Plattenkritik: Skanfrom - PostcardsNennt es Retro, für mich ist es Gegenwart
24.9.2014 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannEnde der 1990er-Jahre tauchte der Berliner Roger Semsroth wie aus dem Nichts auf dem Techno-Radar auf. Mit einem Sound, der gar kein Techno war, aber dennoch unfassbar anschlussfähig. Skanfrom war eine Zitat-Maschine mit eigener Seele, ein Meister der einfachen Rhythmen, der himmlischsten Melodien und ein Maschinen-Rapper. Nach langer Pause widmet sich Semsroth jetzt wieder seinem alten Projekt.
Denn irgendwann mottete Semsroth Skanfrom ein und wurde Sleeparchive. Roher Techno, anders und ausgeklügelter produziert, klar inspiriert vom kühlen Sound finnischer Bleep-Erfinder wie Mika Vainio und einer Art Spätzünder-Feeling, das nichts anderes im Sinn hatte, als 20 Jahre Techno im Schnellverfahren aufzuarbeiten. Ohne Rücksicht auf Verluste. Das war erfolgreich, gut sowieso, knüpfte viele neue Freundschaften, ließ aber Skanfrom ein wenig in Vergessenheit geraten. Manche Dinge müssen eben eine Weile ruhen. Denn veröffentlicht hatte Semsroth als Skanfrom reichlich. Wie das klang? So. Zum Beispiel.
Dazu die trockene Reduktion von Sleeparchive im Vergleich.
Und jetzt: die neue alte Einfachheit. „Postcards“, das Album erscheint auf dem kanadischen Label Suction Records, klingt, als wäre in den vergangenen Jahren nichts, rein gar nichts passiert. Das ist ein Kompliment. Denn es wäre sträflich, an diesem ikonischen Sound grundlegend zu werkeln, ihn zu modernisieren oder mit neuen Zutaten anzureichern. Stattdessen fokussiert sich Semsroth auf das, was er schon damals, gleich mit der ersten 7", am besten konnte. Dinge fliegen lassen. Einfach, ja, klar strukturiert in einer Art 4-Spur-Ästhetik, aber in seiner naiven Schönheit verspielt, immer wieder überraschend und sich ins Gehirn einbrennend. Man will Skanfrom mitpfeifen. Vor allem aber auch mitsingen. Das geht, denn nicht nur die Melodien sind episch wie damals, auch die kleinen Schnipsel Computer-Stimme sind wieder da, ausgebaut aus einem dieser sprechenden Taschenrechner, die in den 80er-Jahren die Kinderzimmer bevölkerten, von Kraftwerk auf den Promi-Thron gehievt wurden und in ihrer selbst für damalige Verhältnisse kategorischen LoFi-Ästhethik einfach wahnsinnig sexy waren.
Das Gleiche, das mit dem sexy, gilt für die ganze neue Platte. Es ist gut, dass Skanfrom wieder da ist. Es ist gut, dass diese Musik wieder eine Plattform findet. Es gut gut, dass Semsroth neue Melodien eingefallen sind, der sprechende Taschenrechner immer noch funktioniert, die Basslines immer noch kicken und einem bei jedem Ton ein Stein vom Herzen fällt. Genau darauf hatte ich auch beim Aphex-Twin-Album gehofft, aber leider wurde daraus nicht. Semsroth würde mir diesbezüglich nicht zustimmen, da bin ich mir sicher.