baars ist eindrücklich.
Sie braucht nur ein paar Sounds und ein paar Tricks, um ihre Songs in Szene zu setzen. Nur auf einem Song hilft Wouter van Veldhoven mit der Bowed Guitar. Der Rest ist in fast unfassbare Stille komprimierte Schönheit in allen Facetten. Hier ist nicht alles hell, eher im Gegenteil: Das Album ist bestimmt von einem zerbrechlich-klingenden Schimmer der Dunkelheit, vielleicht eher der Blue Hour, in der selbst das zur Ruhe kommt, was in der Regel immer nur unter allem ächzt. Das passt ins Bild. Ich habe ganz bewusst die früheren Platten von Mariska Baars noch nicht gehört. Die Musik von „❤️ /Lamb“ soll erstmal wirken. Ich denke an die Schönheit der Madrigale minus das Pastorale. Vielleicht höre ich am Wochenende dann doch zum ersten Mal seit 1991 wieder Miranda Sex Garden. Ihr werdet das nie erfahren. Dass Mariska Baars das alles so deep im Griff hat, ist keine Überraschung. Sound ist ihr Ding, das beweisen nicht zuletzt ihre Zusammenarbeiten mit Machinefabriek.
Was für eine Entdeckung. Was für ein Stück Himmel.